Europa:Orbán: Die Flüchtlingskrise ist ein deutsches Problem

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Ungarns Regierung wirft der Kanzlerin vor, sie habe Menschen aus Syrien "an den gedeckten Tisch eingeladen".

Von Thomas Kirchner, Brüssel

In der europäischen Flüchtlingskrise eskaliert der Streit zwischen Ungarn und Deutschland. Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán bezichtigte die Bundesregierung am Donnerstag ausdrücklich, die chaotischen Verhältnisse am Budapester Ostbahnhof verursacht zu haben, wo seit Tagen Flüchtlinge die Züge Richtung Deutschland stürmen. "Das Problem ist nicht europäisch, das Problem ist deutsch", sagte Orbán in Brüssel unter Anspielung darauf, dass Deutschland keine syrischen Flüchtlinge nach Ungarn zurückschicken will. Sein Stabschef János Lázár ergänzte, die Bundesrepublik habe Syrer "an den gedeckten Tisch eingeladen".

Niemand wolle in Ungarn bleiben, sondern alle Flüchtlinge wollten nach Deutschland, so Orbán, der die EU-Institutionen über die Probleme seines Landes mit den Flüchtlingen informierte. Ungarn werde die Menschen registrieren, so wie es die EU-Regeln vorsehen und wie es sich Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) wünsche.

Deutschland solle syrischen Flüchtlinge Visa ausstellen, forderte er.

Merkel wies die Vorwürfe scharf zurück. Bei einem Besuch in der Schweiz sagte sie: "Deutschland tut das, was moralisch und was rechtlich geboten ist. Und nicht mehr und nicht weniger." Unions-Fraktionschef Volker Kauder sagte, unabhängig davon, wo die Menschen hinwollten, gelte, dass sie in dem Land, in dem sie ankämen, registriert werden müssten: "Und dort haben sie auch zu bleiben."

Nachdem die Behörden den zentralen Bahnhof in Budapest am Morgen nach mehreren Tagen wieder geöffnet hatten, setzte sich gegen Mittag ein überfüllter Zug in Richtung der Stadt Sopron an der österreichischen Grenze in Bewegung. Polizisten wiesen die Flüchtlinge aber bereits nach etwa 35 Kilometern im Ort Bicske an, die Wagen zu verlassen. Dort befindet sich ein Auffanglager. Viele Reisende weigerten sich, in dieses Lager gebracht zu werden. Es kam zu Rangeleien mit der Polizei.

In die Debatte über die EU-weite Verteilung von Flüchtlingen kam Bewegung. EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker will den EU-Staaten vorschlagen, weitere 120 000 Menschen umzusiedeln. Damit solle auf die "sehr dringliche Situation in Italien, Ungarn und Griechenland" reagiert werden, hieß es aus EU-Kreisen. Der Plan der Kommission, 40 000 Flüchtlinge aus Italien und Griechenland über verpflichtende Quoten zu verteilen, war im Juni am Widerstand osteuropäischer Staaten und Großbritanniens gescheitert. Bisher gibt es nur Zusagen für 32 000 Flüchtlinge, und das nur auf freiwilliger Basis. Nach Junckers Plänen sollen nun insgesamt 160 000 Menschen verteilt werden.

Die beiden wichtigsten EU-Staaten hat er auf seiner Seite. Merkel kündigte eine deutsch-französische Initiative für verbindliche Quoten an. Diese müssten Wirtschaftskraft und Größe eines Landes berücksichtigen. Darauf habe sie sich telefonisch mit Frankreichs Präsident François Hollande verständigt. Die Regierung in Paris hatte einen festen Verteilungsschlüssel bisher abgelehnt. Nun sprach Hollande in Paris von einem "dauerhaften und verpflichtenden Mechanismus" zur Verteilung der Flüchtlinge.

© SZ vom 04.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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