Fall Litwinenko:Deutsche ermitteln gegen russischen Ex-Spion

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In Hamburg wurde an mehreren Orten das radioaktive Polonium nachgewiesen - unter anderem bei der geschiedenen Frau des Ex-Spions Dimitrij Kowtun. Für die Bevölkerung besteht keine Gefahr. Die Staatsanwaltschaft ermittelt wegen Missbrauchs von radioaktivem Material - doch womöglich ist Kowtun in die Ermordung Litwinenkos verwickelt.

Zwei Wochen nach dem Tod des russischen Ex-Spions Alexander Litwinenko hat sich der Fall auf Deutschland ausgeweitet. In Hamburg wurden Spuren des Strahlengiftes Polonium nachgewiesen. Sie stammen von dem russischen Geschäftsmann und Ex-Geheimdienstler Dimitrij Kowtun. Für die Bevölkerung besteht laut Behörden keine Gefahr.

Beamte des Bundeskriminalamtes tragen eine Kiste aus einem Haus im Hamburg Ottensen (Foto: Foto: ddp)

Die Staatsanwaltschaft ermittelt inzwischen gegen den russischen Geschäftsmann Dimitri Kowtun, einen Kontaktmann Litwinenkos. Die Ermittlungen beziehen sich zunächst auf den Missbrauch radioaktiven Materials. Kowtun hatte Litwinenko am 1. November in London getroffen und sich zuvor drei Tage in Hamburg aufgehalten. Gegenwärtig liegt er in einer Moskauer Klinik.

Bei den in einer Wohnung im Hamburger Stadtteil Ottensen aufgespürten radioaktiven Stoffen handelt es sich nach Angaben des Bundesamtes für Strahlenschutz (BfS) und der Polizei definitiv um Polonium 210. Dies sei mit hundertprozentiger Sicherheit festgestellt worden, sagte ein Polizeisprecher am Sonntag.

Auch im Haus der früheren Schwiegermutter Kowtuns im Kreis Pinneberg wurden am Wochenende radioaktive Spuren gefunden, bei denen es sich laut Strahlenschutzamt mit hoher Wahrscheinlichkeit um Polonium handelt.

Hamburgs Polizeipräsident Werner Jantosch sagte, es spreche nichts dafür, dass der Fall Litwinenko seine Wurzeln in Hamburg habe. Er beruhigte zugleich die Bevölkerung.

Keine kontaminierten Personen

Es seien keine kontaminierten Personen festgestellt worden, erläuterte ein Sprecher der Polizei. Ein BfS-Experte bestätigte: "Wir können eindeutig sagen, dass hier keine Gesundheitsgefährdungen bestehen". Dazu seien die aufgefunden Spuren zu schwach.

Im Zusammenhang mit dem Gifttod Litwinenkos waren zuerst in London Spuren von Polonium entdeckt worden. In Hamburg und Schleswig-Holstein waren am Wochenende mehrere Wohnungen untersucht worden. Was die Ermittlungen gegen Kowtun angehe, gebe es "einen zulänglichen Anfangsverdacht, dass er nicht nur Opfer, sondern auch Täter sein kann", sagte der leitende Oberstaatsanwalt Martin Köhnke.

Die Gesamtschau der Erkenntnisse habe die Staatsanwaltschaft dazu veranlasst, ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts des unerlaubten Umgangs mit strahlendem Material einzuleiten.

Die Polonium-Spuren wurden in der Hamburger Wohnung der Exfrau Kowtuns sowie in einem von ihm benutzten Auto und auf einem Dokument der Ausländerbehörde gefunden, das er in der Hand gehabt hat. Mit Polonium war Litwinenko vermutlich bei dem Treffen am 1. November im Londoner Millenium Hotel vergiftet worden. 23 Tage später ist er in London gestorben.

Kowtun war nach den bisherigen Ermittlungen am 28. Oktober mit einer Aeroflot-Maschine von Moskau nach Hamburg gekommen. Dort hat er das Auto, in dem jetzt die Polonium-Spuren entdeckt wurden, genutzt. Am 30. Oktober war er in der Hamburger Ausländerbehörde.

Germanwings-Flugzeug untersucht

In der Nacht zum 1. November übernachtete er in der Wohnung seiner Exfrau auf der Couch. Am Morgen des 1. November flog er mit einer Germanwings-Maschine nach London. In dem Flugzeug waren bei einer Untersuchung am Samstag allerdings keine Strahlenspuren festgestellt worden. Dies könnte nach Auskunft der Ermittler damit zusammenhängen, dass das Flugzeug in der Zwischenzeit gründlich gereinigt worden sein könnte.

Kowtun ist, soweit bisher bekannt geworden ist, der dritte entdeckte Mann in der mutmaßlichen Polonium-Mordaffäre. Der zweite Mann, der russische Geschäftsmann und ebenfalls Ex-Geheimdienstler Andrej Lugowoj, liegt strahlenbelastet in einem Moskauer Krankenhaus. Um Kowtuns Spuren in Hamburg aufzudecken, hatte die Polizei zusammen mit dem Bundeskriminalamt die Sonderkommission "Dritter Mann" gebildet.

Ein Soko-Name, der Erinnerungen weckt an die Zeiten des Kalten Krieges und des Schwarzhandels nach dem Zweiten Weltkrieg. Und an die preisgekrönte Graham-Greene-Verfilmung aus dem Jahr 1949 "Der Dritte Mann" mit Orson Welles.

© SZ vom 11.12.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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