Erste Auslandsreise:Merkels Tour de Force

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Kaum war sie da, war sie schon wieder weg: An ihrem ersten vollen Arbeitstag ist die Bundeskanzlerin nach Frankreich gereist, um mit Präsident Chirac Nettigkeiten auszutauschen. In Brüssel hat sie drei Termine, am Abend will sie wieder im Lande sein - ihr Vizekanzler hat schließlich schon Sehnsucht.

Die neue Bundeskanzlerin Angela Merkel will den deutsch-französischen Beziehungen in ihrer Außenpolitik weiterhin ein hohes Gewicht geben. Auf ihrer ersten Auslandsreise nach ihrer Wahl sagte Merkel nach einem Treffen mit dem französischen Staatspräsidenten Jacques Chirac am Mittwoch in Paris, sie habe die "tiefe Überzeugung, dass es ein freundschaftliches und intensives Verhältnis" beider Länder geben müsse. Im Gegensatz zu Chirac sprach Merkel aber nicht von einer deutsch-französischen Achse.

Nach der gut halbstündigen ersten Begegnung sagte Chirac, dass Europa nur dann gedeihen könnte, wenn es eine "deutsch-französische Achse beinhaltet". Diese müsse solide sein. "Wenn wir uns nicht verstehen, ist das ganze System blockiert."

Wärmste Glückwünsche von Chirac

Merkel brach nur wenige Stunden nach ihrem Amtsantritt zu ihrer ersten Auslandsreise auf. Begleitet wird sie von Außenminister Frank-Walter Steinmeier. Ihr Vorgänger Gerhard Schröder hatte ihr die Amtsgeschäfte am frühen Dienstagabend übergeben.

Chirac hatte der neuen Kanzlerin seine "aufrichtigsten und wärmsten Glückwünsche" übermittelt. Deutschland und Frankreich müssten jetzt weiter eng zusammenwirken, um der europäischen Integration neue Impulse zu geben "und um unsere gemeinsamen Bemühungen für eine gerechtere und sicherere Welt fortzusetzen".

Chirac würdigte Merkels bisheriges Engagement für den Bau eines gemeinsamen Europas und für die deutsch-französischen Beziehungen. Er freue sich darüber, dass die erste Auslandsreise der Bundeskanzlerin nach Paris führe.

In Brüssel wird sich die neue Kanzlerin zunächst bei Nato-Generalsekretär Jaap de Hoop Scheffer vorstellen. Danach stehen Gespräche mit dem Präsidenten des EU-Parlaments, Josep Borrell, und mit EU-Kommissionschef José Manuel Barroso auf ihrem Programm.

EU erhofft sich Impulse von Merkel

In Brüssel hoffen viele, dass die Regierung Merkel der Europapolitik neue Impulse geben kann. Merkel will die enge Zusammenarbeit mit Frankreich in der Europapolitik fortführen, aber auch den kleineren EU-Staaten mehr Aufmerksamkeit widmen.

Im Streit um die EU-Finanzplanung für die Jahre 2007 bis 2013 will die neue Bundesregierung den bisherigen Kurs fortsetzen und auf eine Begrenzung der EU-Ausgaben dringen. Deutschland sollte "nicht mehr als ein Prozent seines Bruttonationaleinkommens an die EU zahlen", wird die bisherige Haltung im Koalitionsvertrag bekräftigt. Die EU-Finanzplanung müsse "die Leistungsfähigkeit Deutschlands berücksichtigen und die Konsolidierung der nationalen Haushalte unterstützen".

Müntefering hat Entzugserscheinungen

Die bis 2013 festgeschriebenen Agrarausgaben will die Bundesregierung nicht wie von den Briten gefordert antasten. Den Euro-Stabilitätspakt will sie 2007 wieder einhalten.

Zum großen Streitthema zwischen Union und SPD in der Europapolitik, dem von der EU angestrebten Beitritt der Türkei, wurde in den Koalitionsverhandlungen eine Kompromissformel gefunden.

Die Verhandlungen mit der Türkei würden mit dem "Ziel eines Beitritts" geführt, heißt es im Regierungsprogramm. Sie seien aber "ein Prozess mit offenem Ende".

Am späten Mittwochabend landet der Luftwaffen-Airbus mit der Bundeskanzlerin und ihrer Delegation wieder in Berlin-Tegel. Vizekanzler Franz Müntefering kommentierte Merkels Auslands-Abwesenheit saloppf: "Ich habe sie heute den ganzen Tag noch nicht gesehen. Da hat man erste Entzugserscheinungen. Aber morgen sehe ich sie ja wieder."

Am Donnerstag will Merkel den britischen Premierminister Tony Blair in London besuchen.

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