EU-Verfassung:Berlin sendet ein Signal nach Paris

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Mit der überwältigenden Mehrheit von 96 prozent Ja-Stimmen hat der Bundestag der EU-Verfassung zugestimmt. Vertreter aller Fraktionen hatten für die Annahme geworben, die nun auch noch im Bundesrat vollzogen werden muss.

Der Bundestag hat der EU-Verfassung am Donnerstag mit Zwei-Drittel-Mehrheit zugestimmt. 569 von 594 Abgeordneten stimmten in einer namentlichen Abstimmung in Berlin für den Verfassungstext. Damit wurde die erforderliche Zweidrittelmehrheit von 401 Parlamentariern klar übertroffen. 23 Abgeordnete, vor allem aus der Union, stimmten mit Nein, zwei enthielten sich.

Zur Ratifizierung des Verfassungsvertrages durch Deutschland ist noch die Zustimmung des Bundesrates erforderlich. Auch hier ist eine Zweidrittelmehrheit nötig. Die Länderkammer wird am 27. Mai über den Verfassungsvertrag entscheiden. Um in Kraft treten zu können, muss die EU-Verfassung von allen 25 Mitgliedsstaaten der Europäischen Union ratifiziert werden. Dies wird frühestens im Herbst 2006 der Fall sein.

Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) und Außenminister Joschka Fischer (Grüne) hatten in der mehr als dreistündigen Debatte davor noch einmal nachdrücklich für die Ratifizierung geworben.

Schröder warb für ein klares Bekenntnis zur EU-Verfassung, die er als "sehr guten und fairen Kompromiss" bezeichnete. "Wer mehr Demokratie will in Europa, muss für diese Verfassung stimmen", sagte Schröder.

Schröder appellierte an die Abgeordneten, "in diesem Augenblick nicht allzu kleinlich und detailversessen auf den einen oder anderen Halbsatz in diesem oder jenem Paragrafen des Gesamtwerkes zu starren, der unseren Erwartungen nicht völlig entsprechen mag".

Nötig sei jetzt, einmal innezuhalten, um die Entscheidung mit den Augen der Älteren zu betrachten, die Zeugen und Opfer der Verheerungen des 20. Jahrhunderts gewesen seien.

"Den Überlebenden war es damals nicht in den Sinn gekommen, von einer europäischen Verfassung für die Völker des Kontinentes zu träumen - Völker, die als gute Nachbarn friedlich zusammenleben."

Durch die Verfassung werde die Europäische Union (EU) entscheidungsfähiger und zugleich politisch führbar bleiben. Das europäische Parlament werde gestärkt und erhalte mehr Mitwirkungsrechte, sagte Schröder.

"Die Verfassung ist das vorläufig krönende Werk der politische Arbeit von zwei oder drei Generationen", fügte Schröder in seiner Rede hinzu. Die Verfassung sei deshalb "historisch".

Mit dieser Kennzeichnung sollte zwar ein sparsamer, vernünftiger Umgang gepflegt werden, erklärte Schröder. "Aber die Verfassung der Europäischen Union, über die wir heute zu beschließen haben, verdient dieses große Wort."

Der Kanzler lobte ausdrücklich seinen Außenminister Joschka Fischer, der entscheidend zum Gelingen der oft schwierigen Verhandlungen beigetragen habe.

Für die Ratifizierung der EU-Verfassung ist eine Zwei-Drittel-Mehrheit im Bundestag notwendig. CDU-Chefin Angela Merkel kündigte trotz einiger kritischer Stimmen aus der Union die breite Zustimmung ihrer Fraktion an.

Trotz der Kritik aus den eigenen Reihen würdigte die CDU-Vorsitzende die EU-Verfassung ebenfalls als "historischen Schritt". In der abschließenden Debatte über die Annahme des Vertrags sagte Merkel: "Europa als Friedens- und Wertegemeinschaft zu stärken - dazu gibt es für uns keine Alternative."

Bundesaußenminister Joschka Fischer (Grüne) betonte, es werde in Europa nicht funktionieren, wenn es eine Teilung gebe zwischen Integration und Integrationssehnsüchten. "Die europäische Erweiterungspolitik war immer europäische Friedenspolitik", sagte Fischer.

Die Alternative zu der Verfassung sei der Nizza-Vertrag. Bei einem "Nein" würden jedenfalls nicht neue Verhandlungen begonnen, um eine bessere Verfassung zu erreichen. Fischer bat daher nachdrücklich um die Zustimmung der Abgeordneten.

Fischer führte drei zentrale Fortschritte durch die Verfassung aus. Die gemeinsame Außenpolitik sei ein zentraler Punkt für die Handlungsfähigkeit, sagte er. Wenn Deutschland auf sich allein gestellt wäre, hätte es in der globalisierten Welt keine Chance.

Bundesrat stimmt am 27. Mai ab - Zeichen für Franzosen

Darüber hinaus nannte er die Verankerung der europäischen Grundrechte, die für ihn schon allein Grund genug wären, der Verfassung zuzustimmen. Als dritten Punkt nannte der die Demokratisierung der Institutionen.

Mehr Rechte für das Europäische Parlament bedeuteten auch mehr Verantwortung. Dies müsse sich etwa in den Wahlkämpfen für das Europaparlament zeigen.

Bayerns Ministerpräsident Edmund Stoiber (CSU) rief dazu auf, für mehr Akzeptanz der EU-Verfassung bei der Bevölkerung zu werben. "Es genügt auf Dauer nicht, eine Mehrheit in Bundestag und Bundesrat zu haben", sagte der CSU-Vorsitzende in der Bundestagsdebatte zur EU-Verfassung. "Wir müssen auch die Menschen überzeugen."

Vollständig ratifiziert ist die Verfassung von deutscher Seite erst mit der Billigung des Bundesrates am 27. Mai. Die Bundesregierung hatte die Abstimmung vorgezogen, damit das deutsche Ratifizierungsverfahren noch vor dem französischen Referendum am 29. Mai abgeschlossen ist.

Damit soll ein Zeichen für die Franzosen gesetzt werden, die sich Umfragen zufolge möglicherweise mehrheitlich gegen die Verfassung aussprechen wollen.

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