Essay:Fallen Beschlüsse, fallen Bäume

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Illustration: Stefan Dimitrov (Foto: dimitrov)

Wenn Bürger bestimmen wollen: Wie es im noblen Hamburger Stadtteil Winterhude im Streit um eine Fahrspur für Busse gerade sehr persönlich wird.

Von Hannah Beitzer, Hamburg

Der Baum an der Bushaltestelle ist eines Morgens fort. Nur ein Stumpf ist übrig. So viele Jahre umsonst gewachsen, denkt Bettina Hagen. So tippt sie es in Großbuchstaben in eine Mail, hängt ein Foto des Stumpfes an, schickt es an ihre Nachbarn auf dem Mühlenkamp, einer Straße im Hamburger Stadtteil Winterhude.

Weichen musste der Baum einem Programm des Senats. Damit die Linienbusse besser und schneller durch die Hansestadt kommen, werden seit 2013 Straßen umgebaut, Haltestellen versetzt und barrierefrei gemacht. Viele Menschen in den betroffenen Stadtteilen sind davon nicht begeistert. Denn es gehen Parkplätze verloren, Ladenbesitzer klagen über Straßensperren, Bäume fallen. Vor allem in Winterhude, einem noblen Viertel mit Boutiquen, Cafés und teuren Wohnungen machen die Leute mobil. Ende 2014 sammelten sie in ganz Hamburg mehr als 20 000 Unterschriften für die Volksinitiative "Stopp des Busbeschleunigungsprogramms". Das Wortungetüm wurde zu einem Beispiel, wie Kommunikation zwischen Politik und Bürger schieflaufen kann.

Bettina Hagen und ihre Mitstreiter von der Bürgerinitiative "Unser Mühlenkamp" laden für Gespräche gern ins Café "Drei Tageszeiten", das Hagens Mann gehört und direkt an der Straße liegt. Bettina Hagen war in den 1970er-Jahren ein international gefragtes Model. Ehrfurchtsvoll schreibt die Lokalpresse noch immer darüber, dass sie einst mit Leonard Cohen liiert war. Heute ist sie Künstlerin. Mit ihrem rötlichen Haar und den Sommersprossen sieht sie weit jünger aus als 68.

Auf dem Tisch vor ihr liegt ein stattlicher Ordner. Darin Fotos der Straße vor ihrer Haustür und Protestmails, die sie an Politiker geschrieben hat. Die haben sie bloß vertröstet, sagt sie: "So was von bürgerfeindlich, das hätte ich mir nicht vorstellen können." Hagen deutet hinüber zum Fenster. Direkt vor dem Café soll die Linksabbiegerspur abgeschafft werden und eine Verkehrsinsel verhindern, dass Autos in zweiter Reihe parken. Bettina Hagen und ihr Mann befürchten nun, dass das Fahrzeug, das den Fettabscheider in ihrer Küche leert, wegen der Verkehrsinsel die Straße versperren würde. So hat jeder sein privates Problem mit dem Programm Busbeschleunigung .

Die Unzufriedenheit zu spüren bekommen auch die Vertreter der SPD in der Bezirksversammlung Hamburg-Nord, dem Stadtteilparlament. Fraktionschef Thomas Domres, 52, graue Haare, Hamburger Schnack, ist von seinen Kritikern genervt. "Die haben bis zu der Drohung, sich an einen Baum zu ketten, alles Mögliche veranstaltet", sagt er. Räumt aber ein, dass die ersten Pläne der zuständigen Landesbehörde für den Mühlenkamp, aus dem Jahr 2013, noch unausgegoren waren. So sollte eine Bushaltestelle ausgerechnet an die engste Stelle der Straße versetzt werden. Doch den Vorwurf, die Anwohner zu übergehen, will er nicht auf sich sitzen lassen. Im Gegenteil: Die Bürger seien seit 2013 regelmäßig befragt worden, 80 Prozent der Wünsche habe die Planungsbehörde erfüllt. Nicht restlos alle freilich, aber das könne sie auch gar nicht. "Wir müssen auch an die 26 000 Buspassagiere denken, die nicht auf einer Anwohner-Versammlung sind", sagt Domres.

Der Streit in Hamburg-Winterhude ist längst persönlich geworden. SPD-Mann Domres wirft der Initiative vor, es mit der Wahrheit nicht genau zu nehmen. Drei Tage nach Beginn der ersten Bauarbeiten ist ein Feinkostladen pleite gegangen. "Da hieß es gleich: Das ist wegen der Busbeschleunigung." Dabei habe der Laden ohnehin Probleme gehabt. Er nimmt seinen Gegnern auch nicht ab, dass sie sich um Bäume sorgen, er glaubt, sie wollen keine Parkplätze aufgeben. "Die Leute finden: Ich muss einen Stellplatz vor der Tür haben, und der muss umsonst sein", klagt Domres. "Denen ist es egal, ob ein Behinderter gut aus dem Bus kommt."

Bettina Hagen sagt: "Ich fahre seit 20 Jahren kein Auto. Mir geht es nicht um Parkplätze."

So schwappt die Empörung hin und her. Auf Facebook liefern sich beide Parteien Wortgefechte. Hagen druckt Chatprotokolle aus und heftet sie ab.

Das Misstrauen bleibt. "Ich traue denen zu, dass sie alles über den Haufen werfen."

Hinter dem Konflikt steht eine grundsätzliche Frage: Wer hat das letzte Wort darüber, wie ein Viertel aussehen soll? Die Menschen, die dort wohnen? Oder Politiker, die ihr Mandat in repräsentativen Wahlen erhalten? Diese Frage treibt längst mehr Menschen um als nur die Anwohner des Mühlenkamps. Im vergangenen Jahr sprang der Protest aufs benachbarte Uhlenhorst über. Auch dort soll gebaut werden. Zu einer Informationsveranstaltung im Herbst kamen mehr als 1000 Menschen. Sie alle drängten sich in einer Kirche. Ein Mitarbeiter der Landesbehörde, mit der leidvollen Aufgabe betraut, das Projekt Busbeschleunigung vorzustellen, wurde gnadenlos ausgebuht. Die Bezirkspolitiker standen daneben, fassungslos über die Ablehnung, die ihnen von Seite der braven Bürger entgegenschlug.

Vielleicht waren es die 20 000 Unterschriften, binnen acht Wochen gesammelt, vielleicht der Unwille der Politiker, sich länger beschimpfen zu lassen. Inzwischen haben die Fraktionen von SPD und Grünen in der Bürgerschaft einen seitenlangen Kompromiss mit all den Initiativen ausgehandelt, der auch die Beteiligung der Bürger festschreibt. Auf dem Mühlenkamp zum Beispiel wird nun die Linksabbiegerspur provisorisch abgeklebt, um zu sehen, was passiert. Bettina Hagen ist sicher, dass der erste Stau nicht lange auf sich warten lassen wird. "Ich traue denen zu, dass sie alles über den Haufen werfen", sagt sie. Der mühsam ausgehandelte Kompromiss ist für sie nicht das Ende, sondern nur eine weitere Etappe im Kampf um das Viertel.

© SZ vom 11.04.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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