EU in der Fiktion:Rolle des Bösewichts

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In Filmen, Serien und Romanen kommt die Europäische Union bisher selten vor. Wenn doch, dann als Schauplatz für Intrigen, Betrügereien und die Inkompetenz bürokratischer Berufspolitiker. Ändert sich das gerade?

Von Jennifer Rankin (Guardian)

Menschen, die ernsthaft nach Brüssel gehen, weil sie es emotional wollen? Auf der Suche nach Rache oder der großen Liebe? Für viele ist das eine ungewöhnliche Vorstellung. Besonders, wenn man beim Stichwort EU an Staubsauger-Verordnungen denkt. Aber es soll hier ums Fernsehen gehen. Und da ist zumindest theoretisch einiges denkbar. Zum Beispiel eine durchtriebene EU-Kommissarin, die in einem Brüsseler Büro sitzt und nachsinnt, wie sie am besten mit dem Ex-Liebhaber fertig wird. Und mit den Rivalen am Kabinettstisch. Klar, dass die Kommissarin manikürte Fingernägel und eine perfekt sitzende Frisur haben muss. Und dass sie erbittert private Geschäftsinteressen verfolgt.

Es gibt die Kommissarin wirklich. Zumindest als Hauptfigur in der Fernsehserie Brussels, die Anfang des Jahres in den Niederlanden auf Sendung ging. Die Kommissarin heißt Moniek van Dalen. Sie hat Bilder von Modigliani im Büro hängen und gute Kontakte zur Ölindustrie. In Brussels trifft sie unter anderem auf einen russisch-ukrainischen Ölmagnaten. Gesprochen wird in der Serie Niederländisch, Englisch, Französisch und Russisch, meistens durcheinander. Es ist eine der Produktionen, die nicht nur in der EU spielen, sondern auch von der EU handeln. Das kommt selten vor.

Bestes Beispiel ist das dänische Polit-Drama Borgen. Ein Exportschlager, aber die EU taucht nur in einer Folge auf. Sie heißt: "In Brüssel hört dich niemand schreien." Es geht darum, wie man einen unliebsamen politischen Gegner loswird. Ganz einfach: Man befördert ihn zum EU-Kommissar und schickt ihn nach Brüssel. Gleiches gilt für die berühmte britische Sitcom Yes Minister. Im Zentrum steht ein Beamter, der alle Macht in den Händen hält, während sein Minister ahnungslos durch den Alltag strauchelt. Die EU kommt allenfalls in Witzen über Sonderzuschüsse aus Brüssel vor. Und in einer berühmten Zusammenfassung der britischen Europapolitik ("Europa spalten"), die der Beamte seinem Minister ins Gedächtnis ruft. Was in allen Filmen fehlt, ist ein europäischer Superheld, eine Identifikationsfigur, wie ihn der britische Geheimdienst in James Bond gefunden hat.

In Großbritannien brennt sich das Bild von Brüssel als Ort der Intrigen und Betrügereien ein

"Die EU wird immer als langweilig und zu technisch gesehen", sagt Ingo Espenschied. "Die Leute vergessen, dass Menschen dahinterstehen." Espenschied ist Journalist und Politikwissenschaftler. Er hat Dokumentationen über Konrad Adenauer und die europäische Integration gedreht. Er sagt, es gebe wenige bekannte Filme in Deutschland und Frankreich, die sich mit der EU befassen. Das überrascht ihn: "Wenn man sich die Zutaten anschaut, dann hat die Geschichte der EU alles zu bieten, was es für eine Hollywood-Geschichte braucht." Espenschied denkt an Deutschland und Frankreich: früher Erzfeinde, heute Partner.

Als Hollywood-reifes Filmspiel wurde die EU aber nie inszeniert. Schon gar nicht in Großbritannien. Ins kollektive Gedächtnis hat sich dort das Bild von Brüssel als einem Ort der Intrigen und Betrügereien eingebrannt. Besonders seit Mitte der 1980er-Jahre, als die Konservativen über den Maastrichter Vertrag stritten. An der Grundausrichtung hat sich bis heute nichts geändert. Vor fünf Jahren erschien der Roman A Sentimental Traitor von Michael Dobbs. Er handelt von einer Anti-Terroreinheit der EU, die von Russen unterwandert wird. Dobbs spinnt einen mörderischen Plot - wie es andere vor ihm taten.

Bereits eine Generation früher wählte Stanley Johnson, Westminister-Abgeordneter und britischer EU-Abgesandter, Brüssel als Schauplatz für seinen Thriller Der Kommissar aus. Die Handlung: Ein unliebsamer Tory-Minister wird nach Brüssel abgeschoben, er wird EU-Kommissar und findet sich in einer Riesenverschwörung wieder: Der Kommissionspräsident macht gemeinsame Sache mit der deutschen Chemiemafia. Sie produzieren das Entlaubungsgift "Agent Orange" und versenken Müll im Rhein. Mittendrin der britische EU-Kommissar und ein paar wenige Aufrichtige.

Ob das Politdrama "Brussels" exportiert wird? Man braucht Lust auf europäische Geschichten

Der wohl denkwürdigste Beitrag zum britischen Mythenschatz über Brüssel stammt allerdings aus der Feder von Stanley Johnsons Sohn Boris Johnson, dem aktuellen Außenminister. Johnson junior arbeitete viele Jahre als Europa-Korrespondent für den Daily Telegraph in Brüssel. In dieser Zeit trieb er die Europa-Mythen in eine ungeahnte Höhe. Zum Beispiel mit Berichten, wonach die EU plane, die Größe von Kondomen zu standardisieren. Oder Garnelenchips zu verbieten.

Für Steven Fielding, Professor an der Nottingham University, ist das negative Brüssel-Bild vieler Briten keine Überraschung. Er sagt, es spiegle nur die "tiefe Angst vor der Bürokratie" wider. Eine Angst, die viele Briten aus George Orwells Buch 1984 kennen. Oder dem Roman Little Dorrit von Charles Dickens. Dort müssen die Bürger endlos Formulare ausfüllen, mit dem einzigen Effekt, dass neue Formulare kommen, sobald die alten vollgeschrieben sind. Die Europäische Kommission werde in der britischen Literatur oft als unheimliche graue Macht dargestellt, sagt Fielding. "Die Angst, im System verloren zu gehen, ohne das System kontrollieren zu können, ist ein klassisches Leitmotiv in Dystrophien." Auf die Brüsseler Superbürokratie lasse es sich besonders gut anwenden.

Andere Länder in Europa sind da gnädiger als die Briten. Sie sehen in der EU nicht automatisch ein Bürokratie-Monster, sondern konzentrieren sich auf das komödiantische Potenzial, das so eine enge Nachbarschaft mit sich bringt. Der Film "Barcelona für ein Jahr" ist ein solcher Fall. Er erzählt die Geschichte von Erasmus-Studenten, die sich in Barcelona eine Wohnung teilen müssen. Die jungen Leute streiten über den Platz im Kühlschrank. Sie geben sich Tipps, wie man sein Gegenüber am besten verführt. Es gibt ein Happy End.

Mittlerweile dreht sich aber nicht mehr alles um die Slapstick-Komödien. Es gibt mehrsprachige Filmproduktionen - wie das Polit-Drama Brussels. Ob es allerdings demnächst auch außerhalb der Niederlande zu sehen ist, hängt vom Willen der Zuschauer ab. Sie müssen Lust auf europäische Geschichten haben.

© SZ vom 23.03.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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