EuGh-Urteil und die Folgen:"Reiner Blödsinn"

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Die Einschätzungen, welche Konsequenzen das Urteil des Europäischen Gerichtshofs zu Bereitschaftsdiensten haben wird, gehen weit auseinander. Bundesgesundheitsministerin Schmidt hält eine massenhafte Neueinstellung von Medizinern für unwahrscheinlich. Der Vorsitzende des Klinikärzteverbands Marburger Bund dagegen sieht Bedarf von 15.000 neuen Ärzten.

Auch nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) zum Bereitschaftsdienst hat Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) erklärt, sie halte eine massenhafte Neueinstellung von Ärzten für unwahrscheinlich. Dem WDR Hörfunkt erklärte sie, das sei weder nötig noch möglich.

"Wir haben keine 15 000 Ärzte, die wir einstellen könnten, und wir wissen auch nicht, ob wir sie brauchen", so Schmidt.

Der Verband der Angestelltenkrankenkassen erklärte unterdessen, das Urteil führe nicht zu höheren Beiträgen.

Wenn die Krankenhäuser ihre Arbeitsabläufe wirtschaftlich organisierten, müsse die Entscheidung der Richter nicht zu Mehrkosten führen, sagte Verbandschef Herbert Rebscher dem Berliner Tagesspiegel: "Dann sind auch keine Beitragserhöhungen notwendig."

Der Kölner Ökonomie-Professor und Berater von Sozialministerin Ulla Schmidt (SPD), Karl Lauterbach, geht ebenfalls nicht von einer automatischen Kostenerhöhung aus.

Dem Düsseldorfer Handelsblatt sagte Lauterbach, es gebe noch erhebliche wirtschaftliche Reserven. "In deutschen Krankenhäusern liegt jeder Patient immer noch im Durchschnitt fast doppelt so lang für eine Krankheit wie im europäischen Ausland."

Außerdem sei die Zahl der Krankenhauseinweisungen nirgends höher als in Deutschland. "Da gibt es also noch erhebliche Wirtschaftlichkeitsreserven. Sie sollten gehoben werden, bevor nach frischem Geld gerufen wird", sagte Lauterbach.

Der Vorsitzende des Klinikärzteverbands Marburger Bund, Frank Ulrich Montgomery, nannte Rebschers Annahmen im Tagesspiegel "reinen Blödsinn". Man benötige 15.000 neue Ärzte und sofort eine Milliarde Euro. Die Kassen versuchten "ihre Grundpolitik, den Abbau der Krankenhausleistungen, fortzuführen", klagte er.

Die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di hat das Urteil des Europäischen Gerichtshofs zu Bereitschaftsdiensten in Kliniken begrüßt.

Die Einstufung des Bereitschaftdienstes als Arbeitszeit werde "für die Ärzte zu einer Verbesserung ihrer persönlichen und gesundheitlichen Situation" führen, sagte die stellvertretende ver.di-Vorsitzende Margret Mönig Raane am Mittwoch im ARD-Morgenmagazin. Für die Patienten bedeute es, "dass sie es immer mit ausgeschlafenen und ausgeruhten Ärzten zu tun haben."

Vergütung in vollem Umfang

Der Europäische Gerichtshof in Luxemburg hatte nach jahrelangem Rechtsstreit den Bereitschaftsdienst in Krankenhäusern als Arbeitszeit eingestuft, die in vollem Umfang durch Geld oder Freizeit vergütet werden muss. Geklagt hatte ein Kieler Arzt.

Entscheidend ist nach dem Urteil, dass der Arbeitnehmer sich während des Bereitschaftsdienstes an einem vom Arbeitgeber bestimmten Ort - in diesem Fall das Krankenhaus - zur Verfügung halten muss. Die Möglichkeit, die arbeitsfreie Zeit während des Bereitschaftsdienstes in einem Ruheraum zu verbringen und dort zu schlafen, ändere daran nichts (Az: C-151/02).

Arbeitsminister Wolfgang Clement (SPD) kündigte noch am Dienstag eine rasche Umsetzung des Urteils an. Schmidt und CSU-Sozialexperte Horst Seehofer verwiesen im Bundestag auf bereits vereinbarte Verbesserungen. Den Kliniken stehen laut Schmidt für Arbeitszeitmodelle in diesem und im nächsten Jahr zusätzlich bis zu 200 Millionen Euro zur Verfügung.

Im Zuge der Gesundheitsreform sollen die Mittel bis 2009 um jährlich weitere 100 Millionen Euro aufgestockt werden. Zusätzlich müssen die Kliniken laut Seehofer dieselbe Summe aufbringen. Eine Reihe von Kliniken habe die Arbeitszeit bereits reformiert und sei dafür geehrt worden.

(sueddeutsche.de/dpa)

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