Fischer wird 60:Shine a light - on Joschka

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Er sieht sich als den letzten Live-Rock-'n'-Roller in der Politik: Joschka Fischer. Auch wenn die fetten Jahre vorbei sind: Seine Vita liefert Stoff für einen Spielfilm mit Gewalt, Geld, Liebe und Macht. Das Drehbuch seines Lebens.

Bernd Oswald

Er sieht sich selbst als letzten Live-Rock-'n'-Roller der deutschen Politik. Als eines der Originale also, als einen aus der Gilde der Franz Josef Strauß und Herbert Wehner - ein Rolling Stone, der es von der Straße ins Ministerium geschafft hat. So wie Martin Scorcese in "Shine A Light" das Leben der musikalischen Rolling Stones abgebildet hat, so empfehlen sich die Erlebnisse des Joseph Martin Fischer, genannt Joschka, als Stoff für einen Spielfilm.

Joschka Fischer - der personifizierte Wandel. (Foto: Foto: Reuters)

1. Kapitel: (I can't get no) Satisfaction - Flucht aus der schwäbischen Heimat

Darsteller: Eltern Fischer, Sohn Joschka. Ort der Handlung: Katholisches Landmilieu im Schwäbischen, das dem Hauptdarsteller bald zu klein und zu eng wird. Alles sollte in Schwarzweiß gehalten werden.

Der Held des Films wird am 12. April 1948 im schwäbischen Gerabronn geboren. Sie nennen den Kleinen Joschka - von der ungarischen Verniedlichungsform Jóska für József. Die Eltern Fischer waren Ungarndeutsche und wohnten bis 1946 bei Budapest. Der Sohn wächst im katholischen Milieu auf und gibt zu schönsten Hoffnungen Anlass: Er wird Messdiener und dann Obermessdiener.

Doch dann bricht die schwäbische Idylle auf. Joschka scheitert im Gymnasium und danach mit einer Fotografenausbildung. Sein Vater stirbt mit 56, er hat als Metzger im Schlachthof geschuftet.

Für Joschka ist klar: So will er nicht enden. Der Metzgerssohn rebelliert, indem er noch minderjährig seine Freundin in Schottland heiratet.

2. Kapitel: Street Fighting Man - Rebell in Frankfurt

Hier sind immer wieder Szenen aus dem Universitätsmilieu zu zeigen sowie Straßendemonstrationen. Kurze Schnitte. Neben den Rolling Stones sollten Jimi Hendrix, Doors und Janis Joplin als Hintergrundmusik eingesetzt werden.

Joschka Fischer ist inzwischen 19 und wird radikalisiert durch die Schüsse auf Benno Ohnesorg und den Sechs-Tage-Krieg im Nahen Osten. Er ist deshalb nach Frankfurt gegangen und schließt sich hier der vom SDS beeinflussten Studentenbewegung an.

Fliegt zum PLO-Solidaritätskongress nach Algier ("Eine gute Gelegenheit, die erste Flugreise meines Lebens zu unternehmen und Algerien zu besuchen"). Begeistert sich - auch ohne Abitur - an Adorno und den Schriften von Karl Marx, Mao Zedong und Georg Wilhelm Friedrich Hegel, hört Vorlesungen von Theodor W. Adorno, Jürgen Habermas und Oskar Negt. Stiehlt teure Bücher, um sie an Studenten zu verkaufen. Liest unablässig, betreibt die Karl-Marx-Buchhandlung.

Als wichtige Nebenfigur wäre hier Daniel Cohn-Bendit ("Dany le Rouge") einzubauen, der frankophile 68er, der die Sponti-Truppe "Revolutionärer Kampf" auf die Beine stellt und Fischers Mentor wird.

So wird der Zugewanderte aus Schwaben vom Mitläufer zum Agitator und versucht beispielsweise, bei Opel am Fließband die Arbeiter aufzuwiegeln: "Gleicher Lohn für alle, aber fix". Fix geht nur sein Rauswurf. Fischer wandelt sich zum "Putztrupp-Straßenkämpfer", prügelt sich mit Polizisten, wirft Steine, besetzt Häuser. Hier gibt es etliche Filmaufnahmen von Amateuren, die gut einzusetzen wären.

Als Rädelsführer rückt Fischer sogar ins Interesse der Justiz. Die Polizei sucht nach dem Täter, der bei einer Demonstration nach dem Tod der RAF-Terroristin Ulrike Meinhof einen Molotowcocktail in ein Polizeiauto geworfen hat, was dem Polizisten schwerste Verletzungen einbringt.

Diese Ereignisse bewirken ein Umdenken bei Fischer. Er kommt zur Räson, als ein Terrorkommando der Volksfront zur Befreiung Palästinas ein Flugzeug entführt und Passagiere anhand von Reisepässen in Juden und Nicht-Juden "selektiert". Von nun an ist Fischer ein überzeugter Gegner jeglicher Form von Antisemitismus. Er schließt die Phase des Berufsrevolutionärs ab und fährt Taxi.

Bis dato ist Joschka Fischer das, was die Bürgerlichen eine "verkrachte Existenz" nennen.

3. Kapitel: Start me up - Die Grünen werden Heimat und Sprungbrett

Harmonie, Sonnenblumen, Friedenstauben - das sind die Assoziationen in diesem Teil des Films. Bevorzugt wird eine grobe Farbgebung. Immer wieder sollte die beschauliche Stadt Bonn ins Bild kommen.

Ende der siebziger Jahre werden US-Raketen und Atomkraftwerke die neuen Feindbilder des Joschka Fischer. Er findet sein großes Thema. 1982 wird er Grünen-Mitglied - das wird später der erste "berufliche" Eintrag auf seiner Homepage als Bundesaußenminister. 1983 kommt er als geläuterter "Realo" in den Deutschen Bundestag nach Bonn. Aus dieser Zeit bleibt vor allem ein Satz in Erinnerung, den er im Plenum an Richard Stücklen richtete: "Mit Verlaub, Herr Präsident, Sie sind ein Arschloch!" (Solche Originalszenen sind unbedingt zu zeigen.)

Heiratet zum zweiten Mal.

Fischer nutzt seine alten Netzwerke aus dem "Revolutionären Kampf", um bei den Grünen Karriere zu machen: Parlamentarischer Geschäftsführer der Bundestagsfraktion, Ende 1985 hessischer Umweltminister für 14 Monate.

Heiratet zum dritten Mal.

Nach neun Jahren in Hessen kehrt Fischer 1994 in den Bundestag zurück: Als Fraktionschef. Er erwirbt sich schnell den Ruf, ein brillanter Redner zu sein und wirft Außenminister Klaus Kinkel in der China-Politik "windelweiche Servilität" vor. Fischer sollte als Alphatier und heimlicher Vorsitzender der Grünen gezeigt werden - einer, der sich an Helmut Kohl abarbeitet und selbst zum "Grün-Kohl" wird.

Über all dem wird er zum "Jo-Jo-Joschka": Mal dick, mal dünn. Sein Gewicht wird zum Indikator, dass Fischer gerade wieder eine neue Phase in seinem Leben durchmacht.

4. Kapitel: Highwire - Staatsmann und Realpolitiker

Hier sollte der Held des Films in seinem "zweiten Frühling" geschildert werden. Und zwar vor der Kulisse der Hauptstadt Berlin, vor den großen Plätzen und Gebäuden der Städte New York, Moskau, Paris und London. Einzustreuen sind Bilder des Marathonläufers, der über die Brooklyn Bridge läuft.

Als Bundesaußenminister wird Joschka Fischer ganz schlank, die Kilos hat er sich heruntergejoggt. Das Projekt Rot-Grün ist mit der Ablösung der Ära Kohl 1998 auf dem Höhepunkt, der Marsch durch die Institutionen geschafft.

Es folgt Heirat Nummer vier.

Der alte Kämpfer Fischer argumentiert leidenschaftlich und erfolgreich gegen den grünen Pazifismus um des Pazifismus willen. In einer Alles-oder-Nichts-Rede versammelt er eine grüne Mehrheit für den Kosovo-Krieg hinter sich.

Am Abend der Bundestagswahl 2002 ist er noch einmal der große Held, weil die Grünen dank seines fulminanten Wahlkampfes fast die SPD-Verluste auffangen. Es reicht hauchdünn zu einer Verlängerung für Rot-Grün.

Es folgt der Absturz in der Beliebtheitsskala im Zuge der sogeannten Visa-Affäre. Dramatik kommt auf: Fischer kann Gerhard Schröder nicht von vorgezogenen Neuwahlen abhalten - die das Aus für Rot-Grün bedeuten. So tritt er ins zweite Glied und sagt den Satz aller Sätze: "Ich war einer der letzter Live-Rock-'n'-Roller der deutschen Politik - jetzt kommt in allen Parteien die Playback-Generation."

5. Kapitel: As Tears Go By - Privatier Fischer

Private Szenen würden sich hier gut eignen, solche von munteren Gesprächen an gedeckten Tischen, von Podiumsdiskussionen und Vorträgen an altehrwürdigen Universitäten.

Fürs Erste bleibt Fischer im Bundestag, lässt sich aber nicht blicken, was seine Partei nicht im geringsten zu stören scheint. Die Begründung des Parlamentariers: Überstundenabbau. Er nimmt wieder zu - und verlässt das Parlament. Joschka Fischer, der Mann, der Bücherklauer, Straßenkämpfer, Taxifahrer, Turnschuhminister und Vizekanzler war, redet als Gastdozent in Princeton. Er kann sein Ego pflegen.

Inzwischen zum fünften Mal verheiratet.

Überall auf der Welt hält Fischer gutdotierte Vorträge, schreibt Kolumnen, memoriert sein Leben als grüner Außenminister. Er gibt den leidensfähigen Grünen, der in der Partei bleibt, obwohl er vieles, was seine Nachfolger anstellen, gar nicht abkann.

So wird der geläuterte Politiker zum Villenbesitzer im Berliner Grunewald. Er gründet die Beraterfirma Joschka Fischer Consulting und arbeitet bei der neuen Denkfabrik European Council on Foreign Relations mit, die großzügig vom Milliardär George Soros finanziert wird. Szenen aus dem Grunewald sollten mit Ortsansichten von Gerabronn kontrastriert werden.

Zum Schluss bitte die Atomsphäre eines sogenannten Nobellokals einfangen! Hier, in einem solchen Berliner Etablissement, feiert Joschka Fischer seinen 60. Geburtstag.

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