Fahndung:Der Computer lernt Arabisch

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Ein Namens-Konverter soll bei der Fahndung nach islamistischen Tätern helfen - Innenminister sollen gemeinsame Datei beschließen

Von Annette Ramelsberger

Die Herren sind vorsichtig geworden: Sie lassen keinen Fremden mehr in ihre Kreise. Sie reden in der Moschee nicht mehr offen darüber, was sie vorhaben. Längst telefonieren sie auch nicht mehr ungeschützt. Zumindest dann nicht, wenn es um etwas geht. Oder sie tarnen sich als freundliche Biedermänner.

Und wenn die Fahnder nach 400 Telefonaten in fünf Tagen mit dem Jemen und Marokko nachfragen, dann heißt es: Gespräche mit der Familie. Die Familie sei groß. Es ist in diesen Zeiten der Konspiration nicht gerade einfach, Islamisten auf die Spur zu kommen, die vielleicht einen Anschlag planen.

Das, was potenziellen Attentätern bisher am meisten hilft, sind ausgerechnet ihre Namen. Arabische Namen wie Hassan Ibrahim Muhamad Qaddafi, um nur ein fiktives Beispiel zu nennen. Es sind Namen, denen der deutsche Fahnder nicht gewachsen ist. Der Polizeicomputer ohnehin nicht.

Seit dem 11. September 2001 kleben sich Polizisten und Verfassungsschützer kleine gelbe Zettel an ihre Computer, um all die Mohammeds und Hassans noch auseinander zu halten. Sie machen sich Listen mit hübschen Querverbindungen und tapezieren damit die Wände ihrer Büros.

Und scheitern dann doch: Denn der eine Fahnder hat den Mann, der ihm in Zusammenhang mit Menschenhandel und Schleusung aufgefallen ist, als Hassan Ibrahim Muhamad Qaddafi abgespeichert. Der zweite Fahnder, der den gleichen Mann mit Falschgeld festgenommen hat, gibt ihn als Hassain Ibrahim Muhammad in den Computer ein. Und dem dritten Ermittler ist der Mann als Mohammed el Qaddafi Hasan ins Visier geraten - in einem Betrugsverfahren. Drei Namen, die der Computer als drei verschiedene Fälle ansieht.

Der Fahnder findet jeden einzelnen nicht besonders aufregend. "Jeder dieser Fälle sieht erst harmlos aus", sagt die bayerische Kriminaldirektorin Petra Sandles. "Aber wenn wir alle drei Straftaten auf einen einzigen Mann zurückführen könnten, dann würde der zwangsläufig sehr interessant für uns werden."

Vor allem, seitdem Fahnder und Geheimdienstler davon ausgehen, dass sie es bei potenziellen Attentätern in Europa nicht mehr nur mit unauffälligen, hochgebildeten Islamisten wie der Hamburger Gruppe um den New-York-Attentäter Mohammed Atta zu tun haben. Sondern immer mehr mit kleinen Straffälligen, die für so genannte Gotteskrieger Schleusungen organisieren, Pässe fälschen, Diebstähle begehen. Kleinzeug, das aber auf Kontakte zu einer gefährlichen Gruppe hindeuten kann.

Polizeidirektorin Sandles kann sich seit kurzem vielen solcher durchaus interessanten Fälle widmen. Denn die bayerische Polizei hat einen Namens-Konverter entwickelt, der die verschiedenen "Hassan Ibrahims" auf den einen, den wahren Hassan Ibrahim, zurückführt.

Die 100 gebräuchlichsten arabischen Namen und 99 Namens-Zusätze haben die Computer-Spezialisten um die Arabistik-Expertin Christiane Nischler erfasst und auf den eindeutigen arabischen Stamm zurückgeleitet. Mit dieser "Arbeitspersonalie" wird aus 13 Mohammeds, Muhammads und Mohamads schnell ein einziger Mohammed.

Seit einem Jahr läuft der Versuch, dabei konnten in der bayerischen Datei AKIS, die kriminelle islamistische Strukturen erfasst, die Datensätze um fast 20 Prozent reduziert werden. Allein beim ersten Versuch dampfte das neue Verfahren die Zahl der Datensätze von 112.000 auf 90.000 ein - und das nur im Bereich des Polizeipräsidiums Schwaben, das den Vorreiter spielte. Das heißt: Jeder fünfte "Ibrahim" fiel weg. Und: Den restlichen Ibrahims wurden 20 Prozent mehr Taten zugeordnet.

"Wir haben dadurch erstaunliche Erkenntnisse über islamistische Strukturen erhalten", sagt Bayerns Innenminister Günther Beckstein. Die bayerischen Fahnder betrachten nun viel genauer Verdächtige, die ihnen bisher als relativ harmlos erschienen waren. So ist nun bekannt, dass ein Mann, der der gewaltbereiten Gruppe Ansar al Islam zugeordnet wird, sich in der Vergangenheit intensiv für Sprengstoff interessiert hat.

Und das nicht für wissenschaftliche Zwecke, wie Beckstein anmerkt. Der Mann ist auf freiem Fuß, ihm ist derzeit nichts nachzuweisen. Und ein Import-Export-Unternehmer aus Franken ist ständig auf Akquisitions-Reisen in Nordafrika, hat aber in den letzten drei Jahren keinerlei Umsätze gemacht. "Wir können jetzt sehr viel besser Netzwerke erkennen", sagt Beckstein.

So gut läuft das Projekt, dass Beckstein den Namens-Konverter auf der Innenministerkonferenz im Juli vorstellen und bundesweit zur Verwendung anbieten will. Richtig wirksam könnte die Namens-Vereinheitlichung dann werden, wenn sich auch Verfassungsschützer, Bundesnachrichtendienst und die Länderpolizeien beteiligen. Oder gar auch andere westliche Länder. Bisher besteht aber noch ein jeder auf seiner eigenen Schreibweise. Die Amerikaner sowieso.

Stöhnen über Datenflut

Dabei wäre eine Reduzierung der Fallzahlen dringend notwendig. Beim BND, so sagt der Bereichsleiter Internationaler Terrorismus, Michael Hildebrandt, laufen jede Woche mehrere tausend Hinweise auf. Vieles davon ist redundant. Die Geheimen stöhnen mittlerweile nicht mehr über zu wenig, sondern über zu viel Information. "Der Apparat kann die Informationen kaum mehr verarbeiten", sagt BND-Mann Hildebrand.

Auf der Konferenz der Innenminister soll eine ganze Reihe von Maßnahmen gegen den islamistischen Terror vorangetrieben werden. Zum Teil fast revolutionäre Dinge, die es ohne den Anschlag von Madrid vermutlich nicht einmal auf die Tagesordnung geschafft hätten. So sollen die Innenminister beraten, ob es demnächst endlich eine Verbunddatei von Polizei und Geheimdiensten über islamistische Extremisten geben wird - eine Datei, die es zuvor in der Bundesrepublik nie gab.

Denn seit dem Ende des Krieges gilt das scharfe Trennungsgebot zwischen Polizei und Geheimdiensten, um einen Missbrauch wie durch das Reichssicherheitshauptamt der Nationalsozialisten auszuschließen. Unter dem Eindruck der islamistischen Gefahr soll diese Trennung nun zumindest beim Informationsaustausch fallen.

Der Bund-Länder-Arbeitskreis 4 der Verfassungsschützer hatte sich vor zwei Wochen für eine solche gemeinsame Datei ausgesprochen. Nun wird am 18.Juni eine Sondersitzung des Arbeitskreises 2 der Polizei stattfinden. Die Polizisten wollen klären, ob jede Behörde die Pflicht hat, ihre Informationen in die gemeinsame Datei einzuspeisen. Oder ob sie die wichtigsten Erkenntnisse, wie manche Geheimdienstler vermuten, doch wieder zurückhalten. Wenn sie dann aber zumindest die arabischen Namen in ihren Dateien vereinheitlichen, wäre ja schon etwas gewonnen.

Die Praktiker im Sicherheitsapparat der Bundesrepublik wissen sehr genau, dass sie nur dieses eine Zeitfenster haben, um sich besser für die Abwehr terroristischer Gefahren aufzustellen. Ein Zeitfenster, in dem die Politik durch den Anschlag von Madrid zwar sensibilisiert ist für die Gefahr, in dem sie aber nicht hysterisch nach immer neuen Gesetzen ruft. "Wenn wir erstmal einen Anschlag im Lande haben, werden die Forderungen der Politik über uns zusammenbrechen", sagt ein hoher Ermittler. "Dann ist es für vernünftige Reformen zu spät."

Deswegen überlegen einige Kriminaler, ob sie nicht jetzt auch eine zweite Rasterfahndung auflegen sollen - mit den Erkenntnissen, die sie in fast drei Jahren Ermittlungsarbeit gesammelt haben. "Wir wissen jetzt viel, viel mehr als bei der ersten Rasterfahndung", sagt einer der höchsten Polizisten der Republik. "Wir wissen, wo Hassprediger Leute rekrutiert haben. Wir wissen, dass Geburtsorte eine Rolle spielen. Und wir wissen, dass Kleinkriminalität viel wichtiger ist als wir bisher annahmen." Da trifft sich der Mann dann wieder mit den Bayern.

© SZ vom 25.5.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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