Erstes Interview nach Geiselhaft:"Eine Art Folter"

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Wenige Tage nach ihrer Freilassung sprechen René Bräunlich und Thomas Nitzschke erstmals über die 99 Tage ihrer Gefangenschaft. Sie seien nicht misshandelt worden, mussten aber tagelang in dunklen Erdlöchern ausharren. Beide Ingenieure widersprachen fast allen Medienberichten über die Umstände ihrer Geiselnahme.

In dem Interview mit der Leipziger Volkszeitung sagten die befreiten Geiseln, sie seien während ihrer gesamten Gefangenschaft in der Hand einer Entführergruppe gewesen. "Es war immer dieselbe Gruppe, die uns gefangen hielt. Es stimmt nicht, dass wir verkauft wurden", sagte Nitzschke. Offensichtlich habe es sich um Leute gehandelt, "die für ihr Land kämpfen wollten". Berichte, einer der Bewacher habe Deutsch gesprochen und sie mit Nachrichten aus der Heimat versorgt, seien falsch.

Die freigelassenen Irak-Geiseln, Rene Bräunlich (r) und Thomas Nitzschke, treten nach dem Verlassen des Flugzeugs am Mittwoch auf dem militärischen Teil des Flughafen Tegel vor die Mikrofone der Journalisten. (Foto: Foto: dpa)

Bräunlich schilderte die Entführer als "Moslems mit großem Engagement". Sie hätten fünf Mal am Tag gebetet, immer ihre religiösen Pflichten erfüllt. "Und sie haben uns, so weit es ging, über das Gute im Islam erzählt, sie haben oft im Koran gelesen. Aber fanatisch waren die nicht. Die haben signalisiert: Wir akzeptieren auch andere."

"Wir wussten, wo wir hingehen"

Misshandelt worden seien sie nicht, sagten beide Ingenieure. Allerdings mussten sie in den 99 Tagen ihrer Geiselhaft unter teilweise menschenunwürdigen Bedingungen leben müssen. Tagelang seien sie in Erdlöchern und Sandkuhlen eingepfercht worden. Ihre Unterbringung in durchgehend fast dunkler Umgebung beschreiben sie als "eine Art Folter".

Beide Geiseln hoben hervor, sie hätten abwechselnd Todesangst und immer wieder Hoffnung gehabt, lebend heraus zu kommen. Die Entführer hätten ihnen von Anfang an gesagt, es würde ihnen nichts passieren. Aber das Schlimmste sei die Ungewissheit über 99 Tage hinweg gewesen. Am Dienstag waren die Männer schließlich frei gekommen, einen Tag später konnten sie nach Deutschland zurückkehren.

Zum Problem des Arbeitseinsatzes in einer höchst gefährlichen Region sagte Nitzschke: "Wir wussten, wo wir hingehen. Uns war aber nicht bewusst, dass das eine der gefährlichsten Zonen des Irak ist. Ganz im Gegenteil. Uns wurde gesagt, dass diese Ecke eigentlich ganz ruhig ist."

Bundesregierung lehnt Lösegelfond ab

Der 28-jährige Nitzschke und der 32-jährige Bräunlich waren im Auftrag der Firma Cryotec aus Bennewitz bei Leipzig zum Aufbau einer Stickstoff- Gewinnungsanlage in die nordirakische Industriestadt Baidschi gereist. Dort wurden sie kurz nach ihrer Ankunft entführt.

Firmenchef Peter Bienert sagte, er werde vorerst keine Mitarbeiter mehr in den Irak schicken. In Zukunft wolle das Unternehmen dafür Service-Kräfte aus dem Irak ausbilden. Ob es eine Beteiligung der Firma an den Kosten der Rückführung geben wird, war zunächst unklar. "Es gibt keine Forderungen an uns. So lange machen wir uns da keine Gedanken", sagte Bienert.

Die Bundesregierung wies unterdessen Forderungen nach einem Lösegeldfonds der Wirtschaft für künftige Entführungsfälle zurück. "Die Bundesregierung ist nicht erpressbar. Die Bundesregierung zahlt kein Lösegeld", sagte Regierungssprecher Thomas Steg in Berlin. Hintergrund ist eine entsprechende Forderung des SPD-Bundestagsabgeordneten Ottmar Schreiner.

Keine Entschädigung für Geiseln

Wann die Monteure mit ihren Familien nach Leipzig heimkehren, ist weiterhin unklar. Derzeit sind sie abgeschirmt an einem geheim gehaltenen Ort. An diesem Montag sind ein Dankgottesdienst und ein Fest an der Leipziger Nikolaikirche geplant, an dem die beiden Ingenieure aber nicht teilnehmen. Darüber habe das Bundeskriminalamt Leipzigs Oberbürgermeister Burkhard Jung (SPD) informiert, wie die Stadt mitteilte.

"Wir respektieren die Entscheidung vollumfänglich und haben dafür größtes Verständnis", sagte Jung. An der Kirche hatten sich bei 27 Mahnwachen tausende Leipziger für die damaligen Geiseln versammelt. Die Partnerinnen von Bräunlich und Nitzschke bedankten sich laut Leipziger Volkszeitung mit einem Schreiben bei allen, die bei der Freilassung geholfen haben.

Cryotec will den Mitarbeitern den Wiedereinstieg ins Arbeitsleben so leicht wie möglich machen. "Ob sie in drei Tagen oder drei Wochen wiederkommen, ist nicht wichtig", sagte Bienert. Eine Entschädigung im herkömmlichen Sinne werde es nicht geben. Zwei bis drei Wochen Sonderurlaub und ein Urlaubs-Zuschuss seien aber vorstellbar.

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