FDP-Parteitag:Geschlossene Veranstaltung

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Die Partei will, dass Bildung Bundessache wird . Für dieses Ziel will man sogar zahlen.

Von Stefan Braun, Berlin

Man kann nicht sagen, dass der Mann nicht alles versucht. Er zeigt wirklich, was er drauf hat. ,,Verdammt noch mal, das rocken wir'', ruft er in die Halle - und die Delegierten jubeln. ,,Wenn mir einer sagt: Das schaffst du nicht, dann geht es bei mir erst richtig los'', erklärt er und erntet rauschenden Beifall. Der Mann trifft den Ton, die Damen und Herren von der FDP sind begeistert. ,,Wenn ich mir eine Sache in den Kopf gesetzt habe, dann kämpfe ich bis zum Letzten.'' Hinter ihm wirbt ein Großplakat für mehr ,,German Mut''; er selbst zeigt am Mikrofon, was er damit verbindet. Eine FDP im Kampfmodus, eine, die ihr Haupt hebt und Selbstbewusstsein zelebriert - das ist es, was die gut 600 Delegierten hören möchten.

Erstaunlich ist nur, dass da oben nicht Christian Lindner seine Leidenschaft aus-lebt. Es ist Albert Duin, der FDP-Chef aus Bayern. Und der 61-jährige Unternehmer aus München hält hier keine Rede nur für die Parteifreunde, er will kein Vorredner oder Einpeitscher sein. Duin will Stellver-treter Lindners in der Bundespartei wer-den. In einer Kampfkandidatur. Gegen Lindners erklärte Favoritin, die Düsseldor-fer Kommunalpolitikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann.

So etwas passt eigentlich gut in diese Partei der selbsterklärten Freigeister. Aber es passt nicht so recht in diese FDP des Neuanfangs. Denn so sehr sie ihn auch beklatschen und feiern, als wenig später das Wahlergebnis bekannt wird, ist der ganze Beifall nicht allzu viel wert gewesen. Die an diesem Tag eher spröde wirkende, durch Duins Offensive verunsicherte Strack-Zimmermann hat die Nase knapp vorn - und die Partei hat gezeigt, dass sie Kämpfer gerne bejubelt, aber im erhofften Neustart Störungen lieber vermeidet. ,,Mut, Mut, Mut in allen Lebenslagen'', hatte Duin eingefordert. Stabilität, Stabilität, Stabilität ist das, was der Parteitag bevorzugt.

Das zeigt sich auch bei allen anderen Personalentscheidungen, vorneweg beim Parteichef. Gut 92 Prozent der Stimmen erhält Lindner, sein sogenannter erster Stellvertreter Wolfgang Kubicki kommt sogar auf zwei Prozentpunkte mehr. Dazu rückt die Hamburgerin Katja Suding zur dritten Stellvertreterin auf - und selbst der einst als Enfant terrible wahrgenommene, jetzt aber zurückkehrende Holger Zastrow aus Sachsen schafft es in die Parteispitze. Was Lindner wollte, bekommt er. Mag sein, dass in die Partei nach den kleinen Wahlerfolgen von Hamburg und Bremen ein bisschen Optimismus einzieht. Für Experimente ist sie - noch - nicht zu haben.

Die Partei bejubelt gern Kämpfer. Aber Störungen sollen beim Neustart besser vermieden werden

Und das ist nach den totalen Erschütterungen der letzten Jahre irgendwie sogar verständlich. Keiner wollte auf diese Truppe noch einen Pfifferling geben, als im Herbst 2013 die Katastrophe eintrat und die Freien Demokraten aus dem Bundestag herauskatapultiert wurden. Noch schlimmer war das Jahr, das auf dieses Desaster folgte: 2014. Europawahl - Niederlage. Sachsenwahl, Thüringen, Brandenburg - überall Debakel und der Verlust von Landtagsmandaten. Die düstersten Prognosen schienen einzutreten.

Bis Frau Suding in Hamburg und Frau Steiner in Bremen eine erste Wende schafften. Auf niedrigem Niveau versteht sich, die eine bei gut sieben, die andere bei gut sechs Prozent. Und das in zwei Stadtstaaten. Wie groß die Anstrengung dafür war, könnte man bei den lächelnden Auftritten der beiden in Berlin fast vergessen. Steiner, die 29-Jährige, ist erst nach dem Erfolg am vorvergangenen Sonntag in die FDP eingetreten und schafft es jetzt schon n den Bundesvorstand. Große Krisen eröffnen große Möglichkeiten.

Doch das hat Geld gekostet und zwingt zu besonderen Maßnahmen. So sehr sogar, dass die Delegierten Lindner und seinem Schatzmeister Hermann Otto Solms etwas gestatten, was in all den Jahrzehnten vorher undenkbar gewesen wäre: eine Sonderumlage. 25 Euro pro Mitglied pro Jahr bis 2017 - das sollen die Kreisverbände für einen gemeinsamen Wahlkampftopf aufbringen. Wann, wenn nicht jetzt, müsse die Partei ein solches Signal der Geschlossenheit senden, hat Lindner in den Saal gerufen. Viele haben skeptisch geschaut und dann doch die Hand gehoben. Was auch darum bemerkenswert ist, weil sich mit dem neuen Geldtopf ein Mitspracherecht der Bundespartei bei allen kommenden Wahlen verbindet.

Wie anstrengend derart viel Loyalität mit der Parteispitze sein kann, zeigt sich beim Thema Bildung. Und das, obwohl Lindner keineswegs eine Revolution ausruft. Er möchte schlicht das seit Langem lähmende Kooperationsverbot zwischen Bund und Ländern aufbrechen, will also, dass der Bund künftig mitfinanzieren und mitsprechen darf, Bildungsstandards und Abschlüsse bundesweit eingehalten werden - eine Forderung, die seit Langem über Parteigrenzen hinweg diskutiert wird. Und doch ächzen in Berlin viele, weil sie sich in den vergangenen Jahrzehnten so sehr ins Schlagwort vom Bildungswettbewerb verliebt haben. Mehr als zwei Stunden muss Lindner ringen. Er spricht von der ,,Lebenslüge'', dass hier Baden-Württemberg und Bremen in Wettbewerb stünden. Heute gehe es um den Wettkampf zwischen China, Amerika und Europa. Deshalb könne man nicht mehr weitermachen wie bisher.

Widerstand gibt es trotzdem. Bis Lindner unerwartete Hilfe bekommt, und zwar von einem Gegner. Als der Ex-Landeschef von Niedersachsen, Walter Hirche, vor einem ,,Reichsschulministerium'' warnt, kippt die Stimmung. Debatte - ja. Widerspruch - auch mal. Aber mit solchen Attacken will die Mehrheit dann doch nichts zu tun haben. Eine knappe Mehrheit stimmt für Lindners Vorschlag. Danach kann man sehen, wie alle aufatmen.

Am Ende wird die schwere Bildungsdebatte dann aber doch noch von einem vergleichsweise leichten Thema überdeckt. Auf Betreiben der Jungen Liberalen stimmen 62 Prozent der Delegierten für eine Legalisierung von Cannabis unter strikten Auflagen. So etwas gab es bisher nur bei Grünen und Linken.

© SZ vom 18.05.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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