Endspurt im US-Wahlkampf:Die märchenhaften Daten der Demoskopen

Lesezeit: 2 min

Zwei Wochen vor der Präsidentenwahl in den USA ist nur klar, dass nichts klar ist: Ein Umfrage sieht Amtsinhaber Bush weit vor dessen Herausforderer Kerry. In einem anderen Stimmungsbarometer liegen beide Kandidaten jedoch gleich auf. Warum auf die Pegelstände der Demoskopen nur wenig Verlass ist.

Von Michael Nienaber

"Die Umfragen der Meinungsforscher sind dieses Mal aus mehreren Gründen nicht mehr so aussagekräftig wie früher", sagt der amerikanische Politikwissenschaftler James Davis.

Zum einen hätten sich in diesem Jahr bereits viele junge Wähler in den Listen registriert. Gerade diese wichtige Gruppe von Neuwählern werde jedoch von den Meinungsforschern nicht erreicht.

Der Grund dafür klingt zunächst banal: Viele junge Amerikaner telefonieren mittlerweile über Mobiltelefone. Die amerikanischen Umfrageinstitute wie Gallup oder Pew rufen für ihre Stimmungsbarometer aber vor allem Festnetzanschlüsse an.

"Die Datenbanken der Institute sind noch nicht soweit aktualisiert, dass sie die Handynummern der jungen Wähler ausspucken", erklärt Davis, der übrigens keinen Hehl aus seiner Ablehnung von George W. Bush macht.

Vor wenigen Tagen erst unterschrieb der Politikwissenschaftler zusammen mit 160 weiteren Professoren einen offenen Brief, in dem er die gegenwärtige US-Außenpolitik der präventiven Angriffs- und Eroberungskriege scharf verurteilt.

Doch nicht nur der Handy-Faktor verfälscht das Bild. Dass junge und gebildete Wähler in den amerikanischen Umfragen unterrepräsentiert sind, hat einen weiteren Grund.

Bei der telefonischen Befragung der Institute führt die digitale Rufnummernübertragung dazu, dass wegen der unbekannten Nummer des anrufenden Meinungsforschers der Interviewkandidat den Hörer gar nicht abnimmt - erst recht nicht in den Abendstunden, wenn die Institute ihre Stichproben nehmen.

"Es liegt auf der Hand, dass eher junge und gebildete Amerikaner neue Technologien wie die Anruferkennung nutzen und somit schnell aus dem Befragungsraster fallen", gibt Davis zu Bedenken.

Da diese Wählergruppe eher den demokratischen Kandidaten favorisiere, käme Herausforderer John Kerry in den Umfragen stets schlechter weg.

Ein weiterer Grund für die geringe Aussagekraft der Wahlumfragen ist darin zu finden, dass nur die Hälfte der amerikanischen Bürger befragt wird, die in den Wahllisten bereits registriert ist.

"Wegen der starke Emotionalisierung und Spaltung Amerikas in diesem Wahlkampf glaube ich, dass besonders viele Bürger sich erst in den letzten Tagen oder sogar am Wahltag selbst registrieren, um ihre Stimme abzugeben", erklärt USA-Experte Elmar Theveßen.

Da sich kurzfristig eher noch die Bush-Gegner mobilisieren ließen, werde ihr Votum folglich von den Meinungsforschern nicht angemessen widergegeben.

Wie ungenau die Umfragen das politische Klima in den USA widerspiegeln, geben die Meinungsforscher sogar indirekt selbst zu. So lag zwar in der jüngsten Gallup-Umfrage im Auftrag von CNN und USA Today Präsident Bush mit 52 Prozent acht Punkte vor Kerry.

Große Fehlerquoten überlassen viel Raum für Interpretationen

Die Fehlermarge lag nach eigenen Angaben der Demoskopen jedoch bei plus/minus vier Prozent - womit beide Kandidaten theoretisch auch gleich aufliegen könnten. Und tatsächlich kommen in der heute veröffentlichten Umfrage von CBS und New York Times beide Kandidaten auf je 46 Punkte.

"Die Aussagekraft der Umfragen ist also gerade in diesem Wahlkampf nicht sehr hoch", resümiert auch Theveßen, der als Korrespondent für das ZDF sechs Jahre lang aus den USA berichtete und in seinem jüngsten Buch "Die Bush-Bilanz" mit dem gegenwärtigen Präsidenten hart ins Gericht geht.

Und letztendlich erfassen die Meinungsumfragen den vermutlich entscheidenden Faktor in diesem US-Wahlkampf ebenfalls nur unzureichend: die große Gruppe der noch unentschlossenen Wähler.

Lesen Sie morgen: Wieviele US-Bürger sind noch unentschlossen, ob sie Kerry oder Bush wählen wollen? Sind es die TV-Duelle der Kandidaten, die offenen Briefe der Gelehrten oder doch eher die Aufrufe der Rockstars, die das Votum der noch Unentschiedenen beeinflussen?

© sueddeutsche.de - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: