Erstes Fernseh-Duell Bush - Kerry:Das Duell der Unbesiegten

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Der US-Präsident und sein Herausforderer gelten beide als Meister-Debattierer -- nun müssen sie sich miteinander messen.

Von Wolfgang Koydl

Die neue Ära begann mit einem Albtraum an Peinlichkeit, wie ihn selbst ein Komiker vom Schlage eines Mister Bean nicht schwärzer hätte ersinnen können: Denn am Anfang stand das Schweigen -- und dies ausgerechnet im Fernsehen. Siebenundzwanzig quälende Minuten lang war der Ton ausgefallen, als sich im Wahljahr 1976 Präsident Gerald Ford und sein Herausforderer Jimmy Carter zu einer TV-Debatte gegenüberstanden.

Treten im TV dreimal gegeneinander an: John Kerry und George Bush (Foto: Fotomontage: sueddeutsche.de)

Siebenundzwanzig quälende Minuten lang hielten sie sich an ihren hölzernen Pulten fest, schweigend und schwitzend unter den Studiolampen, erstarrt vor Angst, auch nur eine falsche und womöglich wahlentscheidende Bewegung zu machen. Denn draußen an den Bildschirmen saßen 70 Millionen Wähler, die gebannt der Kandidaten gesammeltes Schweigen verfolgten.

Die Debatte zwischen Ford und Carter mag zwar unter einem technischen Unstern gestanden sein, aber sie markierte den eigentlichen Beginn der Tradition von Debattierduellen amerikanischer Präsidentschaftskandidaten. Denn hier war zum ersten Mal ein amtierender Präsident vom Olymp der Macht herabgestiegen in die Niederungen eines gewöhnlichen Kandidaten, um mit diesem von gleich zu gleich vor den Augen eines Millionenpublikums zu diskutieren.

Die TV-Begegnung von John F. Kennedy und Richard Nixon, die meist als Beginn dieser Tradition genannt wird, war eine Ausnahme: Zum einen war keiner der Kontrahenten Präsident, zum anderen gab es bei den nachfolgenden Wahlen von 1964, 1968 und 1972 kein Duell. Weder Lyndon Johnson und schon gar nicht Nixon, der Verlierer der Diskussion gegen Kennedy, hatten ein Interesse daran, ihre Herausforderer aufzuwerten.

Diesen Luxus genießt heute kein amerikanischer Präsident mehr, und deshalb kommen George Bush und John Kerry an diesem Donnerstag in der Universität von Miami zu ihrer ersten von drei Debatten zusammen. Die Bush-Männer hatten sich zwar lange geziert, bis sie den Terminen zustimmten, aber das war nichts anderes als psychologische Kriegsführung, um den Gegner zu zermürben.

Denn eine Absage war von Anfang an undenkbar. Würde ein Präsident einer Debatte aus dem Weg gehen, dann bräuchte er gar nicht mehr anzutreten: Die Amerikaner würden ihn als Feigling einstufen, der sie obendrein -- was wohl schwerer wiegt -- um einen der unterhaltsameren Teile des Wahlkampfes betrügen würde.

Die lebhafte Diskussion unter politischen Kontrahenten ist in Amerika so alt wie die Demokratie. Wo immer sich Männer und Frauen zur Wahl stellen, müssen sie miteinander debattieren -- das gilt für den Schülersprecher an der Grundschule ebenso wie für den Senator, den Gouverneur oder eben den Präsidenten.

Die Kunst der Rede und des Streitgesprächs wird an Schulen, Colleges und Universitäten leidenschaftlich eingeübt. Umso erstaunlicher ist es, dass es bis in die zweite Hälfe des 20. Jahrhunderts dauerte, bis sich Präsidentschaftsdebatten fest etabliert hatten.

Der Grund liegt in dem 1934 verabschiedeten Communications Act, der gleiche Redezeit für alle Kandidaten vorschreibt -- ein Problem, das öffentlich-rechtliche Fernsehanstalten in Deutschland gut kennen. Um Kennedy und Nixon 1960 vor die Kameras zu bekommen, bedurfte es einer Sondergenehmigung des Kongresses. Sonst hätte ein gewisser Farrell Dobbs als Dritter mit im Studio sitzen müssen, der damals für die Sozialistische Arbeiterpartei das Weiße Haus anstrebte.

Erst Mitte der siebziger Jahre fand man einen Ausweg aus dem rechtlichen Dilemma: Wenn private Veranstalter eine Debatte organisieren, so die einfache Lösung, dann gilt sie als Nachrichtenereignis, das keinen Beschränkungen unterliegt. Die einzige Bedingung: Ein Kandidat muss mindestens 15 Prozent in einer Umfrage vorweisen können, um eingeladen zu werden. Keine Chance also für Ralph Nader, der in Umfragen zwischen einem und zwei Prozent dahindümpelt.

Die ersten Debatten wurden von Frauenvereinigungen ausgerichtet, doch mittlerweile ist eine paritätisch von Demokraten und Republikanern besetzte "Kommission für Präsidentschaftsdebatten" federführend.

Sie umreißt die Regeln, beruft die Moderatoren, bestimmt Veranstaltungsort und Zeit. Details freilich werden zwischen der Kommission und den Mitgliedern der Debattenteams ausdiskutiert, die beide Wahlkämpfer eigens für diesen Zweck berufen haben.

Diese Debatten über die Debatte sind mittlerweile so wichtig geworden, dass nur erfahrene Politstrategen damit betreut werden. Das Team Bush wurde von Ex-Außenminister James Baker geleitet, die Mannschaft von Kerry hatte Vernon Jordan, einen der engsten Berater von Ex-Präsident Bill Clinton als Coach. Keine Kleinigkeit war zu banal oder belanglos, als dass nicht erbittert über sie gestritten worden wäre: Es ging um Sitzmöbel und Raumtemperatur, um Kameraeinstellungen und Beleuchtungswinkel.

Dürfen die Kandidaten Spickzettel mitnehmen (nein) oder sich Notizen machen (ja)? Sollen die beiden Duellanten stehen oder sitzen? Die Bushies waren für Stühle, denn ihr Mann ist trotz seiner 1,83 Meter zehn Zentimeter kleiner als Kerry. Am Ende entschied man sich für eine Art von Barhocker, die aber drei Meter weit entfernt voneinander platziert werden müssen, damit der Höhenunterschied nicht auffällt.

"Wenn sie sich die Augen auskratzen wollen, wenn sie sich wie im Kindergarten balgen wollen -- okay", seufzte ein Mitglied der "Kommission für Präsidentschaftsdebatten" während der langwierigen Streitereien. "Aber sie sollten darüber nicht das Ereignis, die Debatte, vergessen."

Auf ihr Rededuell haben sich Bush und Kerry schon den ganzen Sommer über vorbereitet. Wie Boxer vor dem Wettkampf studierten sie die Stärken und Schwächen des Gegners, absolvierten sie Probedebatten gegen Sparring-Partner, die dem Kontrahenten in Art und Stil ähnelten. Bush steckte sich beim Joggen gar einen Walkman ins Ohr, aber anstelle von flottem Pop hörte er Ausschnitte aus Kerrys besten Debatten.

Mit besonderer Geduld und Sorgfalt haben die Redenschreiber an "spontanen Erwiderungen" gefeilt. Sie gelten als besonders wichtig, weil der Redner damit seine Schlagfertigkeit und seinen Witz unter Beweis stellen kann. Und sie lassen sich am ehesten von langer Hand vorbereiten, weil man meistens weiß, welche Themen der Gegner anschneiden wird.

Zu den Vorbereitungen gehört es auch, die Erwartungen in die eigenen Fähigkeiten klein zu spielen und die Fähigkeiten des Rivalen zu überhöhen. Darin unterscheiden sich Präsidentschaftskandidaten von Superschwergewichtlern, die dazu neigen, sich schon vor dem Kampf als die Größten zu rühmen. Bushs Wahlkampfmanager Matthew Dowd etwa bezeichnete Kerry ganz ohne Erröten als den "größten Debattierer seit Cicero".

George Bush ist ohnehin ein Meister in der Kunst, sein Licht so blass wie möglich flackern zu lassen. Mary Beth Rogers hat diese Taktik schon vor zehn Jahren studiert. Damals war sie Beraterin von Ann Richardson, der legendären demokratischen Gouverneurin von Texas. Sie war eine Institution -- populär, schlagfertig, angriffslustig und vor allem eine begnadete Rednerin. Niemand schien sie schlagen zu können, schon gar nicht jener Nobody aus gutem Hause, George W. Bush.

Doch sein Durchbruch kam ausgerechnet bei der Fernsehdebatte gegen die Gegnerin -- dank sorgfältiger Vorarbeit: "Die Bush-Leute überzeugten die Presse und alle anderen, dass sie wirklich mit Bauchschmerzen in die Debatte gehen würden", sagte Mary Beth Rogers. "Aber in Wirklichkeit hatte er natürlich geübt, und als die Debatte vorüber war, da reichte alleine die Tatsache, dass er noch aufrecht stehen konnte, um die Leute sagen zu lassen: Der ist in Ordnung."

Tatsächlich hat der angeblich so sprachgestörte Bush nach einer Untersuchung des angesehenen Monatsmagazins The Atlantic in seiner ganzen politischen Karriere noch keine Debatte verloren geben müssen. Das hat er übrigens mit Kerry gemein, der seine Zunge schon im Debattierclub der Yale-Universität schliff. Und bei einer London-Reise 1963 gab der Student Kerry solange keine Ruhe, bis er sich einen Herzenswunsch erfüllt hatte: Er stieg auf eine Obstkiste und hielt an der berühmten "Speaker's Corner" im Hyde Park eine Rede.

Freunde der politischen Debattierkunst können sich also auf besondere Leckerbissen freuen, wenn die beiden ungeschlagenen Meister Bush und Kerry aufeinander treffen -- zumal da beide unterschiedliche Stärken besitzen, wie The Atlantic konstatierte: "Bush ist am besten, wenn er gut vorbereitet ist und am schlechtesten, wenn er überrascht wird. Kerry ist am besten, wenn er gezwungen wird, schnell zu reagieren und am schlechtesten, wenn er zu viel Zeit hat."

Die Fernsehdebatte wird am Freitag Morgen um drei Uhr auf ntv übertragen.

© Quelle: sueddeutsche.de/SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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