Ermittlungen in Madrid:Ein netter Junge mit langen Locken

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Der Marokkaner und die Handykarte im Rucksack - warum die Polizei den Inhaber eines Madrider Telefonshops als Terror-Verdächtigen sucht.

Von Peter Burghardt

Madrid, 17. März - Die Laternen beleuchten bereits die Straße Tribulete im Madrider Stadtteil Lavapies, da flackern die Blaulichter noch immer.

Es ist schon spät an diesem Dienstag. Im gelben und blauen Lichtschein wirkt der blasse Schriftzug am Haus Nr. 17 gespenstisch: Locutorio Nuevo Siglo, Telefon-Shop Neues Jahrhundert: Telefonate, Geldsendungen, Dokumente, Fax.

Was sich in dem Raum abspielt, kann von draußen niemand sehen. Der eiserne Rollladen ist heruntergelassen, und die Neugierigen werden von Polizeibeamten auf Abstand gehalten, Plastikbänder sind gespannt. Doch jeder weiß, dass die Polizisten dort drin nach Hinweisen auf den schlimmsten Terroranschlag der spanischen Geschichte suchen und dass sie einen mutmaßlichen Täter mitgebracht haben.

Bis vor einer Woche war der kleine Laden einer von Hunderten in der spanischen Hauptstadt und einer von Dutzenden in diesem Viertel, das nicht weit vom Bahnhof Atocha entfernt ist. Ein Symbol des Zustroms aus aller Welt.

Man konnte dort wie bei den anderen Anbietern dieser Art im Internet surfen, billig rund um den Globus telefonieren, Handys aufladen und deren Karten austauschen lassen. Letzteres ist verboten, aber gängig, auch werden Mobiltelefone nicht immer auf legalem Weg beschafft.

Beliebt bei den Nachbarn

Den Nachbarn fiel bei Nuevo Siglo niemand als Extremist auf, im Gegenteil. Den Chef fanden die meisten besonders sympathisch: Dschamal Sugam, schulterlange Locken, 30 Jahre alt, geboren in Tanger, Nordmarokko, ehemaliges spanisches Protektorat. "Ein netter Junge, sehr freundlich", sagen die Leute, von denen kaum jemand mehr den eigenen Namen nennt. Jetzt werden Sugam und Kollegen als Massenmörder verdächtigt.

Deshalb waren die Fahnder am Samstag angerückt. Inzwischen ist bekannt, dass sie Dschamal Sugam nach den New Yorker Attentaten vom 11. September 2001 schon einmal besucht hatten.

Der bekannte Untersuchungsrichter Baltasar Garzon verhörte ihn damals und stellte ein Video sowie ein Notizbuch mit Telefonnummern mutmaßlicher Schergen des fundamentalislamistischen Terrornetzwerkes al-Qaida sicher.

Das erfuhren hier allerdings die wenigsten, der Verdächtige wurde wieder freigelassen und nach Presseberichten offenbar nicht weiter beobachtet. Am Samstag also fuhren die Streifenwagen erneut vor und verhafteten ihn, außerdem zwei Landsleute und zwei Inder.

Chipkarte als wichtigstes Indiz

Auf die Spur gebracht hatte die Rechercheure die Chipkarte aus dem Handy, das einen der 13 in einem Rucksack verborgenen Sprengsätze zünden sollte und versagte.

Später wurden sechs weitere Marokkaner festgenommen. Zeugen versichern, sie hätten Sugam am Donnerstagmorgen an einem der Vorortzüge gesehen - kurz bevor die Bomben explodierten und 201 Passagiere töteten. Er ist die Schlüsselfigur der Ermittlungen. Und in Lavapies ist nichts mehr wie vorher.

Nachbarn und Passanten versammeln sich mit entsetzten Gesichtern vor den Bars und Geschäften, die in dieser Gegend zunehmend ausländische Namen tragen: Bangladesch-Restaurant Al Arafat, Islamische Metzgerei Tanger, Lateinamerikanische Handarbeiten Aylla, Chinesischer Import-Export Heng Feng.

Noch vor einem Jahrzehnt war Lavapies vornehmlich spanisch und Nuevo Siglo eine Klempnerei. Inzwischen leben auf wenigen Straßen hier am Rande des alten Zentrums Menschen aus mehr als 50 Nationen. Lavapies ist eine Art Labor des ehemaligen Auswandererlandes Spaniens, in dem sich die Zahl der Einwanderer binnen zehn Jahren auf 2,7 Millionen verdoppelt hat, dazu schätzt man 850.000 Ausländer ohne gültige Papiere.

Manche landeten hier nach monatelangen Irrwegen. "Wir sind gekommen, um nach einem neuen Leben zu suchen, wir haben mit Politik nichts zu tun", sagt eine Marokkanerin, die seit 17 Jahren in Madrid wohnt. "Wir waren glücklich hier. Jetzt haben wir Angst."

Auch sie verrät nur, dass sie aus Casablanca stamme, wo al-Qaida im vergangenen Jahr ebenfalls ein Massaker herbeigebombt hatte - und offenbar gab es auch damals Verbindungen zu Dschamal Sugam.

Problemlos war das Verhältnis zwischen Spaniern und Marokkanern auch hier nie. "Verschiedene Kulturen", sagt ein Madrider. Von Jugendbanden ist die Rede. Moros werden die Marokkaner gerne genannt, Mauren, das macht die Geschichte.

Bisher kein offener Rassismus

Zu offenem Rassismus kam es in Lavapies jedoch selten, doch das droht sich nun zu ändern, von anderswo wurden bereits Übergriffe gemeldet. Plötzlich machen die Begriffe al-Qaida und Dschihad die Runde. Die Marokkanerin wird wütend. Was habe man damit zu tun? In den Zügen seien schließlich auch Marokkaner umgekommen, Rumänen und so weiter.

Die Fernsehschirme über den Theken zeigen den Trauergottesdienst in der Kathedrale. Nach anderthalb Stunden öffnet sich Nuevo Siglo. Vermummte Polizisten treten heraus, sie schleppen Kisten zu einem Lieferwagen. Zwei Sicherheitsbeamte in Zivil, Jacken vor den Gesichtern, zerren einen Mann in ein Auto, ihrem Häftling haben sie eine Plastiktüte über den Kopf gezogen.

"Mörder", schreien Zuschauer, "Hurensohn." Dann geht die Sirene, und die Polizeikarawane zieht wieder ab.

© SZ vom 18.3.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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