Eskalation im Nahen Osten:Arabische Kakophonie

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Unter den regionalen Mächten gibt es keine Solidarität - jedes Land verfolgt eigene Interessen.

Heiko Flottau

Amr Mussa, früher Ägyptens Außenminister und heute Generalsekretär der Arabischen Liga, brachte auf den Punkt, was die meisten Araber denken. Den neuen Krieg in Nahost kommentierte Musa realistisch: "Der Friedensprozess ist tot."

Das ist wohl der einzige Punkt, in welchem die Potentaten der arabischen Welt übereinstimmen. Denn wie immer gingen sie den für sie bequemen Weg: Vollmundig verurteilten die Außenminister der Liga in Kairo die israelische Invasion des Libanon.

Doch schon bei der Ursachenforschung zeigte sich, dass, - auch wie immer - nationale Eigeninteressen schwerer wiegen als arabische Solidarität. Ägypten gibt der Hamas und der Hisbollah die Schuld an der Eskalation des Konfliktes. Die Gründe: Ägypten ist, neben Israel und Saudi Arabien, einer der wesentlichen strategischen Partner der USA in der Region.

Wichtiger noch: Ägypten hat eine gemeinsame Grenze mit dem von der Hamas beherrschten Gazastreifen. Das seit 1981 regierende Regime Hosni Mubaraks hat es als "nationales Interesse" definiert, die im Lande populäre und bei Wahlen erfolgreiche Muslimbruderschaft zu schwächen.

Politische und vor allem militärische Erfolge der Hamas im benachbarten Gaza würden den Muslimbrüdern in Kairo neuen Zulauf bescheren. Ähnlich argumentiert der US-Verbündete Saudi Arabien.

Eine Stärkung der schiitischen Hisbollah, so sieht es das Prinzenregime in Riad, würde die nicht unbedeutende schiitische Minderheit des Königreiches stärken. Weil diese Minderheit überwiegend in der erdölreichen Hassa-Provinz am Golf lebt, könnte sie, so sieht es das Regime, in Krisenzeiten durch Aufstände die wirtschaftliche Grundlage des Landes gefährden.

Mohammed al-Zulfa, ein Mitglied des vom König berufenen Konsultativrates, erinnerte in Riad zudem daran, dass es sein Land gewesen sei, das 1990 auf einer Konferenz in der saudischen Stadt Taif den 15-jährigen libanesischen Bürgerkrieg beendet habe.

Niemand im Königreich habe ein Interesse daran, den auch mit saudischen Geldern wieder aufgebauten Libanon abermals zu zerstören.

Historischer Anspruch

Auf der anderen Seite der arabischen Ungleichung steht Syrien. Seinen historischen Anspruch auf den Libanon hat es nie aufgegeben.(Der Libanon wurde in der Friedensregelung nach dem Ersten Weltkrieg von Syrien abgetrennt.)

Zwar mussten im letzten Jahr syrische Truppen auf Druck der USA und der UN den Libanon verlassen. Aber nun versucht Syrien, mit Hilfe der Hamas und der Hisbollah, erneut Einfluss im Lande zu nehmen. Während es im Interesse Ägyptens und Saudi Arabiens liegt, der Hamas und der Hisbollah die Schuld am Krieg zu geben und dadurch Israel diplomatisch ein wenig zu entlasten, folgt Syrien seiner traditionellen Konfrontationspolitik gegen Israel.

Ein Grund für diese kompromisslose Haltung liegt auch darin, dass Israel die 1967 eroberten syrischen Golanhöhen annektiert hat.

Die schiitische Hisbollah, neben der Hamas die zweite gegen Israel Krieg führende Miliz, wird von Syrien, mehr aber von Iran finanziert. Die Loyalität der Hisbollah gilt daher nicht nur dem libanesischen Staat, sondern auch dem schiitischen Regime in Iran. Hinzu kommt, dass Teheran und Damaskus eng liiert sind.

Nach der schiitischen Revolution in Iran (1979) haben sich die politischen Parias der Region, das Regime Ayatollah Khomeinis und das Regime des damaligen syrischen Präsidenten Hafis al-Assad in einer strategischen Allianz zusammengeschlossen.

Dass Syrien und Iran einerseits, sowie Israel andererseits ihre politischen Ziele auf dem Gebiet des Libanon mit militärischen Mitteln weiterverfolgen, hat eine unheilvolle Tradition. 1978, als die "Palästinensische Befreiungsorganisation" (PLO) Jassir Arafats noch vom Libanon aus gegen Israel kämpfte, wurde der israelische Botschafter in London von Palästinensern ermordet.

Israel nahm die Bluttat zum Anlass, eine lang geplante Operation gegen die PLO zu starten - seine Truppen drangen in den Südlibanon bis zum Fluss Litani vor. Die Intervention führte allmählich zur Bildung der Hisbollah. Im Südlibanon mit seinem hohen schiitischen Bevölkerungsanteil traf sie auf großen Zuspruch. Eine andere Folge war, dass die Vereinten Nationen die Beobachtertruppe UNIFIL (UN Interim Force in Lebanon) ins Land schickte. Sie ist heute noch immer dort stationiert.

Zum zweiten Mal zog Israel 1982 unter Verteidigungsminister Ariel Scharon gegen die PLO im Libanon zu Felde. Die nicht einkalkulierte Nebenwirkung: Die Hisbollah wurde endgültig zur entscheidenden Kraft im Süden des Landes.

Als Israel 1996 abermals Truppen in den Libanon schickte, galt der Kampf daher nicht mehr der PLO, sondern der Hisbollah, die wieder gestärkt aus dem Einmarsch hervorging. Im Angesicht israelischer Truppen scharten sich auch skeptische Libanesen um die Gottespartei. Das könnte sich jetzt wiederholen.

© SZ vom 17.7.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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