Dass sich Winfried Hassemer zu einem abseitigen Thema wie Zoophilie äußert, hat einen einfachen Grund: Der frühere Verfassungsrichter hält die geplante Novelle des Tierschutzgesetzes, die am Donnerstag im Bundestag beschlossen werden soll, für ein Symptom einer zunehmend moralisierenden Strafrechtsauslegung.
SZ: In der Novelle des Tierschutzgesetzes soll unter anderem sexueller Kontakt zu Tieren unter Strafe gestellt werden. Sie halten das für einen Fehler. Warum?
Hassemer: Weil ein solches Verbot den Grundsätzen des liberalen Strafrechts widerspricht. Moralische Fragen, und nur darum geht es hier, sollten nicht Sache des Strafrechts sein. Anders gesagt: Dass Sex mit Tieren widerwärtig ist, reicht nicht aus, ihn zu verbieten und mit Strafe zu verfolgen.
Sie gelten als Experte in Verfassungsfragen, beziehen Stellung zu Anti-Terror-Gesetzen oder aktuell zum NPD-Verbotsverfahren. Was hat Sie dazu gebracht, sich mit dem recht abseitigen Thema Zoophilie zu beschäftigen?
Es ist nicht die Sympathie für die Sache der Zoophilen. 1969, als der Paragraf gestrichen wurde, der "Unzucht mit Tieren" unter Strafe stellte, war das ein Erfolg des liberalen Gedankens, den ich als junger Strafrechtler gemeinsam mit vielen anderen vertreten habe. Die Botschaft damals war: "Was haben wir im Strafrecht mit moralischen Fragen zu tun?" Heute erleben wir dagegen, dass viel zu oft und zu früh nach dem Strafrecht gerufen wird.
Warum ist das ein Problem?
Weil das Strafrecht die Ultima Ratio ist, das schärfste Schwert, das wir als Staat haben. Es sollte nur zum Einsatz kommen, wenn es um den Schutz eines Rechtsguts geht, wenn manifester Schaden abgewendet werden soll.
Befürworter des Verbots argumentieren, dass Tieren durch sexuelle Praktiken großer Schaden zugefügt wird. Tierärzte berichten von Fällen, wo gestörte und verletzte Tiere ihren Besitzern zurückgegeben werden mussten. Dass das Gesetz solche Zustände schützt, macht sie fassungslos.
Zu Recht. Wenn ein Tier zu Schaden kommt, ob physisch oder psychisch, muss das Strafrecht eingreifen. Unser derzeitiges Tierschutzgesetz spricht von "erheblichen Schmerzen oder Leiden", die man Tieren nicht ohne Grund zufügen darf. Das ist eine hohe Hürde. Warum nicht jeden Schaden, jede Tierquälerei unter Strafe stellen?
Dann müsste man auch überprüfen, ob Tiere seelisch zu Schaden kommen. Ganz schön aufwendig, oder?
Ja. Aber so, wie das Gesetz jetzt geplant ist, wird die Einhaltung kaum überprüft. Das zeigt sich auch in anderen Ländern, wo es kaum Anklagen gibt. Erst verbieten und dann nicht verfolgen - das halte ich für keinen guten Weg. Das Strafrecht muss ehrlich sein und darf den Leuten nicht etwas vormachen, das es in der Praxis nicht einhält .
Die Politik hat sich zunächst gegen das Verbot gesträubt. Die Berichte der Tierärzte auf der einen und das Engagement von Zoophilen, die für ihre Neigung kämpfen, auf der anderen Seite haben den Gesetzgeber aber überzeugt, dass es Regelungsbedarf gibt. Können Sie das nicht nachvollziehen?
Verstehen kann ich das. Aber nicht alles, was widerlich ist, verdient staatliche Strafe.
Darf eine Gesellschaft nicht sagen: "Das wollen wir nicht, das soll nicht sein?"
Selbstverständlich, doch um das durchzusetzen, ist das Strafrecht nicht das geeignete Instrument. In der Erziehung, in den Medien oder in der Kirche sollte man sich gegen diese Form der Sexualität einsetzen - das ist eine Frage der Moral.
Der Vorsitzende eines Zoophilie-Verbandes, Michael Kiok, kämpft seit Jahren dafür, seine Beziehung zu Hunden und Pferden ungehindert leben zu dürfen. Er hat angekündigt, gegen das Verbot klagen zu wollen. Glauben Sie, er wird in Karlsruhe Erfolg haben?
Er hat jedenfalls eine Chance.