EU-Kommissionspräsident:Der Vorzeige-Europäer

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Er hält den Laden in Brüssel am Laufen, er ist die wichtigste Schnittstelle in der EU der vielen Häuptlinge, er kann losgelöst von nationalen Interessen handeln. Warum das Amt des Kommissionspräsidenten so wichtig ist.

Bernd Oswald

Die EU ist eine einzigartige politisch-wirtschaftliche Organisation mit einer einzigartigen und vor allem eigenwilligen Architektur. Die Machtverhältnisse sind fein austariert und auf viele Schultern verteilt. Deswegen gibt es gleich drei Präsidenten: Einen halbjährlich wechselnden Ratspräsidenten, sowie die für fünf Jahre gewählten Präsidenten von Parlament und Kommission.

Es ist nicht möglich, eine Rangfolge dieser Ämter zu erstellen, genau so wenig, wie es möglich ist, den Aufbau der europäischen Demokratien auf die EU zu übertragen. Trotzdem gibt es natürlich gewisse Parallellen: Auch die EU kennt eine Gewaltenteilung, in der der Kommissionspräsident eine Schlüsselrolle einnimmt.

Er fungiert als Bindeglied zwischen den EU-Institutionen. Als einziges Mitglied der Kommission nimmt der Präsident an den Tagungen des Europäischen Rates, also der Staats- und Regierungschefs, teil. Er ist also dabei, wenn die Leitlinien gefasst werden, auch wenn er selbst kein Stimmrecht hat. Das gleiche gilt, wenn Gesetze gemacht werden. Der Kommissionspräsident nimmt an den wichtigsten Sitzungen von Ministerrat und Parlament teil.

Parallelen zum Bundeskanzler

Auch wenn es viele Unterschiede gibt: Der Kommissionspräsident hat einiges mit dem Bundeskanzler gemein. Er wird vom Europäischen Parlament gewählt (auf Vorschlag der Staats- und Regierungschefs) und ist ihm auch verantwortlich. Bei einem Misstrauensvotum muss der Kommissionspräsident und mit ihm all seine Kommissare zurücktreten. Wie der Bundeskanzler verfügt auch der Kommissionspräsident über die Personalhoheit: Er darf seine Kommissare ernennen und entlassen und festlegen, wie die einzelnen Ressorts genau aussehen.

Zwar verfügt er nicht über die Richtlinienkompetenz wie der Bundeskanzler.

Die Leitlinien geben in der EU die Staats- und Regierungschefs vor. Dennoch ist der Kommissionspräsident derjenige, der die Union am Laufen hält. Er steht dem Gremium vor, dass als einziges der EU ein Initiativrecht für Gesetze und Rechtsakte hat. Die Kommission bringt aber nicht nur neue Maßnahmen auf den Weg, sondern sorgt auch dafür, dass die Beschlüsse umgesetzt werden.

Besonders auffällig wird das immer wieder beim EU-Stabilitätspakt: Während zum Beispiel Frankreich, Deutschland oder Portugal in der Vergangenheit gegen die Verschuldungskriterien verstießen, war es die Kommission, die sagte: So geht es nicht.

Im Interesse eines stabilen Euros drängte die Kommission die Mitgliedstaaten, die übermäßige Verschuldung durch Sparpolitik zurückzufahren und scheute auch einen Rechtsstreit mit den Staaten nicht.

Im Dienst des europäischen Interesses

Im Gegensatz zum Ratspräsidenten hat der Kommissionspräsident keinen nationalen Job, sondern kann sich ganz der EU widmen und das europäische Gesamtinteresse im Auge haben. Das heißt, dass er auf nationalstaatliche Interessen keine Rücksicht zu nehmen braucht und das auch gar nicht tun darf. Als Italien gegen die Defizitkriterien verstieß, ging die vom Italiener Romano Prodi geführte Kommission auch dagegen vor.

Im Brüsseler Kommissionsgebäude sitzen daher im Idealfall die wirklich überzeugten Europäer, die etwas für die Idee Europa tun und dafür sorgen, dass der Riesen-Moloch EU nicht nur so reibungslos wie möglich funktioniert.

Für den Präsidenten als Spitzen-Repräsentanten gelten noch höhere Anforderungen: Er muss den Europäern auch Sinn und Nutzen des ganzen Projekts erklären können und Visionen entwickeln, welches Gesicht die Union der Zukunft haben wird und welchen Platz sie in der Welt einzunehmen gedenkt.

Das sind hohe Anforderungen und die Kür ist kompliziert, weil das Amt des Europa-Idealisten von nationalstaatlichen Interessenvertreten besetzt wird.

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