EU-Haftbefehl:Aufklärung per Ohrfeige

Lesezeit: 3 min

Ein österreichischer, italienischer oder spanischer Staatsanwalt konnte einen Deutschen in Deutschland viel leichter verhaften lassen als ein deutscher Staatsanwalt. Mit den Grundrechten und der Unschuldsvermutung war das alles nicht in Einklang zu bringen. Von Heribert Prantl

Der österreichische Sänger Wolfgang Ambros ist einer der erfolgreichsten Vertreter des Austro-Pops. Als Interpret der Entscheidungen des deutschen Bundesverfassungsgerichts war er bislang noch nicht hervorgetreten.

Gleichwohl geben seine Liedzeilen eine schöne Ausdeutung des jüngsten Urteils zum Europäischen Haftbefehl: Wolfgang Ambros' Lied heißt "Zwickt's mi", und er bittet dort, weil er die Welt nicht mehr versteht, ihm eine "Watschn" zu geben - worauf ihm jemand tatsächlich eine langt.

Der Sänger bedankt sich höflich, weil ihm die Ohrfeige zu einem Erkenntnisgewinn verholfen habe: "Danke, jetzt is ma kloar: Es is woa, es is woa."

Nun zur Übersetzung und Nutzanwendung: In der Rolle des Sängers Ambros - der deutsche Parlamentarier. Er wird gewatscht, weil er die europäische Welt nicht kapiert und durch sein eher jammervolles Auftreten bei der Verhandlung in Karlsruhe incidenter um solche Behandlung gebeten hat.

Apathische Jammerei

Die Ohrfeige wird ihm vom 2. Senat des Bundesverfassungsgerichts verabreicht. Der Gewinn für den Geohrfeigten besteht darin, dass er nun aus seiner apathischen Jammerei erwacht und kapiert, dass Brüssel ihn nicht so "normativ unfrei" macht, wie er das immer geglaubt hat.

"Es is woa", um noch mal Ambros zu zitieren, dass ein EU-Rahmenbeschluss kein Fertiggericht ist, das aus Brüssel mit festgesetzter Konsumationsfrist kommt, das auf dem nationalen Herd nur noch heiß gemacht werden darf und dann so und nicht anders den Deutschen vorgesetzt werden muss.

Karlsruhe erklärt dem Gesetzgeber, dass spezielle deutsche Zutaten durchaus hinein sollen und manchmal aus Verfassungsgründen hinein müssen. Juristisch heißt das: Die "Umsetzungsspielräume" nutzen.

Zwecks dieser Erkenntnis hätte man eigentlich nicht Karlsruhe und den dortigen Watschenbaum bemühen müssen: Ein Blick nach Österreich hätte gezeigt, wie das dortige Parlament (um die Landsleute vor dubiosen Auslieferungen ins EU-Ausland zu bewahren) die Spielräume des Rahmenbeschlusses bis zum letzten Millimeter genutzt hat.

Doch keine unabwendbare Heimsuchung

Der deutsche Gesetzgeber dagegen hat so getan, als sei der EU-Haftbefehl eine unabwendbare Heimsuchung, gegen die man nichts, aber auch gar nichts machen könne.

Und deshalb war die Rechtslage bis zum gestrigen Spruch des Verfassungsgerichts untragbar - nämlich so, dass es für die Justiz im EU-Ausland viel schwieriger war, einen Deutschen in Deutschland zu vernehmen, als ihn dort gleich verhaften und dann ins Ausland schaffen zu lassen.

Ein österreichischer, italienischer oder spanischer Staatsanwalt konnte einen Deutschen in Deutschland viel leichter verhaften lassen als ein deutscher Staatsanwalt. Mit den Grundrechten und der Unschuldsvermutung war das alles nicht in Einklang zu bringen.

Karlsruhe hat daher das deutsche Umsetzungsgesetz zerrissen und dem Gesetzgeber aufgegeben, es, nun gründlicher und ohne falsche Devotion gegenüber Brüssel, noch einmal zu schreiben. Dieses Urteil ist ein Sieg für die Grundrechte.

Und es ist ein Akt der europäischen Aufklärung: Es befreit den deutschen Gesetzgeber aus der von ihm selbst verschuldeten Unmündigkeit. Es lehrt die Parlamentarier, sich auch in europäischen Angelegenheiten ihres eigenen Verstandes zu bedienen. Es macht ihnen klar, dass sie sich selbst Fesseln angelegt haben.

Schön und angreifbar

So schön das Urteil im Ergebnis ist, so angreifbar sind Details der Begründung: Es hätte nicht des großen historischen, naturrechtlichen und nationalen Geschwurbels bedurft, um zu begründen, was mit großer Klarheit im Grundgesetz steht:

Eine vom grundsätzlichen Verbot der Auslieferung von Deutschen ans Ausland abweichende Regelung muss "rechtsstaatliche Grundsätze" wahren. Dies und nur dies und nichts anderes war zu prüfen. Genügte das Umsetzungsgesetz also rechtsstaatlichen Ansprüchen? Das war offensichtlich nicht der Fall.

Die Bundesjustizministerin sollte deshalb das Gerede über einen "Rückfall im Kampf gegen den Terror" sein lassen. Offensichtliche Illegalitäten sind kein Mittel in diesem Kampf.

Einen kleinen Konflikt mit dem EU-Gerichtshof hat Karlsruhe riskiert: Die deutschen Richter setzten sich über dessen jüngste Rechtsprechung hinweg, indem sie den EU-Rahmenbeschluss nicht den supranationalen Entscheidungsstrukturen des Gemeinschaftsrechts, sondern dem Völkerrecht zuordneten; auf diese Weise behielt Karlsruhe seine Prüfungskompetenz, und die deutschen Legislativorgane konnten in ihre politische Gestaltungsmacht eingesetzt werden.

Wer prüft das?

Den großen Konflikt mit der EU und ihrem Gerichtshof wagte Karlsruhe jedoch nicht: An der Prüfung des EU-Rahmenbeschlusses selbst mogelte man sich vorbei. Wie steht es, wenn daran die Kriterien von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit angelegt werden? Wer prüft das? Wer schützt den Bürger? Wo ist ein europäisches Gericht, bei dem der einzelne Bürger die Verletzung seiner Grundrechte geltend machen könnte?

Die Befreiung des Bürgers aus seiner europäischen Unmündigkeit steht noch aus. Sie gelingt nur, wenn die obersten nationalen und europäischen Gerichte zusammenarbeiten und sich gemeinsam um guten Grundrechtsschutz bemühen.

© SZ vom 19.7.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: