EU-Staaten beraten über Sparauflagen:Union: Regierung ruiniert den Stabilitätspakt

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Die Opposition hat unmittelbar vor den entscheidenden Beratungen der EU-Finanzminister über die Sparauflagen für Deutschland vor einem Ende des Stabilitätspakts gewarnt. Sollte sich die Regierung im Defizitstreit mit der Kommission durchsetzen, "werden wir ab übermorgen keinen Stabilitäts- und Wachstumspakt mehr haben", so Friedrich Merz.

(SZ vom 25.11.2003) — Finanzminister Hans Eichel (SPD) verteidigte in einer Sitzung der Bundestagsausschüsse für Finanzen, Haushalt und Europa sein Vorgehen. Er deutete an, dass es Chancen für einen Kompromiss mit Brüssel gebe.

Eichel musste sich am Montag auf Verlangen der Opposition zwei Stunden lang den Abgeordneten stellen. In einem einstündigen Vortrag begründete er erneut den Widerstand der Bundesregierung gegen die Auflagen der Kommission, ließ aber auch eine mögliche Kompromisslinie erkennen: Demnach würde die Brüsseler Behörde auf die von ihr verlangten zusätzlichen Einsparungen Deutschland von sechs Milliarden Euro im nächsten Jahr größtenteils verzichten; gleichzeitig würden sich alle EU-Staaten dazu verpflichten, in wirtschaftlich besseren Zeiten mehr zu sparen als bisher: "Die Zeit der härtesten Sparauflagen ist nicht die Zeit der Rezession, sondern die Zeit des hohen Wachstums", sagte Eichel.

Auch die Vorsitzende des Finanzausschusses Christine Scheel (Grüne) ließ erkennen, dass die Regierung mit einem solchen Kompromiss leben könnte: Es sei "selbstverständlich", dass man das, was in wirtschaftlich guten Zeiten zusätzlich in die Staatskasse fließt, "zur Schuldentilgung nutzt".

"Einigermaßen fassungslos"

Die Brüsseler EU-Kommission beharrt jedoch darauf, das Strafverfahren gegen Deutschland so weiterzutreiben, dass als nächster Schritt bald Sanktionen bis zu einer Milliardenbuße folgen können. "An diesem Punkt geben wir nicht nach", sagt ein zentraler Brüsseler Akteur. Die Bundesregierung jedoch will eine Verschärfung des Strafverfahrens auf keinen Fall hinnehmen.

Die Opposition verlangte von Eichel, die Stabilitätsvorgaben exakt einzuhalten und die Zwangsvorgaben zu erfüllen. Der CDU/CSU-Fraktionsvize Friedrich Merz sagte, er sei "einigermaßen fassungslos über die Interpretation des Maastricht-Vertrages", wie sie jetzt von der Regierung vorgenommen werde: "Hier wird der Vertrag so hingebogen, wie die Regierung es aus ihrer Sicht für richtig hält."

Merz warnte davor, dass dies auf Dauer die Preisstabilität in Europa gefährde, die hohen Staatsschulden also Auslöser für eine höhere Inflation sein könnten. Auch der FDP-Politiker Carl-Ludwig Thiele kritisierte, die Regierung versuche, "den Stabilitätspakt aufzubröseln". Vor sechs Jahren hätten alle im Bundestag vertretenen Parteien dem Pakt und dessen wichtigster Regel zugestimmt, wonach die staatliche Kreditaufnahme nicht mehr als drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts betragen darf.

Der damalige Bundesfinanzminister Theo Waigel (CSU) hatte das Regelwerk gegen den anfänglichen Widerstand mehrerer EU-Staaten installiert: "Ich hätte es in meinen kühnsten Träumen nicht erwartet, dass Deutschland einmal der größte Sünder des Stabilitätspaktes wird", sagte Waigel am Montag. Eichel nannte die Kritik der Opposition "unangemessen".

Deutschland weise die niedrigste Inflationsrate in der Euro-Zone vor. Zugleich warf er Union und FDP vor, sie hätten bislang alle Spargesetze abgelehnt: "Die Argumentation der Opposition ist doppelzüngig." CDU-Chefin Angela Merkel hatte erklärt, die Union werde einem Vorziehen der dritten Stufe der Steuerreform nur zustimmen, wenn die Bundesregierung die Sparvorgaben aus Brüssel akzeptiere.

Nach dem Willen der EU-Kommission sollen Bund, Länder, Gemeinden und Sozialkassen in den nächsten beiden Jahren ihr um Konjunktureinflüsse bereinigtes Defizit um insgesamt 1,3 Prozentpunkte des Bruttoinlandsprodukts zurückführen. Nur dann sei gewährleistet, dass Deutschland 2005 wieder das Drei-Prozent-Kriterium des Stabilitätspakts einhalte.

Die EU-Finanzminister entscheiden am Dienstag über die Forderungen der Kommission an Deutschland und Frankreich. EU-Parlamentspräsident Pat Cox lehnte ein hartes Vorgehen gegen die beiden größten Wirtschaftsnationen Europas ab. Dies schade der Konjunktur in der ganzen EU, warnte Cox.

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