Finanzkrise:Angela M. - dringend gesucht

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Die Wirtschaft rutscht in die Depression, die Union ist vor dem CDU-Parteitag zerstritten, und die Kanzlerin zaudert, zögert und versteckt sich.

Dieter Degler

In der christlichen Seefahrt gibt es zwei Sorten von Bootsführern: Die einen sind Kapitäne, deren Qualitäten erst so richtig zur Geltung kommen, wenn der Sturm die Wogen türmt, der Mast zu brechen droht und der Untergang droht. Die anderen heißen schlicht Schönwetterkapitäne.

Bekommt Kanzlerin Angela Merkel die Wirtschaftskrise in den Griff - oder ist ihr Konjunkturprogramm reine Symbolpolitik? (Foto: Foto: AP)

Deutschland ist derzeit in einer Phase, in der es eine Crew braucht, die intuitiv den richtigen Kurs findet. Am Steuerrad wird ein Menschen benötigt, der zur ersten Spezies gehört. Das Land hat aber nur die unionsgeführte Regierung und Angela Merkel.

Wäre alles wie immer, könnte sich die Kanzlerin auf dem kommenden CDU-Parteitag feiern lassen wie eh und je: Grundsatzrede, Wahlversprechen, Antragsmarathon und dann standing ovations von Parteivolk, Schwesterpartei und der konservativ-bürgerlichen Presse.

Doch die Zeiten sind so nicht: Deutschland und die Welt stecken in den Anfängen einer Rezession, wie sie der Planet seit einem knappen Jahrhundert nicht erlebt hat. Sie wird, glaubt man der Experten-Mehrheit, tief sein und lange dauern. Und es bedarf aller Kraft, bereits heute den schlimmsten Auswirkungen vorzubeugen.

Konjunkturpaket "zu klein und zu zersplittert"

Das spürt auch die Union. Deshalb steht die Partei- und Regierungschefin erstmals seit ihrem Amtsantritt auch unter Druck von Parteifreunden und Sympathisanten. Natürlich ruft der übliche Hauptverdächtige Josef Schlarmann als Chef der CDU-Mittelstandvereinigung am lautesten nach schnellen Steuersenkungen. Aber diesmal ist er nicht allein. Mit ihm rufen der Wirtschaftsminister und Vereinigungen, die gemeinhin als unionsnah gelten: Wirtschaftsverbände wie der Bundesverband der Industrie oder die Industrie- und Handelskammertage. Oder wichtige Ökonomen.

Das Konjunkturpaket sei "reine Symbolpolitik" sagt der Chef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung. "Zu klein, zu zersplittert", assistiert der Chef-Volkswirt der Deutschen Bank. Der Ex-Wirtschaftsweise Jürgen Kromphardt prognostiziert wie viele seiner Kollegen, die Regierung müsse "deutlich nachlegen".

Auf Rammkurs gegangen ist auch die unter ihrer Wahlniederlage leidende CSU, sonst in Wirtschaftsfragen weitgehend einig mit der großen Schwester. Der CDU und ihrer Chefin, so etwas sagt Ex-Parteichef Erwin Huber heute im Radio, fehle es an wirtschaftlicher Kompetenz und strategischem Weitblick. Merkels ehemaliger Generalsekretär Laurenz Meyer stellt sich in der Steuerfrage öffentlich gegen die ehemalige Chefin. Und die CDU-Regierungschefs aus dem Saarland, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen fordern Merkel ein paar Tage vor dem großen Parteifest offen auf, ihre Klimaschutzziele für eine Weile in die Schublade zu legen - alles der Konjunktur zuliebe. Der Kollege Steinmeier wird sich das alles notiert haben.

Wahr ist, dass Steuersenkungen das teuerste Mittel zur Konjunkturbelebung sind. Eine Senkung der Mehrwertsteuer beispielsweise kommt logischerweise jenen zugute, die es sich leisten können, zu konsumieren - also auch jenen, die ohnehin mehr im Portemonnaie haben als andere. Aber es gäbe jede Menge anderer Felder, auf denen wirtschaftlicher Schrumpfung begegnet werden könnte. Das fängt bei Investitionen oder Investitionshilfen für ökologische und andere Zukunftsbranchen an und hört nicht auf bei der Erhöhung der Hartz-Vier-Sätze, die seit fünf Jahren eingefroren sind.

Merkels Politik wirkt hilflos

Hinter der Kritik der Parteifreunde an Merkels Entscheidungen zu Teilaspekten der Wirtschaftskrise stecken wachsende Zweifel an der Gesamtfähigkeit der CDU-Chefin, das schlingernde Schiff unter Kontrolle zu bekommen. Merkels Versuche, der drohenden Mega-Rezession wirksam vorzubeugen, wirken hilflos: Einerseits zu sprunghaft - noch vor wenigen Wochen hielt sie Deutschland für gefeit gegen die Folgen der Subprime-Krise, dann ließ sie hektisch das Bankenpaket schnüren - andererseits zu zögerlich und kleinkariert, lautet der Vorwurf.

Tatsächlich schwächelt die deutsche Kanzlerin im internationalen Vergleich beachtlich. Die USA, von denen die Krise ausging, stemmen nach einem schwerwiegenden Fehler, dem Zulassen des Konkurses von Lehmann Brothers, in einem Kraftakt mindestens drei Billionen Dollar, um einem Wirtschaftskollaps vorzubeugen. Englands Premier Gordon Brown senkt unter Schmerzen die Mehrwertsteuer um 2,5 Prozentpunkte, China bringt knapp zwei Billionen Euro zur Krisenlinderung auf. Und Frankreich fordert mit Macht eine konzertierte EU-Aktion, die über das Aufaddieren nationaler Programme hinausgeht.

Und Merkel-Deutschland? Blockiert europaweite Lösungsansätze. Schöpft seine fiskalischen Möglichkeiten nicht aus. Verschiebt konjunkturfördernde Maßnahmen. Und wenn der Berliner Berg gekreißt hat, wie am Dienstag dieser Woche, kommt ein 12-Milliarden-Mäuschen heraus, das den Namen Konjunkturprogramm nicht verdient. Das ist das Krisenmanagement der weltgrößten Exportnation und der globalen Nummer vier nach Wirtschaftskraft.

"Wo ist Angela", fragt diese Woche der Economist und fordert sie zu profilierterem Handeln auf. Die Frage könnte Frau Merkel auch auf ihrem Parteitag zu hören bekommen.

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