Eklat im EU-Parlament:"Spielen Sie doch den Kapo im KZ"

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Bei seiner Antrittsrede als EU-Ratspräsident hat sich der italienische Ministerpräsident Berlusconi gegenüber einem deutschen Sozialdemokraten so sehr im Ton vergriffen, dass seine Äußerung aus dem Protokoll gestrichen werden musste.

Cornelia Bolesch

(SZ vom 03.07.2003) - Der brüchige Friede hielt nicht mal einen Vormittag, um halb eins war der Eklat da: Da schlug der neue EU-Ratspräsident Silvio Berlusconi dem deutschen Europaparlamentarier Martin Schulz vor, in einem Film über Konzentrationslager, der gerade in Italien gedreht werde, "doch den Kapo zu spielen. In dieser Rolle wären Sie perfekt, Herr Schulz".

Ein blitzendes Lächeln begleitete diesen Angriff. Wie ein Conferencier wiegte sich Berlusconi in den Hüften, als erwartete er noch Applaus für diese Reaktion auf den Abgeordneten Schulz, den Vize der sozialdemokratischen Fraktion, der zuvor in der Debatte Berlusconi hart angegriffen hatte.

Doch statt Beifall breitete sich im Plenarsaal verblüfftes Schweigen aus. Dann brach ein Tumult los. Schulz, der wegen seines schneidenden Tons im Parlament ein bisschen gefürchtet ist, saß wie vom Donner gerührt auf seinem Platz. Sein Kollege Klaus Hänsch eilte herbei, um ihn zu trösten.

Beifall für Schulz

Viele Abgeordnete erhoben sich und klatschten Beifall als Schulz erklärte, aus "Respekt vor den Opfern des Faschismus" werde er zu Berlusconis Attacke nicht Stellung nehmen. Es sei allerdings denkwürdig, dass ein Ratspräsident "derart die Contenance verliert". Parlamentspräsident Pat Cox versuchte zu vermitteln, doch Berlusconi machte alles nur noch schlimmer.

Statt sich bei Schulz zu entschuldigen, erklärte er seine Entgleisung zur "Ironie". Er, Berlusconi, habe ausschließlich "ironisch" reagiert. Schulz dagegen habe ihn "bösartig" angegriffen.

Auch später fand Berlusconi an seinem rhetorischen Einfall nicht das Geringste auszusetzen: "Ich habe Schulz doch nur eine Filmrolle angeboten. Das war doch nicht persönlich gemeint". Parlamentspräsident Cox stellte sich vor den Abgeordneten und ordnete an, Berlusconis Äußerung aus dem Protokoll zu tilgen.

Berlusconis "bella figura"

Noch nie ist ein EU-Ratspräsident so demonstrativ vom Parlament gerügt worden. Und das gleich am zweiten Tag seiner Amtszeit. Dabei hatte zunächst alles so ausgesehen, als könnte der Auftakt der italienischen Präsidentschaft ohne größere Störungen über die Bühne gehen.

Dreieinhalb Stunden lang hatte Berlusconi versucht, in Straßburg "bella figura" zu machen. Vor den Fraktionen breitete er ein Programm voller Floskeln und Allgemeinplätzen aus. "Demütig und dienend" werde er für Europa tätig sein, versprach der italienische Premier.

Als die Abgeordneten auf seine Medienmacht hinwiesen, oder auf seinen hemdsärmeligen Umgang mit den Gesetzen, verlor Berlusconi nicht die Fassung. Manchmal schrieb er Kritisches sogar demonstrativ auf. Gelegentlich lächelte er gutmütig. Äußerstenfalls kniff er hochmütig die Augen zusammen und wippte ungeduldig auf seinem Stuhl.

Erst als sich der Abgeordnete Schulz vor ihm aufbaute und ganz konkret wissen wollte, was von Berlusconi in der Innen- und Justizpolitik zu erwarten sei, bröckelte beim EU-Präsidenten die Fassade. Sicherlich hat sich Berlusconi daran erinnert, dass Martin Schulz schon einer seiner härtesten Kritiker war, als beide noch im Parlament saßen.

Vor zwei Jahren hatte sich Schulz darüber empört, dass es dem Europaparlament nicht gelungen war, eine Anfrage der spanischen Justiz zur Aufhebung der Immunität des damaligen Europaparlamentariers Silvio Berlusconi so rechtzeitig zu beantworten, dass dieser sich wegen einer dubiosen TV-Beteiligung vor der Justiz hätte verantworten müssen.

Es hat damals viel Streit zwischen der konservativen EVP-Fraktion, der Berlusconi angehörte, und den anderen politischen Kräften gegeben. Der missglückte Auftritt des neuen EU-Präsidenten könnte den politischen Umgang erneut ungemütlich werden lassen.

Wie empfindlich die italienische Regierung derzeit auf Attacken reagiert, zeigt auch ein anderer Vorfall: Italiens Botschaft in Deutschland bat bei der SPD um Erläuterungen zu den Angriffen des SPD-Vize-Fraktionschefs Michael Müller gegen Berlusconi. Die Beschwerde habe sich aber an die Partei, nicht an das Kanzleramt gerichtet, erklärte ein Sprecher. Müller hatte über Berlusconi gesagt, dieser sei "der Filz in Person". Nach dem Auftritt Berlusconis in Straßburg wiederum wurde der italienische Botschafter ins Kanzleramt einbestellt.

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