Europapolitik:Buchhalter in Ekstase

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Erst trocken, dann im Stile von Macron: Beinahe leidenschaftlich wirbt Olaf Scholz im Bundestag für Europa - und liefert eine erste Antwort der Bundesregierung auf die Reformvorschläge aus Paris.

Von Cerstin Gammelin, Berlin

Was ist das Überraschendere an der Premiere, die im Bundestag am Dienstag stattfindet? Dass Bundesfinanzminister Olaf Scholz, der erstmals die Haushaltsplanungen in das neu gewählte Plenum einzubringen hatte, beinahe leidenschaftlich wird, als er für Europa wirbt und erkennen lässt, dass die SPD das europäische Projekt im Stile von Emmanuel Macron vorantreiben will? Oder womöglich, dass die Opposition patzt? Keine der drei Parteien vermag es, überzeugende Argumente zu liefern, mit denen sie die Planungen der neuen Groko hätten zerfleddern können.

Die Beratungen im Bundestag hatten morgens gemächlich begonnen. Scholz referiert im Stile eines Buchhalters die Zahlen. Den Bundeshaushalt 2018 hat er mit 341 Milliarden Euro planen lassen. Das Geld soll "solide, sozial gerecht und zukunftsorientiert" ausgegeben werden. Auf der Regierungsbank weiß man sich derweil anderweitig zu beschäftigen. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) tippt auf dem Blackberry, Horst Seehofer (CSU) neben ihr blättert in Akten. Dann kommt Scholz auf Europa und Macron zu sprechen. Auf der Regierungsbank werden die Nebentätigkeiten eingestellt. Man hört zu.

Blackberry weg! Erst als Olaf Scholz im Bundestag die Grundzüge der deutschen Europapolitik referiert, schenken einige Anwesende (darunter Kanzlerin Angela Merkel) dem Vizekanzler ihre uneingeschränkte Aufmerksamkeit. (Foto: Tobias Schwarz/AFP)

Der Sozialdemokrat wechselt nicht nur das Thema, sondern auch den Modus. Aus dem Buchhalter, der gerade über Quoten und Investitionen geredet hat, wird der Vizekanzler, der die Grundzüge der deutschen Europapolitik darlegt. "Europa ist für Deutschland das wichtigste nationale Anliegen", sagt er. "Als bevölkerungsreichstes Land und leistungsstarke, exportorientierte Wirtschaft in der Mitte des Kontinents sind wir auf eine erfolgreiche Europäische Union angewiesen." Das Problem, sagt Scholz, das viele Bürger mit Europa hätten, sei nicht die Stärke der Gemeinschaft. Sondern, dass sie zu schwach sei, zu fragmentiert und dass sie zu wenige Antworten liefere auf fundamentale Fragen. "Wir haben zu viel über den Binnenmarkt geredet. Zu wenig über grundsätzliche politische Aufgaben." Es gehe "um eine europäische Souveränität, die es uns ermöglicht, uns zu verteidigen".

Scholz bedient sich rhetorisch beim französischen Präsidenten. Dieser habe recht, wenn er sage, Europa dürfe keine Angst haben. Und dürfe nicht warten, sondern müsse jetzt handeln. "Wir brauchen die Europäische Union, um im Verhältnis zu wirtschaftlichen Mächten wie China oder den USA auf Augenhöhe agieren zu können." Er verweist auf den US-Ausstieg aus dem Atomabkommen mit Iran und den Handelskonflikt mit den USA. "Wir brauchen Europa zur Deeskalation."

Was Scholz auch abliefert, ist eine erste konkrete Antwort der Bundesregierung auf die Reformvorschläge aus Paris. Sie fällt freilich nicht besonders weitreichend aus. Scholz kündigt an, den europäischen Rettungsfonds ESM zu einem Währungsfonds weiterentwickeln zu wollen. Zudem könnten die Mittel des Fonds "vielleicht" für den Banken-Abwicklungsfonds als Letztabsicherung dienen, um zu vermeiden, dass Steuerzahler haften müssten, wenn Banken doch wieder gerettet werden müssten. Er spricht von abgestimmten Unternehmensteuern und davon, eine Art Investitionsbudget einzurichten. Europa kommt voran, sagt Scholz.

Andere Abgeordnete sehen das anders. Peter Boehringer (AfD), Vorsitzender des Haushaltsausschusses, sagt, es sei "unverantwortlich, dass die Regierung den totalen Europa-Wahn noch weitertreibt". Frankreich wolle doch nur an das Geld deutscher Steuerzahler. Parteikollege Harald Weyel spricht vom "Verrat an deutschen Arbeitnehmerinteressen".

Linke und Grüne bleiben zahm in ihrer Kritik. Sie bezweifeln, dass der neue Aufbruch für Europa stattfinden wird. Scholz spreche davon, mehr zu zahlen, habe aber keine Mittel eingeplant, kritisiert die Linke Gesine Lötzsch. Und der Koalitionspartner, die Union? Sie schweigt weitgehend zu den Europaplänen. Eckhardt Rehberg rechnet lieber vor, wie stark die Bürger entlastet werden. Fraktionsvize Ralph Brinkhaus sagt, es werde keinen Blankoscheck geben. Klar sei auch: "Die Gemeinschaft wird zu unserem Nutzen mehr kosten."

© SZ vom 16.05.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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