Ernst Benda tot:Prägende Persönlichkeit der Bonner Republik

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Seine größte Tat als Jurist war, dass er erfolgreich gegen die Verjährung von NS-Verbrechen kämpfte. Nun ist Ernst Benda, der Ex-Präsident des Verfassungsgerichts, mit 84 Jahren gestorben.

Helmut Kerscher

Noch vor zweieinhalb Monaten war Ernst Benda im Karlsruher Rathaussaal in der ihm eigenen Mischung aus Ernsthaftigkeit, Schnoddrigkeit und Präzision zu erleben. Er sprach bei der Feier zum 25. Geburtstag des epochalen Volkszählungs-Urteils, an dem Benda als Präsident des Bundesverfassungsgerichts und Vorsitzender des Ersten Senats maßgeblich mitgewirkt hatte.

Ernst Benda war zwölf Jahre lang Präsident des Bundesverfassungsgerichts. (Foto: Foto: dpa)

Damals, am 15. Dezember 1983, schuf Karlsruhe in einem unglaublich weitsichtigen Akt das "Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung", das seitdem quasi täglich an Bedeutung gewonnen hat.

Datenschutz sei eine Voraussetzung für das Vertrauen der Menschen in den Staat, sagte Benda dazu am 15. Dezember 2008.

Und er fügte aus aktuellen Anlässen - soeben war ein Karton voller Daten der Landesbank Berlin bei der Frankfurter Rundschau aufgetaucht - hinzu, er halte die Nutzung von Daten durch Unternehmen für "bedrohlicher als alles, was vom Staat ausgeht". Ernst Benda ist an diesem Montag im Alter von 84 Jahren überraschend in Karlsruhe gestorben. Er hinterlässt seine Ehefrau und zwei Kinder.

Ebenfalls im Dezember gab Benda sein letztes Ehrenamt von Bedeutung auf, den Vorsitz des Medienrats der Medienanstalt Berlin-Brandenburg; zu seiner Nachfolgerin wurde die bisher einzige Frau gewählt, die an die Spitze des höchsten Gerichts gewählt wurde: Jutta Limbach. Ein anderer Nachfolger Bendas in dieser Funktion, Roman Herzog, wurde von Karlsruhe aus in ein Amt gewählt, das Benda versagt blieb, das des Bundespräsidenten.

Es spricht viel dafür, dass er eben wegen des Volkszählungsurteils von seiner Partei, der CDU, nicht für dieses Amt nominiert wurde. Benda selbst kommentierte dieses fundierte Gerücht nicht, trauerte dem Amt wohl auch nicht nach. In der Tat war es für die persönliche Lebensführung des reisefreudigen, mit einem trockenen Humor gesegneten Benda wohl besser, dass er nach seinem Abschied aus dem Gericht im Alter von 58 Jahren als Professor an die Universität Freiburg im Breisgau ging.

Der Berliner konnte damit sowohl seinen Wohnsitz in Karlsruhe behalten als auch ungestört noch viele Jahre mit dem Segelboot unterwegs sein. Auch ohne den Sprung an die Spitze dieses Staates blieb Benda eine der prägenden und eindrucksvollsten Persönlichkeiten der Bonner Republik, deren Geschichte insbesondere zwischen 1965 und 1983 vielfach mit seinem Namen verbunden ist.

Feindbild der Studentenbewegung

Der Sohn eines Siemens-Ingenieurs gehörte zu einem Jahrgang, 1925, dem die aktive Teilnahme am Zweiten Weltkrieg nicht erspart blieb; Benda musste nach seinem Abitur am Kant-Gymnasium in Berlin-Spandau im Jahr 1943 als Funker in der Marine Dienst tun. Der spätere Anwalt und Politiker leistete einen wesentlichen Beitrag dazu, dass viele Nazi-Verbrechen noch spät bestraft werden konnten.

Das seit 1946 sehr aktive CDU-Mitglied - Vorsitzender der Berliner Jungen Union und von 1957 bis 1971 Vertreter Berlins im Bundestag - verhinderte nämlich im Frühjahr 1965 durch eine berühmt gewordene Rede, dass NS-Verbrechen nach dem 8. Mai 1945 nicht mehr verfolgt werden konnten. Sein Antrag auf Verlängerung der Verjährung war erfolgreich.

Diese Großtat bewahrte Benda nicht davor, vom radikalen Teil der studentischen Bewegung in den Jahren 1968 und 1969 als Feinbild gesehen zu werden. Damals setzte er sich als Bundesinnenminister der Großen Koalition wie vorher als Parlamentarischer Staatssekretär aus tiefster Überzeugung für die umstrittenen Notstandsgesetze ein. Die "Ho-ho-ho, Ho-Tschi-Min"-Rufer skandierten, wenn sie milde gestimmt waren, "Ho-ho-ho, Benda in den Zoo". Sonst Schlimmeres. Das blieb nicht ohne Nachwirkungen. Nur sehr zögernd stimmte im Jahr 1971 die mittlerweile mit der FDP regierende SPD der Wahl Bendas zum Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts zu.

Fall Schleyer als "menschlich schwerste Entscheidung"

Als Richter stand Benda zunächst für einige pointiert konservative Entscheidungen wie die zum Grundlagenvertrag (1973) oder gegen die "Fristenlösung" bei Abtreibungen (1975). Im seinem brillant besetzten Senat, dem Koryphäen wie der Staatsrechtler Konrad Hesse und der Richter Helmut Simon angehörten, entstanden aber auch ganz andere, ebenfalls berühmte Entscheidungen wie die zur erweiterten Mitbestimmung (1979) und eben die zur Volkszählung.

Wer mit Benda unter vier Augen oder im kleinen Kreis sprach, hörte jedoch an erster Stelle stets von einer ganz anderen Entscheidung: Dem Urteil am 16. Oktober 1977, mit dem das Verfassungsgericht einen Antrag der Familie des von Terroristen entführten Arbeitgeber-Präsidenten Hanns-Martin Schleyer ablehnte. Benda musste gegen 6 Uhr morgens das Urteil verlesen, das einem Todesurteil gleich kam. Tatsächlich wurde Schleyer wenige Tage später erschossen. Es sei seine "menschlich schwerste Entscheidung" gewesen, sagte Benda immer wieder, wenn er darüber sprach. Diese Entscheidung hat den evangelischen Christen wohl bis zum Lebensende gequält.

© SZ vom 3.3. 2009/bosw - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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