Europas Linke:Im Abseits

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Das linke Aufbegehren nach Ausbruch der Finanzkrise währte nur kurz. Heute scheint für Kapitalismuskritik kein Platz mehr zu sein zwischen Globalisten und Identitären. Dabei würde sie so gebraucht.

Von Sebastian Schoepp

Es war 2010, als der greise französische Résistance-Veteran Stéphane Hessel eine Botschaft an Europas Jugend aussandte: "Empört euch!" Gemeint war das Aufbegehren gegen eine Sparpolitik, die in Folge der Bankenkrise die Lebensgrundlagen im Süden Europas zu zerstören drohte, gegen die Ausbeutung des Planeten, gegen Missachtung der Menschenrechte. Ein kurzer linker Ruck ging durch Europa. Die Bewegung Blockupy empörte sich über die Herrschaft der Banken. In Spanien leiteten die Empörten, die Indignados, eine Phase sozialer Teilnahme ein, die das Parteiensystem veränderte, in Frankreich kam François Hollande, in Griechenland Syriza an die Macht. Das ist Geschichte.

Sieben Jahre später ruft die deutsche Linken-Politikerin Sahra Wagenknecht "Aufstehen!", doch nur wenige scheint das aus dem Sessel zu treiben. Der Grieche Yanis Varoufakis, einst Posterboy der Linken, ist nur noch ein Vortragsredner. In Frankreich hat der Aufstieg des Emmanuel Macron die Linke fast in der Bedeutungslosigkeit verschwinden lassen. Viele Menschen sind zwar irgendwie unzufrieden mit dem Zustand der Welt und der sozialen Schieflage, doch Antikapitalismus scheinen nur noch wenige als Gegenmittel anzusehen. Das Bedürfnis nach Gerechtigkeit ist politisch heimatlos geworden.

Das hat mehrere Gründe. Zum einen hat es die Linke während ihrer jüngsten, kurzen Blüte nicht vollbracht, in ihrem ureigenen Feld zu punkten und eine Alternative zur Marktwirtschaft aufzuzeigen. Griechenland ist nicht etwa aus der Schuldenfalle, weil Premier Alexis Tsipras die versprochene Alternativpolitik gemacht hätte, sondern weil er sich den Vorgaben aus Brüssel gebeugt hat. Das war nicht das, was seine Wähler erwartet hatten. So wird Europas letzte Linksregierung bei der nächsten Wahl wohl den Weg gehen, den die europäische Sozialdemokratie vorausgegangen ist - ins Abseits.

Längst ist der Begriff "links" nicht mehr zwingend mit Kapitalismuskritik verbunden, sondern beschränkt sich auf Forderungen nach sexueller Gleichheit oder Minderheitenschutz. Daran ist nichts verkehrt, doch sind das gleichsam liberale Werte. Mit dem Ergebnis, dass die westliche Welt sich heute in ein liberales Lager derjenigen teilt, die vom globalen Austausch profitieren und für offene Gesellschaften plädieren - und ein tendenziell identitäres Lager, das sein Heil in nationaler Identität und Abschottung sucht, mit immer mehr Fans von Ungarn bis Katalonien. Für eine linke Sammlungsbewegung und ihre Utopien bleibt dazwischen anscheinend kein Platz.

Das ist erstaunlich, denn vieles spricht für die These, dass ein Wirtschaftssystem, das auf unaufhörliche Mehrung von Gütern und Geld angewiesen ist, die Ressourcen des Planeten überfordern muss. Um das zu ändern, dürfte es kaum damit getan sein, die Produktpalette ein wenig zu verschieben. Wer Elektroauto fährt oder eine Klimaabgabe zahlt, tut etwas Feines, aber er rettet erst einmal nicht den Planeten - sondern nur sein Gewissen.

Das Europa von 2018 aber glaubt, andere Probleme zu haben. Dabei war das, was manche Flüchtlingskrise nennen, doch letztlich nichts anderes als eine Reaktion auf einen Missstand, an dem der globale Kapitalismus eine gehörige Mitschuld trägt - die wirtschaftliche Unterteilung der Welt in Gewinner und Verlierer. Das wäre eigentlich etwas, gegen das es sich lohnen würde aufzustehen.

© SZ vom 23.08.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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