EU-Referendum:Das Leben geht weiter

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Nach einem Scheitern der Verfassung wird die EU zwar um 20 Jahre zurückgeworfen - Chaos bricht dennoch nicht aus.

Von Cornelia Bolesch

Irgendwann am Sonntagabend, wenn endgültig klar ist, wie Frankreich zur EU-Verfassung steht, werden die beiden Präsidenten im Brüsseler Berlaymont-Gebäude vor die Presse treten: Jose Manuel Barroso für die EU-Kommission und Jean-Claude Juncker für Europas Regierungen.

Beide Politiker wissen, dass bei einem "Nein" der Franzosen jedes ihrer Worte auf die Goldwaage gelegt wird. Schließlich erwartet die Öffentlichkeit ein erstes klares Signal, wie es im Europa der 25 Staaten jetzt weitergehen wird.

Der EU-Ratspräsident aus Luxemburg hat in diesen Tagen bereits eine erste Richtung vorgegeben. Juncker wurde in einem Interview gefragt, ob es überhaupt noch Sinn mache, die Ratifizierung der Verfassung in allen EU-Staaten bis zum Ende durchzuziehen, wenn die Franzosen und drei Tage später womöglich auch die Niederländer das Vertragswerk ablehnten.

Ratifikation muss weiterlaufen

Juncker hat darauf geantwortet: "Die anderen Völker können nicht einfach zu Hause bleiben, weil die Franzosen an ihrer Stelle entschieden haben". Die Ratifikation müsse weiterlaufen, um ein echtes Bild über die Akzeptanz dieses Zukunftsprojekts in der gesamten EU zu bekommen.

Juncker hat sogar noch etwas mehr gesagt: Jedes Land, das mit Nein stimmt, solle sich im Licht der übrigen Abstimmungen in Europa und aus Rücksicht auf die Partnerländer die Verfassungsfrage noch ein zweites Mal stellen.

Dahinter steht die Überlegung, dass die Länder ja nicht nur über die eigene Zukunft, sondern auch über die weitere Entwicklung in 24 anderen Staaten abstimmen. Ob Frankreich und Europa eine solche zweite Chance bekommen, hängt jedoch weder von Juncker noch von Barroso ab. Das entscheidet Frankreichs Staatspräsident Jacques Chirac.

Auch im schlimmsten Fall - Frankreich und die Niederlande sagen "Nein" - wäre es überraschend, wenn Europas Staats- und Regierungschefs einen Krisengipfel einberufen würden.

Ein solcher Aktionismus röche nach Panik und würde der Situation nicht gerecht. Denn Europa fällt selbst bei einem endgültigen "Nein" nicht in einen rechtlosen Zustand, sondern arbeitet weiter auf der Basis des Vertrags von Nizza aus dem Jahr 2001.

Turbulenzen für den Euro

Einige Regeln von Nizza - etwa die Stimmengewichte im Rat - würden ohnehin, selbst wenn die Verfassung durchkäme, bis zum Jahr 2009 gelten.

Am 16. und 17. Juni steht in Brüssel ein EU-Gipfeltreffen auf dem Programm, bei dem die Regierungschefs weitere Schritte beraten können. Volkswirte sehen dringenden Handlungsbedarf, denn sie befürchten nach einem Negativ-Votum der Franzosen Turbulenzen für den Euro.

"Der Markt würde ein Nein als Beleg dafür nehmen, dass das Projekt Europa nichts taugt", heißt es in Bankkreisen. EU-Ratspräsident Juncker malt die Folgen eines "Nein" realistischer aus: "Ohne die Verfassung fällt Europa in seiner Entwicklung zwanzig Jahre zurück".

Absehbar ist, dass die Unlust einiger Völker an der Europäischen Verfassung die Politiker nicht zu neuen Taten auf EU-Ebene beflügeln wird. Die Verhandlungen über den neuen Finanzrahmen werden sich verzögern; der Prozess der Erweiterung könnte neu diskutiert werden.

Die bereits festgezurrten Beitritte von Rumänien und Bulgarien lassen sich aber kaum verzögern. Sollte sich abzeichnen, dass die Verfassung nach ersten negativen Abstimmungen keine zweite Chance bekommt, wird man in den EU-Gremien verstärkt über einen Vertrag "Nizza plus" diskutieren.

Es gibt durchaus Elemente der Verfassung, die man herauslösen und von den nationalen Parlamenten ratifizieren lassen könnte. Eine Innovation wie das geplante grenzüberschreitende Bürgerbegehren könnte sogar ganz ohne jede Vertragsänderung praktiziert werden.

Ein echter Ersatz für den Verfassungsvertrag wären alle diese Reparaturmaßnahmen allerdings nicht. Sollte das Projekt endgültig scheitern, bleibt den Regierungen nicht viel anderes übrig, als die Kommunikation mit ihren Bürgern über die Zukunft Europas von vorne zu beginnen.

© SZ vom 28.5.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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