EU-Sondertreffen:In schlechter Verfassung

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EU-Kommissionspräsident Juncker appelliert an die Mitgliedstaaten, ihre Versprechen zu halten.

Von Thomas Kirchner

EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker hat an die Mitgliedstaaten appelliert, ihre Versprechen in der Flüchtlingskrise zu halten. "Wir müssen die Lücke schließen zwischen den Zusagen und dem, was auf dem Tisch liegt. Sonst verlieren wir jegliche Glaubwürdigkeit", sagte er am Dienstag vor dem Europäischen Parlament in Straßburg. Juncker spielte auf den Plan an, 160 000 Flüchtlinge in den EU-Staaten umzuverteilen. Bisher sind weniger als 1000 Zusagen eingegangen, aus einigen Ländern sogar noch gar keine. Außerdem fehlen weiterhin Hunderte Experten für das Asylbüro Easo sowie Grenzschützer für die Agentur Frontex.

Juncker verteidigte das Ergebnis des Sondertreffens zur Westbalkanroute am Sonntag. Das sei kein Tag großer politischer Aussagen gewesen, "sondern ein Tag, an dem man die Ärmel hochkrempelt". Dass dieses Treffen nötig gewesen sei, zeige, "dass die EU in keinem guten Zustand ist". Die Diskussion unter den anwesenden Staats- und Regierungschefs sei "offen, ehrlich und teilweise anstrengend" gewesen. Parlamentspräsident Martin Schulz ergänzte, er habe die Veranstaltung "tief betroffen" verlassen. "Die Atmosphäre war teilweise gespenstisch."

Kritik an der Kommission wies Juncker zurück. Es brauche jetzt keine "feierlichen Appelle aus Bayern oder sonstwo". Er wolle nicht hören, "dass der EU-Kommissionspräsident jetzt endlich die Dinge in die Hand nehmen soll", sagte der Luxemburger: "Ich tue sonst nichts. Wenn andere so aktiv wären bei der Bekämpfung der Flüchtlingskrise, wie die Kommission dies in täglichem und nächtlichem Einsatz ist, dann wären wir sehr viel weiter." Der Christdemokrat verteidigte auch die Kooperation mit der Türkei. Er habe selbst Zweifel und Bedenken. Es gebe ungelöste Fragen etwa bei den Menschenrechten und der Pressefreiheit. "Aber das bringt nichts. Ob es uns gefällt oder nicht, wir müssen mit der Türkei zusammenarbeiten." Juncker appellierte auch an die Mitgliedstaaten, mehr Geld zur Bekämpfung der Krise auszugeben. Der EU-Haushalt sei beschränkt, deshalb müsse über "zusätzliche Wege" zur Finanzierung nachgedacht werden.

Manfred Weber, Fraktionschef der Christdemokraten, forderte die "demokratischen, pro-europäischen Parteien" Europas auf, gegen den steigenden Populismus zusammenzuarbeiten. Die Parteien sollten aufhören, sich "den Schwarzen Peter hin- und herzuschieben". Man erlebe ein "Scheitern des überzogenen Nationalstaats, des nationalen Egoismus", sagte der CSU-Politiker. "Es ist das Europa von Farage und Le Pen, das sich hier trifft, es ist das Europa der Rechten, die in diesem Bereich leider Gottes nicht zu Lösungen hinkommen."

© SZ vom 28.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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