Enzyklopädie:Fotobeweis

Gescannte Buchseiten sollen Wikipedia verlässlicher machen.

Von Philipp Bovermann

Bücher sind schön - aber oft weit weg. Zum Beispiel, wenn man als Schüler ein Referat zusammenstellen muss. Dann sind die Bücher, mit denen man seine Thesen belegen könnte, in der Bibliothek. Wikipedia als Quelle gilt nicht - schließlich ist so manches, was in der Online-Enzyklopädie zu finden ist, umstritten oder falsch. Theoretisch könnte man als Beleg natürlich - ungelesen - die Bücher angeben, die im Wikipedia-Artikel als Quelle vermerkt sind. Aber dann übernimmt man immer noch ungeprüft etwas aus dem Internet. Denn wer garantiert, dass das Zitat, auf das man sich beruft, wirklich an der angegebenen Stelle steht? Oder dass man es nicht falsch verstanden hat, weil der Kontext gefehlt hat?

Dieses Problem möchte das sogenannte "Internet Archive" nun lösen. Es hat damit begonnen, an die Quellenangaben unter Wikipedia-Artikeln digitale Scans der zitierten Bücher anzufügen, jeweils zwei Seiten, auf denen sich die fragliche Passage findet. Rund 130 000 Verweise auf 50 000 Bücher seien bereits in die Wikipedia integriert, meldet die Organisation, bislang offenbar hauptsächlich in englischsprachigen Artikeln, zum Beispiel über Martin Luther King. Hinter der Wikipedia soll also die Glaubwürdigkeit altehrwürdig raschelnden Papiers stehen. Zugleich verbindet sich die größte Enzyklopädie der Welt mit der am schnellsten wachsenden Onlinebibliothek der Welt.

Das Internet Archive wurde 1996 als gemeinnütziges Projekt mit dem Ziel begonnen, automatisch so viele Websites wie möglich zu speichern und frei zugänglich aufzubewahren. Sie sollen so erhalten bleiben, wie sie zu einem bestimmten Zeitpunkt aussahen - etwa für den Fall, dass jemand nachträglich verfängliche Informationen löscht. Inzwischen speichert das Internet Archive neben Websites auch Ton- und Bildaufnahmen, Computerprogramme und eben Bücher. Rund tausend Stück scannt die Organisation laut eigenen Angaben pro Tag, hauptsächlich Altbestände von Bibliotheken.

Ende Oktober sprach Internet-Archive-Gründer Brewster Kahle über die wichtige Rolle, die seiner Ansicht nach "in einer Welt, in der die Wahrheit zu zersplittern scheint", einem digitalen Archiv zukomme. Wenig später folgte die Ankündigung des Internet Archive, Bücher "in das Gewebe des Internets einzuflechten - beginnend mit Wikipedia".

Was nach der Wikipedia kommen soll, lässt das Archiv offen. Sollten bald auch Online-Nachrichtenportale und digitale wissenschaftliche Aufsätze folgen, mit Auszügen der zitierten Bücher?

Die Verlässlichkeit von Wikipedia-Artikel jedenfalls könnte das aktuelle Vorhaben erhöhen. Die Inhalte von Büchern werden dort oft krude oder absichtlich verfälschend wiedergegeben. Häufig dauert es, bis das jemand bemerkt, zumal wenn die Bücher schwer aufzufinden sind. Allerdings zeigt gerade das Beispiel der Online-Enzyklopädie auch die Grenzen des Versuchs, mit eindeutigen Belegen eindeutige Wahrheiten zu schaffen. Die heftigsten Streits führen die ehrenamtlichen Wikipedia-Editoren über die am besten dokumentierten Fakten, etwa ob die USA "Konzentrationslager" an der Grenze zu Mexiko betreiben. Die Fakten sind bekannt. Ihre Interpretation ist das Problem.

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