Fall Wirecard:Der Druck auf die Regierung wächst

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Das Finanzministerium beteuert, Informationen ans Kanzleramt weitergegeben zu haben. Unklar ist, ob sie Merkel auch erreichten.

Von Cerstin Gammelin, Berlin

Die Betrugsaffäre um den Zahlungsdienstleister Wirecard sorgt für Turbulenzen in der großen Koalition. Das Bundesfinanzministerium teilte am Montagabend mit, man habe das Kanzleramt unmittelbar vor einer geplanten Reise von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) über die laufenden Ermittlungen der Finanzaufsicht Bafin gegen den Zahlungsdienstleister Wirecard wegen mutmaßlicher Marktmanipulation informiert. "Am 23. August 2019 hat das Bundesfinanzministerium auf Anfrage des Kanzleramts per E-Mail verschiedene Informationen zum Fall Wirecard weitergegeben", sagte ein Sprecher von Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) der Süddeutschen Zeitung. Unter anderem sei auf Auskünfte der Bundesregierung auf verschiedene Anfragen von Bundestagsabgeordneten zu Vorwürfen gegen Wirecard hingewiesen worden. Die Auskünfte seien auf Arbeitsebene übermittelt worden, also nicht vom Minister selbst oder höheren Beamten.

Ob die Auskünfte Angela Merkel erreicht haben, blieb am Montag zunächst ungeklärt. Merkel hatte auf ihrer Reise nach China Anfang September 2019 die dortige Regierung über das geplante Chinageschäft von Wirecard informiert. Das bestätigte eine Regierungssprecherin am Montag. Ob Merkel zu diesem Zeitpunkt bereits von dem Verdacht wusste, ließ die Sprecherin offen. Merkel habe jedenfalls im Februar 2019 keine Kenntnis von Unregelmäßigkeiten bei Wirecard gehabt. Der Skandal sei "ein großes, wichtiges Thema, bei dem sich die Bundesregierung um umfassende Aufklärung bemüht".

Für die Kanzlerin gehört es zur Routine, im Ausland für deutsche Firmen zu werben. Im Fall Wirecard könnte das nun allerdings heikel werden: Das Unternehmen hat Insolvenz angemeldet und eingestanden, dass es Luftbuchungen im Wert von fast zwei Milliarden Euro durchgeführt hat. Der Ruf des Finanzplatzes Deutschland und Anleger sind geschädigt. Scholz (SPD) war gut sechs Monate vor der Reise der Kanzlerin, am 14. Februar 2019, von der Bafin über den Betrugsverdacht informiert worden. Dass er die Kanzlerin nicht selbst unterricht hat, zeigt, dass der Verdacht damals nicht als gravierend betrachtet worden war.

Der Finanzausschuss des Bundestags will auf einer Sondersitzung am Mittwoch kommender Woche die Vorgänge aufarbeiten. Neben Scholz sind Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) und ein Vertreter der Deutschen Prüfstelle für Rechnungslegung eingeladen.

Es sei unakzeptabel, dass alle Beteiligten "auf Dienst nach Vorschrift" verwiesen, sagte Grünen-Finanzexperte Danyal Bayaz. Merkel hätte von den zuständigen Ministern und Behörden längst gewarnt sein müssen. Florian Toncar (FDP) forderte zu klären, "ob Wirecard als vermeintliches Vorzeigeunternehmen von der Politik eine Vorzugsbehandlung bekommen habe". Die Sondersitzung sei "die letzte Chance, einen Untersuchungsausschuss abzuwehren", sagte Linken-Fraktionsvize Fabio De Masi.

© SZ vom 21.07.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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