Feuer gelegt:Brennende Autos auch in Deutschland

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In Bremen und Berlin haben Unbekannte in den letzten Nächten Müll- und Kleidercontainer angesteckt, mehrere Autos gingen in Flammen auf. Bislang sind die Motive der Täter noch unklar. Mit Ausschreitungen wie in Frankreich rechnen Fachleute jedoch nicht.

Eine Serie von Brandstiftungen vom Wochenende hat sich in der Nacht zum Montag fortgesetzt. Trotz erhöhter Polizeipräsenz brannten in Bremen Müll- und Kleidercontainer, seien sechs Müll- und ein Kleidercontainer in Flammen aufgegangen, teilte die Polizei mit.

Bremer Feuerwehr löscht ein brennendes Wohnmobil. (Foto: Foto: ddp)

Es sei bei geringen Sachschäden geblieben. Hinweise auf die Täter gebe es noch nicht.

Bereits in der Nacht zum Sonntag waren im Stadtteil Huchting, wo viele sozial Schwache leben, mehrere Brände gelegt worden. Auf dem Gelände eines Autohandels setzten Unbekannte drei Autos in Brand. Durch die Flammen wurden drei weitere Fahrzeuge beschädigt. Später brannte es in einer leer stehenden Schule.

Die Polizei werde ihre erhöhte Präsenz in dem Stadtteil aufrechterhalten, um weitere Brandstiftungen zu verhindern, sagte ein Sprecher.

Im Berliner Stadtteil Moabit wurden fünf Autos angezündet.

Über die Hintergründe der Brandstiftungen sei nichts bekannt, sagte ein Sprecher auf die Frage, ob ein Zusammenhang mit den gewaltsamen Unruhen in Frankreich möglich sei.

Warnung vor französischen Verhältnissen

Politiker von CDU und SPD warnen inzwischen vor Verhältnissen wie im Nachbarland, sollte es nicht gelingen, zugewanderte Bevölkerungsgruppen stärker zu integrieren.

"Wir müssen die Integration verbessern, insbesondere der jungen Leute", sagte der designierte Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) der Bild-Zeitung.

Die Verhältnisse in Frankreich seien zwar anders als hierzulande, "aber auch bei uns entwickeln sich Viertel mit hohem Ausländeranteil, die sich immer mehr von der übrigen Gesellschaft abschotten", sagte Schäuble.

Daher sei es notwendig, dass Jugendliche ausländischer Herkunft die deutsche Sprache beherrschten. Eine gute Schulbildung und mehr Chancen auf Lehrstellen und Arbeitsplätze seien sehr wichtig.

Der stellvertretende Unionsfraktionsvorsitzende Wolfgang Bosbach warnte sogar, Krawalle wie in Frankreich seien auch in Deutschland möglich. Kaum ein anderes Land habe in den vergangenen Jahrzehnten so viele Zuwanderer aufgenommen wie die Bundesrepublik, schrieb Bosbach in der Bild am Sonntag. "Parallelgesellschaften existieren auch in unserer Mitte".

SPD-Fraktionsvize Michael Müller erklärte in Berlin, die Entwicklung in Frankreich sei "eine alarmierende Warnung auch an uns". In Deutschland nähmen "Desintegration und sozial-kulturelle Konflikte zu".

Auch die Türkische Gemeinde in Deutschland sieht hierzulande einen Nährboden für Proteste. Sie bezeichnete die Bildungssituation und die Situation auf dem Ausbildungs- und Arbeitsmarkt in Deutschland als prekär.

Die Arbeitslosigkeit unter Migranten sei doppelt so hoch wie bei der einheimischen Bevölkerung, die Ausbildungsbeteiligung seit Jahren rückgängig.

Mehr Integrationsbemühungen angemahnt

"Wenn es in den nächsten Jahren so weitergeht, besteht ernsthaft die Gefahr, ähnliche Verhältnisse hier zu haben", erklärte der Vorsitzende Kenan Kolat mit Blick auf Frankreich.

Er appellierte an die designierte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), mehr für die Eingliederung und Chancengleichheit der Migranten zu tun.

Auch die amtierende Bundesregierung hat verstärkte Integrationsbemühungen in Deutschland angemahnt. "Die Bilder aus Paris sind für alle insofern eine Mahnung, dass Integrationsbemühungen niemals abgeschlossen oder für beendet erklärt werden dürfen, sondern dass sie immer mit Elan fortgesetzt werden müssen", sagte Vize-Regierungssprecher Thomas Steg in Berlin.

Unruhen wie in Frankreich eher unwahrscheinlich

Der Migrationsforscher Dieter Oberndörfer hält dies für eher unwahrscheinlich. "Wir haben unterschiedliche Siedlungsstrukturen und andere Einwanderer als in Frankreich", sagte Oberndörfer in einem Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur.

Auch Christian Pfeiffer, Direktor des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen, sieht Unterschiede zwischen Deutschland und Frankreich. (Siehe Interview).

Es würde ihn jedoch nicht überraschen, wenn die Krawalle in Frankreichs Vororten diesseits des Rheins Nachahmer fänden. Zu faszinierend seien die Bilder brennender Autos für einige junge Leute, zu verlockend die Aussicht, auf der ersten Seite der Zeitung und in den Nachrichtensendungen zu landen.

Zugleich warnt der Kriminologe vor Panikmache. Trotz massiver Benachteiligung junger Migranten in der Schule und auf dem Arbeitsmarkt sei die Integration in Deutschland besser gelungen und der Nährboden für Gewalt nicht so groß.

Auch der Bielefelder Jugendforscher Klaus Hurrelmann hat festgestellt, dass sich der Frust junger Migranten über den deutschen Staat in Grenzen hält - allen Benachteiligungen zum Trotz.

Vor allem das duale Ausbildungssystem von Berufsschule und Lehre ermögliche es vielen, auch ohne Abitur einen anerkannten Berufsweg einzuschlagen. "Sie spüren, dass der Staat sie nicht auf der Straße stehen lässt", sagt Hurrelmann. Auch sei die Ghetto-Bildung in Deutschland weniger extrem verlaufen als im Nachbarland.

Doch die Wissenschaftler warnen davor, in Sachen Integration die Hände in den Schoß zu legen. "Es braut sich etwas zusammen", prophezeit der Kriminologe Pfeiffer mit Blick auf die sozialen Brennpunkte mit hohem Ausländeranteil.

Die Vorfälle in Paris zeigten, wie wichtig eine Integrationspolitik ist, so Oberndörfer. "Bei den Koalitionsverhandlungen darf die Integrationsförderung nicht heruntergeschraubt werden", warnte der Politikwissenschaftler. Die mit dem Zuwanderungsgesetz angebotenen Sprachkurse seien eher noch zu wenig.

In Frankreich komme eine Großteil der Einwanderer aus den ehemaligen Kolonien, betonte Oberndörfer. "Die französische Gesellschaft hat sich um die nicht gekümmert."

Nach der weitgehenden Automatisierung der Industrie seien sehr viele arbeitslos geworden und hätten extrem schlechte Chancen auf dem Arbeitsmarkt. Probleme gebe es vor allem mit der so genannten dritten Generation, die nicht mehr von sozialen Normen der Eltern geprägt sei.

Ähnliche Probleme gebe es zwar auch in Deutschland. Aber eine große Gruppe, die türkischen Einwanderer, sei sehr viel integrationsfähiger als etwa die Marokkaner in Frankreich, bei denen es fast unlösbare Integrationsprobleme gebe.

Außerdem seien nur Teile der in Deutschland lebenden Türken an den Islam gebunden. "In Frankreich hat der Islam unter den Zuwanderern eine größere Relevanz für ihre Identität."

Eine wesentliche Rolle in Frankreich spielten die extrem ungünstigen und unmenschlichen Trabantensiedlungen mit Hochhäusern ohne Infrastruktur. "In Deutschland gibt es nur wenige Städte mit dieser hohen Ausländerkonzentration und keine vergleichbaren Orte mit solch schlechter sozialer Infrastruktur", sagte Oberndörfer.

Aber auch in Deutschland gebe es große Defizite. Viele Migranten verfügten nur über schlechte Sprachkenntnisse und über schlechte oder gar keine berufliche Ausbildung. "Wir müssen uns bemühen, durch die Bildungspolitik diese Defizite zu beseitigen, damit Chancengleichheit hergestellt wird."

Oberndörfer warnte davor, die Einstellung zu Ausländern in Deutschland nicht durch die Krawalle in Frankreich weiter zu verschlechtern. "Wichtig ist vielmehr, dass wir uns allmählich öffnen für eine Integration, die Akzeptanz heißt."

Auch dürften trotz aller Defizite auch die Erfolge der Integration nicht vergessen werden, sagte Oberndörfer und verwies auf die große Zahl türkischer Unternehmen in Deutschland.

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