EU: José Manuel Barroso:Herr Warten-wir-mal-ab

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EU-Kommissionspräsident Barroso zaudert gerne, doch mit der zweiten Amtszeit soll es schnell gehen: Warum es die Konservativen in Europa plötzlich so eilig haben.

Martin Winter, Brüssel

Es ist das gute Recht von José Manuel Barroso, bei den europäischen Regierungen für seine Wiederwahl an die Spitze der EU-Kommission zu werben.

José Manuel Barroso ddp (Foto: Foto: ddp)

Die Hast allerdings, mit der er und seine Freunde von der Europäischen Volkspartei (EVP) ihn noch vor der Sommerpause auf dem EU-Gipfel am 19. Juni und dann am 15. Juli im neugewählten Parlament durchsetzen wollen, legt einen Verdacht nahe: Sie sind sich ihrer Sache trotz ihrer überwältigenden Mehrheit im Europäischen Rat und ihrer Stärke im Europäischen Parlament nicht ganz sicher.

Wäre das anders, dann könnten sie gelassen bis zum irischen Referendum im Oktober warten. Danach wird klar sein, auf welcher vertraglichen Grundlage die neue Kommission berufen wird: auf der Basis des Reformvertrags von Lissabon, der dem Parlament mehr Rechte einräumt - oder auf der Basis des gültigen Vertrags von Nizza, der nur eine "Zustimmung" der Abgeordneten mit einfacher Mehrheit vorsieht.

Bis zum Herbst zu warten, wäre auch deswegen ehrlicher, weil sich alle Mitgliedsländer darüber einig sind, dass die Kommissare erst benannt werden sollen, wenn die vertragliche Grundlage klar ist. Politisch und rechtlich würde sich die EU im Übrigen in eine Grauzone begeben, wenn sie den Präsidenten nach anderen Regeln bestellte als die Kommissare.

Dass die EVP für Barroso dennoch den leichteren, quasi den Nizza-Weg nehmen will, liegt daran, dass es im Herbst schwieriger werden könnte, den Kommissions-Präsidenten durchzusetzen.

Mäßig überzeugend

Noch ist Barroso zwar weit und breit der einzige Kandidat. Zu den schweren Fehlern der europäischen Sozialisten zählt, dass sie während des Wahlkampfes darauf verzichtet haben, eine Alternative zum Amtsinhaber aufzustellen. Je mehr Zeit ins Land geht, desto größer könnte nun die Neigung bei Sozialisten, Grünen und einigen Liberalen werden, laut über Alternativen zu Barroso nachzudenken.

Denn dass dieser der einzige Kandidat ist, macht ihn noch nicht zum besten. Seine politische Bilanz ist mäßig überzeugend. Anstatt die Kommission zum Ideengeber und Antreiber der Europäischen Union zu machen, wartet Barroso immer erst ab und schaut, wo sich Mehrheiten abzeichnen.

So stieg die Kommission erst richtig in die Klimaschutzpolitik ein, als Bundeskanzlerin Angela Merkel mit einem ambitionierten Programm in den Europäischen Rat gegangen war und sich dort gegen alle Vorhersagen durchgesetzt hatte. Die Sozialpolitik entdeckte Barroso auch erst, als das Murren über die marktliberale Orientierung seiner Kommission unüberhörbar geworden war.

Katastrophale Nicht-Reaktion

Geradezu katastrophal war die Reaktion - oder besser gesagt: Nicht-Reaktion - auf den Zusammenbruch der Finanzmärkte. Selbst als die Weltwirtschaft im Frühherbst vergangenen Jahres in den freien Fall geraten war, durfte noch niemand in der Kommission das Wort Krise benutzen.

Als dann die Kommission endlich begriff, was sich in der Welt abspielte, kam sie zu spät, um eine führende Rolle im Krisenmanagement zu übernehmen. Diese Zögerlichkeit ist mitschuld daran, dass viele Mitgliedsländer der EU ihr Heil in nationalen Lösungen und im Protektionismus suchen.

Sicherlich ist es nicht einfach, eine Kommission zu leiten, welche die oft widerstrebenden Interessen von 27 Mitgliedsländern im Auge behalten muss. Barroso hat dabei einiges Geschick bewiesen.

Aber das ist nicht genug für diesen Spitzenposten - zumal nicht in Zeiten, in denen die EU Impulse und Zukunftsprojekte braucht. Angesichts der Mehrheitsverhältnisse im Europäischen Rat und im Europäischen Parlament ist die Wahrscheinlichkeit dennoch groß, dass Barroso eine zweite Amtszeit bekommt.

Indem sie sich einer schnellen Berufung verweigern, könnten Sozialisten, Grüne und Liberale die EVP aber immerhin dazu zwingen, öffentlich zu begründen, warum es keinen Besseren für diesen Posten gibt - als eben Barroso.

© SZ vom 10. Juni 2009/odg - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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