Ermittlungen wegen Geheimnisverrats:Kauders Schrapnell-Schüsse

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Bundestagspräsident Lammert hat sich für eine Anzeige gegen mehrere Journalisten instrumentalisieren lassen und damit ein Ermittlungsverfahren wegen Geheimnisverrats in Gang gesetzt. Das ist peinlich für ihn und auch fürs Parlament.

Kurt Kister

Etliche Leser, auch solche der Süddeutschen Zeitung, mögen sich fragen, warum sie von staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen gegen Redakteure "ihrer" und anderer Zeitungen aus dem Fernsehen erfahren haben. Aber die betroffenen Redaktionen von Spiegel über Zeit bis hin zur SZ haben diesen seit Wochen bekannten Vorgang bisher zu Recht nicht so ernst genommen, dass man es für nötig gehalten hätte, darüber viel Buhei zu veranstalten.

Nun hat das die ARD gemacht und es erhebt sich ein medialer Sommersturm, nicht zuletzt, weil Politiker und Journalisten betroffen sind - Professionen, die auch ein wenig davon leben, Wind um sich selbst zu machen.

Die Pressefreiheit als solche ist nicht grundsätzlich in Gefahr. Allerdings kommt es zu häufig vor, dass leicht autoritäre Ordnungspolitiker vom Schlage Otto Schilys oder CDU-Schwaben mit Kehrwochen-Mentalität wie Siegfried Kauder den Staatsapparat dazu missbrauchen, Lecks aufzuspüren, indem sie Journalisten sekkieren. Dies streben Kauder und die Mehrheit des BND-Untersuchungsausschusses jetzt wieder an.

Das Bundesverfassungsgericht hat sich im Cicero-Urteil jüngst eindeutig gegen diese Praxis ausgesprochen. Kauder verfährt nach dem Schrapnell-Prinzip: Wenn man nur weit genug streut, kann es sein, dass man irgendjemanden trifft. Das ist unmoralisch und - siehe Verfassungsgericht - unzulässig; die Verfahren gegen Journalisten verlieren sich zudem aus guten Gründen stets im Nirgendwo.

Außerdem ist das, was Kauder in die Wege geleitet hat, auch noch heuchlerisch. Die Lebenserfahrung lehrt, dass unter jenen, die im Ausschuss für die Reporter-Verfolgung gestimmt haben, möglicherweise einige sind, die in ihrem politischen Leben selbst schon vertrauliche Papiere durchgestochen haben.

Geschichten von politischem Versagen

Manche Politiker und ihre Mitarbeiter tun dies, weil sie damit anderen Politikern schaden oder weil sie sich so Reporter gewogen machen. Mancher gibt Vertrauliches auch preis, um wichtig zu sein, um anzugeben, um im Café Einstein respektvoll gegrüßt zu werden. Ja doch, auf etliche Berliner Journalisten trifft vieles davon grundsätzlich auch zu. Sie zeigen aber die Abgeordneten, die zum Beispiel mit ihrem bei Reportern eingesammelten Gerüchtewissen hausieren gehen, nicht an.

Wenn es bei den Ermittlungen gegen Journalisten wirklich um einen Abgrund von Landesverrat ginge, wäre das eine andere Debatte. In aller Regel aber decken Reporter meistens Dinge auf, die Geschichten von politischem Versagen, falscher Planung und mangelnder Koordination erzählen. Das ist peinlich für die Beteiligten, schadet aber dem Gemeinwesen nicht. Es ist kein Verrat und nicht einmal Beihilfe zum Verrat.

Dass Kauder zum Beispiel mehr aus der Zeitung als aus dem Ausschuss erfuhr, ist peinlich für ihn. Dass sich Bundestagspräsident Norbert Lammert von Kauders Mehrheit für eine Anzeige gegen die Journalisten instrumentalisieren ließ, ist peinlich für Lammert und auch fürs Parlament.

© SZ vom 4.8.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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