Eskalation in Nahost:Krieg den Brüdern

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Die Forderung nach Neuwahlen ist die letzte Drohung, die Abbas bleibt. Seine Initiative kann allerdings wenig dazu beitragen, den Konflikt zu lösen.

Ein Kommentar von Christiane Schlötzer

Das Zitat stammt von Abba Eban, Israels Außenminister während des Sechs-Tage-Kriegs von 1967. Eban sagte: ,,Die Palästinenser haben nie eine Gelegenheit verpasst, eine Gelegenheit zu verpassen.''

Der Satz hat James Baker, damals Chef des US-State Departement, so gefallen, dass er ihn 1991 wiederholte. Im Golfkrieg um Kuwait war das, als sich die Palästinenser viele Sympathien im Westen verscherzten, weil Leute in Gaza auf Dächern tanzten, als in Israel Saddam Husseins Scud-Raketen einschlugen.

Es gäbe jetzt wieder Anlass, das Zitat zu gebrauchen. Denn die beiden rivalisierenden Palästinenserparteien Fatah und Hamas lassen nun keine Gelegenheit mehr aus, Gaza und das Westjordanland an den Rand eines Bürgerkriegs zu treiben.

Fatah hat Niederlage nicht akzeptiert

Die Palästinenser haben vor elf Monaten eine Regierung gewählt, die nicht regieren kann. Sie kann es nicht, weil die an den Urnen im Januar 2006 unterlegene Fatah ihre Niederlage nie wirklich akzeptiert hat und blockiert, wo es geht.

Erste Koalitionsangebote der von ihrem Wahlsieg selbst völlig überrumpelten radikalen Hamas wies die Fatah gekränkt zurück. Als Fatah-Chef und Palästinenserpräsident Machmud Abbas kürzlich umschwenkte und eine Koalition der Nationalen Einheit bilden wollte, da blieben die Islamisten stur, mochten nicht als der Verlierer dastehen und ließen sich nicht auf den Deal um Posten und Positionen ein.

Die Forderung nach Neuwahlen ist die letzte Drohung, die Abbas bleibt. Aber es ist in Wahrheit ein stumpfes Schwert, weil ohne die Hamas neue Wahlen gar nicht zu organisieren sind. Blockieren die Bürgermeister der vielen von der Hamas beherrschten Kommunen die Wahllokale, gibt es keine Abstimmung.

Die Hamas aber hatte auch deshalb nie eine Chance, Regierungsfähigkeit zu üben - und sich so gegebenenfalls wie Islamisten anderorts zu mäßigen -, weil ihr das wichtigste zivile Machtmittel fehlte: Geld.

87 Prozent der Gaza-Haushalte unter Armutsgrenze

Wer weder Polizisten noch Postboten entlohnen kann, der kann auch nicht für Recht und Ordnung sorgen. Das Chaos spüren alle in den Palästinensergebieten. Bewaffnete Raubüberfälle, Verkehrsunfälle, um die sich keiner kümmert, Krankenschwestern, die nicht zum Dienst erscheinen, weil sie die Busfahrkarte nicht bezahlen können - alles Alltag.

Die Vereinten Nationen warnen, dass 87 Prozent der Gaza-Haushalte unter der Armutsgrenze lebten. Die Hamas wird bei Neuwahlen, sollte es sie geben, für all das womöglich nicht büßen. Sie hat eine Entschuldigung: der Finanzboykott gegen ihre Regierung, die nie regierte, durch die EU, Amerika und Israel.

Israel sagt nun, wenn Abbas Neuwahlen anstrebe, sei dies eine innerpalästinensische Angelegenheit. Das klingt, als respektiere die Regierung in Jerusalem die politische Souveränität der Palästinenser. Aber das stimmt nicht.

Israel hat viel dazu beigetragen, die Radikalen zu nähren. Der israelische Schriftsteller David Grossmann beklagt, dass Israel über Jahrzehnte hinweg alles getan habe, um seinen ,,Griff auf die besetzten Gebiete zu stärken''.

Steigende Siedlerzahl

Die Zahl der israelischen Siedler im Westjordanland hat sich seit dem Oslo-Abkommen von 1993 mehr als verdoppelt. Für Oslo haben Jitzhak Rabin, Schimon Peres und Jassir Arafat einst den Friedensnobelpreis erhalten.

Man muss die Situation im dem seit 1967 besetzten Westjordanland nicht mit der Apartheid im früheren Südafrika vergleichen, wie dies gerade Ex-US-Präsident Jimmy Carter in einem neuen Buch tut. Aber das krasse Zwei-Klassen-Recht für Israelis und Palästinenser trägt zu enormer politischer Frustration bei.

Diese Politik stärkt die Extremisten. Schon Arafat hat sich einst damit zu retten versucht, dass er mit dem Terror flirtete. Israel wiederum hatte den Palästinenserpräsidenten geschwächt, indem es die Siedler nicht stoppte und ihnen dazu immer neue Straßen durch das Land der Palästinenser baute.

Israel profitiert nur kurzfristig von Chaos

Auch Abbas hat durch Israel keine wirkliche Stärkung erfahren. Israel profitiert von der Schwäche der Palästinenser-Führungen aber allenfalls kurzfristig, das gilt auch für das gegenwärtige Chaos.

Am 25. Juni wurde an der Grenze zum Gaza-Streifen der israelische Soldat Gilad Schalit entführt. Er wird nicht freikommen, solange es keine Palästinenserführung gibt, die in der Lage ist, die Radikalen zu stoppen.

Wer den Extremisten den Wind aus den Segeln nehmen will, der muss den Palästinensern eine echte Perspektive geben, eine, die über die UN-Hilfslieferungen von Reis und Bohnen hinausreicht.

Nahost-Quartett muss eingreifen

Sie kann nur in einem umfassenden Friedensplan entworfen werden. Das Nahost-Quartett - bestehend aus den USA, Russland, der UN und der EU - sollte sofort zusammentreten und tätig werden.

Wenn es noch einer Aufforderung bedurft hat, endlich neue Gespräche zwischen Israel und den Palästinensern voranzubringen, dann sollte die gegenwärtige politische Implosion in den Palästinensergebieten dafür Anlass genug sein.

Friedensgespräche wären wichtiger als palästinensische Neuwahlen, bis zu denen es angesichts der nötigen Vorbereitungen ohnehin noch mindestens sechs Monate dauern dürfte. Bis dahin kann noch viel Blut fließen.

Die Welt darf dem nicht zuschauen, und Israel schon gar nicht, weil das Land der Juden nie in Frieden leben wird, wenn es seine palästinensischen Nachbarn nicht können.

© SZ vom 18.12.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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