EU-Innenminister:Plötzlich kippt die Stimmung

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Zuerst sieht es so aus, als ob sich die EU-Innenminister in Brüssel einigen können, was die Verteilung von 120000 Flüchtlingen auf die EU-Staaten betrifft. Doch es kommt anders.

Von Thomas Kirchner, Brüssel

Verhandlungen sind erst zu Ende, wenn sie vorbei sind. Diese Lektion wurde Bundesinnenminister Thomas de Maizière am Montagabend beim Treffen der EU-Innenminister in Brüssel erteilt. Kurz vor 20 Uhr hatte er eine Unterbrechung genutzt, um das gewünschte Ergebnis in einer kurzen Pressekonferenz mit seinem französischen Amtskollegen vorwegzunehmen. Man habe sich "politisch" darauf verständigt, weitere 120 000 Flüchtlinge aus besonders betroffenen Ländern auf die EU-Staaten zu verteilen, wie das die EU-Kommission vorgeschlagen hat, sagte er. Über Details werde man dann beim nächsten Treffen im Oktober reden.

Zwar wäre auch dies nur ein Trippelschritt nach vorn gewesen, bedenkt man den Ernst der Lage und den Willen Berlins, so rasch wie möglich eine verbindliche Verteilungsquote zu beschließen. Als de Maizière aber an den Ratstisch zurückkehrte, "hatte sich die Stimmung total verändert", wie ein Diplomat sagte. Plötzlich bestanden die Osteuropäer darauf, explizit das Wort "freiwillig" in die Schlusserklärung einzufügen. Sie befürchteten, sich sonst rechtlich zu binden. Warum denn das, entgegnete de Maizière, von Verbindlichkeit sei im Text gar nicht die Rede, nur davon, dass "alle Staaten ihren Willen bestätigen mitzumachen". Ungarn, Slowaken, Tschechen, Rumänen blieben skeptisch. Auch Lettland soll zu der Gruppe gehören, während sich Polen differenzierter äußert. Nach einer weiteren Unterbrechung und Telefonaten mit den Hauptstädten erklärte der luxemburgische Außenminister Jean Asselborn das Treffen für beendet. Es sei zu früh für eine Entscheidung gewesen, sagte er hinterher. Es gebe nun die Option, beim nächsten Mal einen Beschluss mit qualifizierter Mehrheit zu treffen, also über die Stimmen der Osteuropäer hinweg. Müssen dann auch die Verteilungsgegner Flüchtlinge aufnehmen? "Mehrheit ist Mehrheit", sagt de Maizière. Wenn es eine verbindliche Regelung gebe, müsse sie "von allen eingehalten werden".

Die Osteuropäer behaupten, die Verhandlungen gar nicht zu blockieren

Sie blockierten gar nicht, verteidigen sich die Osteuropäer. "Das bedeutet nicht das Ende der Diskussion, das ist ein weiterer Schritt in der Diskussion", so Polens Innen-Staatssekretär Piotr Stachańczyk. Polen könne einem Automatismus nicht zustimmen. Da aber "viele Möglichkeiten der Elastizität" im Entwurf vorgesehen seien, sehe man gute Chancen auf eine Einigung.

Auch die Forderung nach mehr Druck wird nun immer lauter gestellt. Minister de Maizière schlug am Dienstag vor, widerspenstigen Ländern die EU-Strukturhilfen zu kürzen. Das gehe aber rechtlich nicht, stellte die Brüsseler Kommission klar.

So werden wohl wieder die Regierungschefs einen Kompromiss schmieden müssen, auf dem Sondergipfel, den Deutschland am Nachmittag vorschlug. Auch wenn Asselborn noch Widerstand leistet. Der SZ sagte er: "Wir sind doch nicht in der Afrikanischen Union", die EU lebe nicht nur von Absprachen zwischen den Staaten. Man solle die regulären Verfahren der EU anwenden und "die Minister ihre Arbeit machen lassen".

Auch die Innenminister wollen es noch mal versuchen, wie am Dienstagabend publik wurde, bei einem Treffen am 22. September.

© SZ vom 16.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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