Europäische Union:EU soll nur tun, was sie kann

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Nicht die Uneinigkeit der EU in der Außenpolitik ist das Problem - sondern die Ansprüche, mit denen sie auftritt. Sie sollte deutlich machen, dass sie nur tun will, was sie auch wirklich tun kann.

H. Arnold

In der Person von Barack Obama wird auch der Wunschkandidat der meisten Europäer Präsident der USA. Hatte er sich doch nicht nur für ein verstärktes amerikanisches Engagement in globalen Fragen wie dem Klimaschutz ausgesprochen, sondern auch für eine Rückkehr der USA zum Multilateralismus.

Ratlose EU: Javier Solana, Tschechiens Außenminister Karel Schwarzenberg und EU-Kommissarin Benita Ferrero-Waldner während einer Pressekonferenz zum Gaza-Krieg. (Foto: Foto: AFP)

Dabei kann mit "Multilateralismus" natürlich auch künftig nicht eine Minderung des US-Führungsanspruchs zugunsten multilateraler Prozeduren gemeint sein, sondern nur die Rückkehr zu jener Politik der Führung, wie sie die USA seit dem Zweiten Weltkrieg verfolgt haben. Deren wichtigstes Element ist und bleibt: die Mitwirkung der USA in multilateralen Organisationen (naturgemäß unter Wahrung und Verfolgung ihrer eigenen Interessen), zugleich aber die Konsultation befreundeter oder verbündeter Staaten.

Wozu allerdings auch die klare amerikanische Erwartung gehört, dass die Partner dann die von den USA geführte gemeinsame Politik politisch wie materiell mittragen. Die Europäer hatten für die so agierenden USA die kantenfreie Bezeichnung des "sanften Hegemons" gefunden und sie als sanfte transatlantische Politik verinnerlicht, in die sich die EU störungsfrei einfügte.

Nach den Erfahrungen der acht Bush-Jahre stellt sich die Frage, ob und inwieweit die EU auch gegenüber den USA mit einer Stimme sprechen sowie einheitlich handeln kann. Denn unübersehbar ist, dass der innere Zusammenhalt der auf 27 Mitgliedstaaten angewachsenen EU erheblich lockerer ist, als er in ihren frühen Jahren war und man ihn sich damals für die Zukunft erhofft hatte.

Auch die EU unterliegt eben dem allgemeinen Gesetz internationaler Zusammenschlüsse, nach dem sich deren innerer Zusammenhalt in dem Maße lockert, in dem die Zahl der Mitglieder zunimmt. Unübersehbar ist ferner, dass sich seit dem Wegfall der Zwänge des Kalten Krieges die Politik der EU-Staaten immer mehr - und dabei vor allem in der Außenpolitik - renationalisiert hat.

Allerdings hat die EU trotz dieser Entwicklungen ihre beträchtliche Fähigkeit zu Konsens und Kooperation nicht nur bei der Bewältigung ihrer internen Aufgaben erhalten. Sie schafft es im Allgemeinen immer wieder, mit der gemeinsamen Potenz ihrer Mitgliedstaaten einigermaßen einheitlich und erfolgreich in internationalen Krisen zu agieren, wie im vergangenen Jahr während des Georgien-Russland-Kriegs. Andererseits haben die Großkonferenzen Ende 2008 zu Wirtschaftskrise und Klimawechsel auch gezeigt, dass die Fähigkeit der EU zu geschlossenem Handeln immer wieder dann an Grenzen stößt, wenn nationale Interessen ihrer Mitglieder zu stark berührt sind.

Doch wird Präsident Barack Obama die EU immer dann als kooperativ erleben (wenn auch nicht immer uneingeschränkt einsatzfähig), wenn es um Fragen der Machtausübung bei sogenannten "weichen" Themen geht, der sogenannten soft power - also bei Fragen des Klimaschutzes, der Entwicklung, der Menschenrechte.

Anders liegen die Dinge im Bereich der sogenannten hard power, also bei der traditionellen Außen- und Sicherheitspolitik, insbesondere bei einer Politik, die ganz oder teilweise mit Waffengewalt betrieben wird. Offiziell wird auch hier stets die Grundidee der europäischen Einigung betont: Die Mitgliedsstaaten der Europäischen Union sollen zu einem Grad der Einigung gelangen, der sie zu einheitlichem gemeinsamen Handeln befähigt, vergleichbar einer nationalen Großmacht. In Umfragen sprechen sich drei Viertel der EU-Bürger regelmäßig für eine wirklich gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik aus. Selbst der Gedanke einer einheitlichen europäischen Armee findet nicht geringen Anklang.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, welche Erkenntnisse aus der Haltung der EU zum Gaza-Krieg zu ziehen sind.

Doch die von den Bürgern gewählten nationalen Regierungen haben auch nach fast vierzigjährigem Bemühen auf diesem Gebiet nicht mehr als eine Art klassischer Allianz zustande gebracht. Spätestens seit dem Vertrag von Amsterdam (1999) ist auch klar, dass eine dauerhafte, verlässlich stabile Gemeinsamkeit anders als bei der Wirtschafts- und Währungspolitik nicht durch ausgeklügelte Abstimmungsverfahren erreicht werden kann. Und spätestens seit der vorerst gescheiterten "Europäischen Verfassung" mit dem von ihr vorgesehenen europäischen "Außenminister" ist klar, dass hier auch feinsinnige Semantik nicht weiterhilft.

Stabil sind hingegen die individuellen, historisch und kulturell gewachsenen außen- und sicherheitspolitischen Positionen, die bei sämtlichen EU-Staaten verhindern, dass sie sich von einer übergeordneten Union vereinnahmen lassen. Da sind Frankreich und Großbritannien, die sich weniger als Teile der Union verstehen, sondern mehr als Groß- und Nuklearmächte mit Ständigem Sitz im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen. Da sind aber auch kleine Staaten wie Litauen, das im vergangenen Frühjahr ein Veto gegen die Verhandlungen der EU zu einem neuen Partnerschaftsabkommen mit Russland eingelegt hatte - offensichtlich war die Angst des baltischen Landes vor Russland größer als sein Vertrauen in die EU.

Die EU soll deutlich machen, was sie wirklich tun kann

Die Spaltung der EU über den Irakkrieg war europapolitisch eine Katastrophe. Und im israelisch-palästinensischen Krieg erweist sich die EU (die gegenwärtig ohnehin mehr mit Gas als mit Gaza beschäftigt ist) als unfähig, eine einigermaßen beachtenswerte gemeinsame Haltung zu entwickeln.

Überall, wo es in der internationalen Politik um hard power geht, ist eine EU, die wegen ihrer inneren Konflikte ihren eigenen Ansprüchen nicht gerecht werden kann, unglaubwürdig und damit als Partner - auch für die USA - uninteressant. Daher wird wohl auch der künftige US-Präsident nicht die EU als solche, sondern einzelne Mitgliedstaaten als Partner verstehen. Das mag einzelne EU-Staaten freuen. Für die EU als solche aber und für die Einigung Europas ist dies mehr als schädlich.

Die EU sollte daher deutlich machen, dass sie nur tun will, was sie auch wirklich tun kann. Sie sollte (was vertragskonform wäre) offen dazu stehen, dass in der Außen- und Sicherheitspolitik es möglich ist, dass nur einige ihrer Mitglieder gemeinsam - oder auch einzelne Mitglieder allein - handeln können. Vorausgesetzt, dass sie damit der EU insgesamt nicht schaden, dass sie sich an bestimmte Regeln halten (wie etwa einem UN-Mandat für die Anwendung von Waffengewalt) und dass sie den Europäischen Rat vorab konsultieren. Damit wäre die EU nicht nur glaubwürdiger, sie würde auch an Gewicht gewinnen.

Hans Arnold, Jahrgang 1923, Botschafter a. D., kennt die EU von Anfang an - von 1950 bis 1987 gehörte er dem Auswärtigen Amt an. Er lehrt an der Hochschule für Politik in München.

© SZ vom 13.01.2009/gba - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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