Falkland-Krieg:Gewinner auf der Insel der Gräber

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Der Falkland-Krieg 1982 hat auch 25 Jahre später noch Folgen für die kleine Insel im Südatlantik. Die Briten sehen ihn als heute als Glücksfall an, den Argentiniern bleiben nur böse Erinnerungen.

Von Peter Burghardt

Stanley, im März - Gerald Cheek führt gern zu den Orten, an denen der Feind bezwungen wurde. Sein neuer Geländewagen wackelt über den Feldweg vorbei am Golfplatz, auch dort wurde vor 25 Jahren geschossen, hinauf in die Hügel von Stanley.

Hier oben gewann Großbritannien das letzte Gefecht um die Falkland-Inseln, die der Gegner Argentinien Islas Malvinas nennt - 12 668 Kilometer und zwei Jahreszeiten entfernt von London, 1937 Kilometer weit weg von Buenos Aires.

Zwischen zerklüfteten Felsen und windgebeugtem Gras klaffen Bombenkrater, gefüllt mit Regenwasser, wanken ein verrosteter Maschinengewehrständer, ein Kreuz für gefallene Briten. Die weite Umgebung ist selbst unter tiefen, grauen Wolken beeindruckend. "Wunderbare Landschaft, aber kalte Nächte", sagt Cheek, ein stämmiger Rentner von 66 Jahren mit rosigem Gesicht und englischem Humor.

Seine Familie lebt seit fünf Generationen auf dem Archipel im Südatlantik, das die Krone 1833 in Beschlag nahm. Nie ging es ihnen besser als seit jener Schlacht.

Drunten leuchten die roten und grünen Dächer von Stanley, der kleinen Hauptstadt. Hinten im Dunst liegen die Dünen von Gypsy Cove, auch sie gehören zur Route von Hobbyreiseführern wie Cheek.

Der Strand ist blendend weiß und das Wasser tiefblau, allerdings eisig. Außerdem versperrt Stacheldraht manche Buchten, 20 000 argentinische Minen wurden nie geräumt. "Danger, Mines", warnen Schilder mit Totenkopf. Dazwischen watscheln Pinguine, mehr als eine Million davon bewohnt dieses britische Übersee-Territorium im Süden Südamerikas, das größer ist als Jamaika oder der Libanon.

Außerdem gibt es scharenweise Wildgänse, Greifvögel, Seelöwen, Delphine und laut amtlicher Statistik 540 026 Schafe, die Wappentiere. Fest ansässige Menschen sind es derzeit 2955, informiert die Lokalzeitung Penguin News, erweitert durch Soldaten, Fischer, Touristen, Reporter. "Alle wollen die Pinguine sehen", sagt Cheek. "Aber interessant hat uns der Krieg gemacht."

Rückblick: Falkland-Krieg

Er leitete Flugplatz und zivile Selbstverteidigung von Stanley, als bei Sonnenuntergang am 2. April 1982 die Argentinier kamen. "Sie hätten 100 hübsche Mädchen schicken sollen, das wäre sehr viel effektiver gewesen", sagt Cheek glucksend, statt dessen landeten Marineinfanteristen und Fallschirmjäger.

Er blockierte die Piste mit Steinen, doch nach ersten Scharmützeln befahl der Gouverneur, sich zu ergeben. Es wachten damals nur 42 Royal Marines über die Insel, das Anhängsel am Ende der Welt war der Zentrale lästig gewesen.

"Die britische Regierung wäre vorher froh gewesen, uns an Argentinien los zu werden", sagt Cheek. Aber nicht so. Statt des Union Jack wehte plötzlich die hellblauweiße Fahne, statt links wurde rechts gefahren, und Stanley hieß Puerto Argentino.

Argentinien schickte 13 000 Soldaten, das Land betrachtet die Malvinas seit spanischen Kolonialzeiten als sein Eigentum. "Ihr habt mir mein Land weggenommen", schrie Cheek einem Offizier zu. Dann kam der Gegenangriff.

Der Coup der innenpolitisch schwachen Militärdiktatur Argentiniens reizte das Imperium aufs Blut. Und Premierministerin Margaret Thatcher entdeckte mit Hilfe der USA eine Chance, sich selbst wieder beliebt zu machen.

Die Eiserne Lady entsandte Luftwaffe und Flotte, darunter den Flugzeugträger HMS Invincible, die Queen Elizabeth II. diente als Truppentransporter. Anfang Mai begann die Gegenoffensive, 72 Tage später hießen die Malvinas wieder Falklands. Es starben offiziell 258 Briten und 649 Argentinier, 323 davon auf dem versenkten Kreuzer General Belgrano. Drei Einheimische wurden von einer fehlgeleiteten Rakete getötet.

Gerald Cheek verfolgte das Grauen auf BBC World und im Lokalradio, er wurde während der Kämpfe auf eine Farm auf der West-Insel deportiert. "Eine ziemlich traurige Geschichte das Ganze", sagt er. Andererseits, "für uns war es gut. Der Krieg hat uns auf die Landkarte gesetzt."

Jahre später.....

In Buenos Aires stürzte die Junta, allmählich kehrte die Demokratie zurück. In England gewann die konservative Feldherrin Thatcher die Wahlen. Und die Falklands erlebten einen erstaunlichen Aufschwung.

Flugreisende landen heute zwischen olivgrünen Hangars und Bunkern in Mount Pleasant, dem modernen Stützpunkt der British Forces South Atlantic Islands, zu denen auch die Sandwich-Inseln und Süd-Georgien gehören.

Der Stempel "Government of the Falkland Islands" bedeckt im Pass eine halbe Seite. Es wurde gewaltig investiert, dabei gibt es nur je einen wöchentlichen Flug mit einer Militärmaschine aus Oxfordshire sowie der Linie Lan aus Chile mit monatlichem Zwischenstopp in Rio Gallegos, Argentinien.

Auf der Piste begrüßt eine Flak die Besucher, vor dem Terminal ein Kampfbomber des Typs Tornado, es gelten die Regeln der Armee. Mehr als 2000 Soldaten sind hier stationiert, fast einer pro Einwohner, 50 mal so viele wie vor den Krieg.

Downing Street und Buckinham Palace glauben, ihr mühsam zurückerkämpftes Gebiet besser schützen zu müssen als seinerzeit. Man traut den Besiegten nicht. Und es gibt mehr zu verteidigen denn je.

Leben von Fischfang und Tourismus

In den stürmischen Gewässern schwimmt jede Menge Fisch, vor allem Seehecht und Calamar, wie er in Europa in frittierten Ringen auf den Teller kommt. Mit den Fangrechten verdienen die Falklands jährlich 60 Millionen Euro, mit Argentinien wird erbittert um Reviere gestritten, andere Eindringlinge werden notfalls mit Waffengewalt vertrieben.

50 000 Urlauber kommen pro Saison für wenigstens ein paar Stunden vorbei, Kreuzfahrtschiffe ankern neben Fischtrawlern und Wracks in der Bucht. Farmer verkaufen Schaffleisch und Wolle in die ferne EU.

Und auf dem Tisch im Büro der Direktorin für Bodenschätze und Landwirtschaft steht ein Würfel aus Plexiglas mit einem goldbraunen Tropfen in der Mitte, Erdöl.

"Das könnte unsere Zukunft sein", sagt Phyl Rendell und nippt an der Kaffeetasse mit Aufdruck Britisches Geologisches Institut. Laut Studien und Probebohrungen wären im Hoheitsgebiet der Falklands alias Malvinas bis zu 500 000 Barrel täglich aus dem Meeresboden zu holen, Aussichten wie in einem Emirat.

Forschungsschiffe aus Norwegen und Spanien sind im Einsatz, eine Plattform soll folgen. Ein Ölboom wäre eine neue Quelle des Konflikts mit Argentinien, wobei die erste Euphorie etwas nachgelassen hat.

Eigene Währung auf der Insel - wie in Großbritannien

Die Dorfbevölkerung bezahlt mit Falkland-Pfund, der Währung des Mutterlandes ebenbürtig. Von Scheinen und Münzen grüßt Ihre Majestät, ihr Statthalter ist der Gouverneur, er wohnt in einem Herrenhaus mit Pferden. Das durchschnittliche Jahreseinkommen von 18 000 Euro ist Spanien oder Neuseeland ähnlicher als Argentinien.

Gerald Cheek bekommt als Rentner 26 000 Pfund, 40 000 Euro, sein allradgetriebenes Auto kostete 16 000 Pfund, fast jeder Falkländer besitzt so ein Gefährt. Der Besuch der schicken Schule mit Schwimmbad und Bibliothek sowie des Klinikums Henry VII. sind gratis.

Die besten Geschäfte macht die Falkland Islands Company, zu deren Aktionären gehören Honoratioren der Inselverwaltung wie Mike Summers. Er empfängt in der weißen Regierungshütte an der Uferpromenade unter dem Portrait der Queen und erläutert, man brauche keine Parteien und keine Opposition. "Der Krieg war für die Falklands positiv", findet Summers, er selbst befand sich derweil in England.

Multi-Kulti-Nationalitäten

Inzwischen hat der Fortschritt allerlei Nationalitäten in sein Stanley gespült, nach einer Woche glaubt man trotzdem, jeden Einwohner seit Jahren zu kennen. Viele Chilenen sind darunter und sogar ein paar Argentinier, die über alles sprechen, außer über Politik. Einer von ihnen berichtet, ihm sei Buenos Aires zu unsicher geworden, als Schlachter und Mitglied einer Putzkolonne verdiene er dreimal so viel wie zu Hause als Beamter.

Im plüschigen Hotel Upland Goose mit den Thatcher-Fotos über den Polstersesseln serviert Personal aus St. Helena, einer anderen Filiale des Königreiches, das Frühstück mit Baked Beans und aufgewärmtem Kaffee.

Weiß gestrichene Zäune an aufgeräumten Straßen begrenzen Vorgärten mit Gartenzwergen und Granathülsen, ein Metallarbeiter sammelt Walknochen, protestiert gegen Walfang und hält sich ein Rentier an der Leine.

Vor dem Post Office stehen feuerrote Telefonzellen. Es gibt drei Kirchen, sonntags ist es totenstill. Im West Store beeindruckt die Alkoholabteilung, in den Gift Shops warten Rudel von Stoffpinguinen. Die Pubs heißen Globe Tavern, Deanos sowie Victory Bar und schließen um elf, so englisch ist selbst England nicht mehr.

Den Globe führte einmal Gary Clement, an der Wand hängen Schnellfeuergewehre wie Trophäen, jetzt leitet er die Jugendherberge. Er war als Rekrut auf den Falklands stationiert gewesen, im Mai 1982 kam er mit der Task Force zurück, später ließ er sich hier nieder. Helden wie ihm gelten die alten Schlagzeilen ("WIR SIND SO STOLZ AUF EUCH") im Stadtmuseum und das Ehrenmal am "Thatcher-Drive".

"In Erinnerung an jene, die uns befreit haben, 14. Juni 1982", steht in goldener Schrift auf der Marmorsäule; ein anderes Monument ist denen gewidmet, die 1914 das deutsche Geschwader unter Graf Spee besiegten.

"Wir haben unseren Job gemacht", sagt Clement, 51, ein freundlicher Mann mit Glatze und breitem Nacken. "Es hat sich gelohnt, ich würde es wieder tun." Inzwischen ist er Zivilist und hat im Prinzip nichts gegen Argentinier. "Wir könnten Freunde werden", wenn sich nur die Argentinier damit abfinden würden, dass sie bestenfalls Gäste sind. An einem Souvenirladen steht: "Argentinier, ihr seid willkommen, wenn ihr eure Forderungen endlich fallen lasst und unser Recht auf Selbstbestimmung akzeptiert."

Argentinier auf der Insel bestattet - Tote Briten nach Hause geflogen

Der Friedhof der Verlierer liegt 60 steinige Meilen von Stanley entfernt hinter Schafweiden und Minenfeldern nahe der Siedlung Darwin, ein heruntergekommenes Sinnbild dieser absurden Tragödie. Die britischen Opfer wurden in ihrer Heimat bestattet - die argentinischen Toten ruhen auf diesem verlassenen Areal, die meisten von ihnen wurden nicht einmal identifiziert.

"Argentinischer Soldat, nur Gott bekannt", steht in spanischer Sprache auf vielen der 649 Granitplatten, von weißen Holzkreuzen blättert die Farbe, darüber weht der ewige Wind. Alfredo Rubio und seinen Begleitern aus der Veteranen-Vereinigung von La Plata liefen die Tränen, als sie vor den schäbigen Gräbern standen, tags darauf werden die Augen wieder feucht. "Warum haben sie uns das angetan, uns, 18- und 19-Jährigen?", fragt Rubio mit gebrochener Stimme, er ist jetzt 45 und Anwalt.

Sie waren alle unerfahrene Wehrpflichtige 1982, ohne Chance gegen Profis wie Gary Clement. Sie wurden verheizt vom betrunkenen General Leopoldo Galtieri, der mit ihnen Propaganda machte, ehe die Eroberung in Blutbad und Demütigung mündete.

"Wir kannten Krieg doch bloß aus dem Fernsehen", sagt Rubio, "ich hatte vorher vielleicht hundert Mal geschossen, wir waren die letzten in der Kette." Kanonenfutter. Zitternd vor Angst und Kälte und Hunger kämpften sie in Erdlöchern auf frostigen Hügeln ums Überleben, die Schreie, Raketen und Leuchtfeuer verfolgen sie bis heute.

"Ich weiß nicht, wie wir das ausgehalten haben", sagt Rubio. Ein britisches Schiff brachte die Gefangenen nach der Kapitulation zurück nach Argentinien, an Bord durften sie erstmals seit Wochen wieder ordentlich essen und sich waschen. In Buenos Aires mussten sie ihren eigenen Offizieren dann mit Unterschrift versprechen, über das Desaster zu schweigen. Erst nach Jahren gab es eine Pension, 500 Dollar im Monat.

Für sie ist dies nach einem Vierteljahrhundert die Rückkehr in die Vergangenheit. Andere Überlebende waren schon da, viele weigern sich - manche schon wegen des für sie ehrenrührigen Falkland-Stempels.

Mit seinem Fliespulli sieht Alfredo Rubio aus wie ein Naturfreund beim Wandern, aber er erkundet Gräber und Spuren der Schrecken, Mount Longdon, Two Sisters, Goose Green, und platziert Gedenkplaketten.

"Eine Wunde schließen" will er. An die 400 Mitstreiter haben sich umgebracht, das Trauma verschlang sie wie ein Ungeheuer. "Du stehst mit den Malvinas auf und schläfst mit den Malvinas ein", sagt Rubio.

So wird es bleiben, auch wenn er mit seinen Gefährten am Ende zwischen Engländern in einem Pub tanzt und Bier trinkt. Einer trägt ein T-Shirt mit den Umrissen der Inseln, sie sehen aus wie zwei Lungenflügel. "Du fühlst dich hier wie in England", gibt Rubio zu, aber für Argentinier wie ihn ist dies nicht Stanley, sondern Puerto Argentino, und dies sind nicht die Falklands, sondern die Malvinas.

Selbst linke Intellektuelle werden bei dem Thema zu Chauvinisten, auf argentinischen Karten sind die Eilande wie gehabt Staatsgebiet. Präsident Nestor Kirchner verschärft den Ton im Wahljahr 2007 noch, erst recht zum 25. Jubiläum des Desasters.

Erinnerung an die Opfer des Falkland-Krieges

Am 2. April findet in Ushuaia auf Feuerland eine Zeremonie für die Opfer und "Argentiniens legitime und unverjährbare Souveränität über die Inseln Malvinas, Süd-Georgien und Süd-Sandwich" statt. Kirchner, der gegenüber aus der Hafenstadt Rio Gallegos in Patagonien stammt, will jeden mit einem Bann belegen, der vor den Falklands fischt und bohrt. Charterflüge ließ er bereits einstellen.

"Er versucht, unsere Wirtschaft zu untergraben", wettert Mike Summers, der Unternehmer und Sprecher der Inselregierung, "aber wenn er glaubt, damit etwas zu erreichen, dann träumt er." Für ihn ist Argentiniens Führung "eine gewählte Diktatur" mit "irrationalem Benehmen". "Sie geben obszöne Summen auf internationalen Foren aus. Ich hoffe, das heizt sich nicht weiter auf."

Ach, die Argentinier. Gerald Cheek mochte sie nie, "die machen alles gegen uns, sollten sich lieber um ihr eigenes Land kümmern, da ist genug zu tun."

Er war nur ein einziges Mal in Buenos Aires, 1999 zu einem Luftfahrt-Kongress, und macht lieber Urlaub bei seiner Tochter in Neuseeland. Aber Cheek sieht das gelassen und freut sich auf die Siegesparty in Stanley vom 14. bis 17. Juni.

Und auf den Film, kürzlich hat er Margret Thatchers Tochter Carol chauffiert, ihr Dokumentarstück mit Titel "Mummys War" erscheint demnächst. Wie viele Falkländer wünscht sich der Senior Cheek mehr Unabhängigkeit vom Mutterland. Das viele Militär ist ihm jedoch ganz recht, zumal er des Alters wegen nicht mehr bei den Übungen der Zivilmilizen mitmacht.

Zwei Tornados donnern im Tiefflug über die Köpfe und stechen in den bedeckten Himmel. "Wir haben vier Stück davon, das sollten Sie eigentlich nicht wissen", ruft Cheek und lacht, Militärgeheimnis. Dann nimmt er sein Taschentuch und putzt neben dem Kreuz eine Bronzetafel für drei Krieger der königlichen Armee, die hier oben ihr Leben ließen. Er findet, man soll die Namen der Befreier der Falklands lesen können und ihre Beschützer hören.

© SZ vom 31.3.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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