Evangelischer Kirchentag:"Beten Sie für uns"

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Merkel debattiert mit Müntefering, Westerwelle schlendert übers Gelände und auch Kanzler Schröder ließ sich blicken. Nun fürchten die Organisatoren, dass der Kirchentag für den Wahlkampf missbraucht wird.

"Beten Sie für uns", hat SPD-Chef Franz Müntefering Autogrammjäger auf dem Evangelischen Kirchentag aufgefordert. Das "wählen Sie uns" war da wohl enthalten.

Die kirchliche Massenveranstaltung in Hannover nutzen zahlreiche Spitzenpolitiker für einen Start in den so überraschend begonnenen Wahlkampf.

Während Bundespräsident Horst Köhler an mehreren Diskussionen zu Glaubensfragen teilnimmt, trafen die Parteivorsitzenden von CDU und SPD, Angela Merkel und Franz Müntefering, bei einer Debatte zum Thema "Europa" aufeinander.

Außerdem plante FDP-Chef Guido Westerwelle einen Rundgang. Dennoch hoffen die Organisatoren, dass der Kirchentag mit seinen mehr als 100.000 Dauerteilnehmern nicht als Wahlkampfplattform missbraucht wird. Diese Hoffnung erfüllt sich eher nicht.

"Lass' leuchten"

Bei der Eröffnung am Mittwochabend erneuerte Kanzler Gerhard Schröder die Kapitalismuskritik: Er forderte, eine produktive Wirtschaft mit Gerechtigkeit zu verbinden.

Bundespräsident Horst Köhler warnte allgemeiner vor "Erblasten" für die kommenden Generationen. Der Kirchentag könne allen Mut machen, sich den Veränderungen in der Gesellschaft zu stellen. Dies passte zum symbolträchtigen Motto des Kirchentages: "Lass' leuchten".

Nachdem an den Eröffnungsgottesdiensten 50.000 Gläubige und bei der Feier in Hannovers Innenstadt bis zu 400.000 Menschen teilgenommen hatten, strömten bereits am Donnerstag Morgen Zehntausende auf das Messegelände - ein willkommenes Publikum für die Spitzenpolitiker.

Die Pastorentochter und CDU-Chefin Merkel betonte bei einer Bibelarbeit die besondere Verantwortung der Politiker. In Anlehnung an den Bibeltext, in dem es um die Strafe Gottes für Sünder geht, hob Merkel die Bedeutung christlicher Werte für die Gesellschaft hervor.

Dabei baute sie in ihrer Interpretation des alttestamentarischen Textes auch kleine politische Spitzen zum Tagesgeschäft ein: "Propheten sind uns bekannt - nicht die, die uns ständig Wirtschaftswachstumsraten vorhersagen", sagte Merkel unter dem Gelächter des Publikums.

Die 1140 Plätze fassende Halle auf dem Messegelände war bereits eine Viertelstunde vor Beginn der Veranstaltung wegen Überfüllung geschlossen.

Hier das Christentum, dort der Islam

Eine weitere politische Frage, die auch im Wahlkampf Gewicht haben wird, debattierten Merkel und Müntefering auf dem Kirchentag: der EU-Beitritt der Türkei.

Die CDU-Vorsitzende sprach sich erneut gegen eine Mitgliedschaft der Türkei aus. Sie halte eine solche Mitgliedschaft für die Europäische Union für nicht verkraftbar. Vor Beginn der Verhandlungen der EU mit der Türkei am 3. Oktober müsse das Land am Bosporus noch verschiedene Voraussetzungen erfüllen wie die Anerkennung Zyperns und die Aufnahme diplomatischer Beziehungenen zu Armenien. Sie sehe aber die Verhandlungen als im Grundsatz ergebnisoffen an.

Auf die Frage, ob sie eine Vollmitgliedschaft der Türkei kategorisch ablehne, reagierte Merkel ausweichend.

Die CDU favorisiere weiterhin das Modell einer privilegierten Partnerschaft, auch wenn die EU-Vereinbarung darüber hinausgehe. In diesem Fall gelte jedoch: "Pacta sunt servanda" - "Verträge sind einzuhalten", sagte die voraussichtliche CDU-Kanzlerkandidatin und deutete damit an, auch eine engere Mitgliedschaft akzeptieren zu können.

Der SPD-Vorsitzende Franz Müntefering hingegen betonte, dass die Türkei mit der EU schon seit langem eine privilegierte Partnerschaft in Form einer Zollunion habe. Die Gründung der EU habe in Westeuropa über Jahrzehnte für Frieden gesorgt.

Ihre Erweiterung sei eine einmalige historische Chance. Voraussetzung für eine Aufnahme der Türkei sei aber, dass sie die Werte der EU-Grundrechte-Charta auch umsetze.

Der Europaparlamentarier Cem Özdemir (Grüne) forderte, der Türkei eine klare Chance zu geben. Die Grenze Europas nach Religionen zu ziehen - hier das Christentum, dort der Islam - "damit werden wir den Kampf um Europa und gegen den Fundamentalismus nicht gewinnen".

Warnung vor islamistischen Tendenzen

Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Bischof Wolfgang Huber, warnte derweil vor islamistischen Tendenzen in der Bundesrepublik.

"Eine Grenze ist dort zu ziehen, wo die Zulassung fremden Rechts zu Ergebnissen führt, die mit den wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts nicht vereinbar sind", sagte er. Grenzen seien erreicht, wenn Menschen verletzt, Rechte von Frauen eingeschränkt und gegen den Tierschutz verstoßen werde. "In solchen Fällen muss das Verhältnis zwischen Toleranz und geltender Rechtsordnung geklärt werden", sagte Huber.

Muslime könnten durchaus Vorschläge zur Änderung geltender rechtlicher Regelungen einbringen. Die Diskussion darüber müsse jedoch "vom Geist wechselseitigen Respekts" bestimmt sein, sagte Huber. "Dies schließt ein, dass die jüdisch-christliche Prägung unseres Kulturkreises anerkannt wird."

Auch die Grünen-Chefin meldete sich anlässlich des Kirchentages zu Wort: Sie forderte "einen Begriff von Heimat, "der Toleranz und den interreligiösen und interkulturellen Dialog miteinbezieht". Sie kritisierte damit die CDU-Chefin Angela Merkel, die in Hannover religiöse Intoleranz beklagt hatte. "In der Integrationsdebatte fordert sie 'Deutsche Leitkultur' - das geht schlecht zusammen", sagte Roth, die an diesem Freitag auf dem Kirchentag mit der türkischen Schauspielerin Renan Demirkan über Heimat diskutiert wird.

Der Evangelische Kirchentag dauert noch bis Sonntag - viel Zeit für Politiker, sich in Szene zu setzen.

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