Drohende Isolation:Armeniens Blockaden

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Blumen für die Opfer: Eriwan bereitet sich auf den Gedenktag an diesem Freitag vor. (Foto: Karen Minasyan/AFP)

Die Völkermord-Debatte und Probleme mit den Nachbarn prägen den Staat im Kaukasus. Das Land droht sich weiter zu isolieren.

Von Julian Hans, Eriwan

Wer den armenischen Präsidenten in diesen Tagen besucht, der trifft einen müden Mann, hört eine Rede über die Vorbereitungen für die Gedenkfeiern zum 100. Jahrestag des Völkermords der Türken an den Armeniern und bekommt zum Abschied zwei Geschenke: Eine Flasche armenischen Cognac und einen aufwendigen Bildband über den Genozid. Pläne für die Zukunft des Landes hört er nicht.

So wichtig die Anerkennung des Genozids für die Armenier sei, und dass sich in diesem Jahr alles nur darum dreht: es blockiere auch die Entwicklung des Landes, warnen internationale Beobachter. Besonders die armenische Diaspora in den USA kenne kaum ein anderes Thema, sagt der Politikwissenschaftler Richard Giragosjan, der selbst dort geboren ist und heute einen Think Tank in der Heimat seiner Vorfahren betreibt. Dort würden die Verbrechen von vor 100 Jahren zu gern als Instrument genutzt, um Spenden einzuwerben. "Was zählt, ist nicht, was Obama sagt oder das französische Parlament, sondern dass sich die Wahrnehmung in der türkischen Gesellschaft ändert", sagt er.

Von geschätzten acht Millionen Armeniern weltweit leben nur etwa drei Millionen in Armenien. Die Zentren der Diaspora sind derweil in Moskau und Kalifornien. Ihre Überweisungen machen etwa 20 Prozent des armenischen Bruttoinlandsprodukts aus. Zwei Drittel der Bewohner leben unter der Armutsschwelle.

Europäische Diplomaten teilen das Verhältnis der EU zu dem Staat im Südkaukasus in eine Zeit vor dem 3. September 2013 und die Zeit danach. An diesem Tag reiste Präsident Sersch Sargsjan nach Moskau und verkündete überraschend, sein Land werde der Eurasischen Wirtschaftsunion beitreten. Die über Jahre geführten Verhandlungen mit Brüssel über einen Assoziationsvertrag waren Makulatur. Vor dem EU-Gipfel für die Östliche Partnerschaft, der im Mai in Riga stattfinden soll, überlegen die Verhandlungspartner nun, was von den Vereinbarungen noch zu retten ist.

Anders als später in der Ukraine rief der überraschende Schwenk Eriwans keine Proteste im Land hervor. Der Grund sind weniger wirtschaftliche Fragen oder Überlegungen über eine Orientierung nach Russland oder Europa, als vitale Sicherheitsinteressen. Über die politischen Lager hinweg herrscht in Eriwan Einigkeit, dass Armenien Russland als Schutzmacht braucht. Moskau musste daran nur kurz erinnern, indem es vor Sargsjans Besuch die Gaspreise anhob und die Waffenlieferungen an den Gegner Aserbaidschan erhöhte.

Der Konflikt zwischen Russland und dem Westen droht das Land weiter zu isolieren

Neben der mehrheitlich von Armeniern bewohnten Region Berg-Karabach hält Eriwan weitere Provinzen besetzt, die von den Vereinten Nationen Aserbaidschan zugerechnet werden. Im vorigen Sommer gab es zwischen den einstigen Kriegsgegnern die schwersten Zusammenstöße seit der Unterzeichnung des Waffenstillstandsabkommens 1994. Dutzende Soldaten auf beiden Seiten wurden getötet, manche Schätzungen gehen sogar in die Hunderte, weil die Gegner ihre Verluste beschönigten.

Nachdem Wladimir Putin im August 2014 Sargsjan und seinen aserbaidschanischen Kollegen Ilcham Alijew zu Gesprächen nach Sotschi gerufen hatte, sind die Zwischenfälle weniger heftig. Dennoch wird der Waffenstillstand nach Angaben des armenischen Verteidigungsministeriums täglich im Schnitt 50-mal verletzt - und zwar nicht nur an der Waffenstillstandslinie, sondern auch an der international anerkannten Grenze.

Baku hat seinen plötzlichen Reichtum aus dem Ölboom der 2000er-Jahre genutzt, um kräftig aufzurüsten. Seit Jahren übersteigt der Verteidigungsetat Aserbaidschans den gesamten Haushalt des Nachbarn. Dass das armenische Verteidigungsministerium dennoch weiter von einem Gleichgewicht der Kräfte ausgeht, hat mit der Präsenz russischer Truppen im Land zu tun. Diese sind nicht nur wegen der Angst vor Aserbaidschan erwünscht, sondern auch wegen der Türkei. Die Überwachung der Grenze zu dem Nato-Staat haben teilweise russische Grenzschützer übernommen.

Dennoch sei die armenische Führung stark an einer Zusammenarbeit mit der Nato interessiert, berichten westliche Diplomaten in Eriwan. Unter anderem beteiligt sich Aserbaidschan aktiv am Nato-Programm Partnerschaft für den Frieden.

An der verfahrenen Situation haben alle Parteien in der Region ihren Anteil. Im vergangenen Jahr schlug Eriwan einen vorsichtigen Vorstoß des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan als unzureichend aus. Die letzte Initiative zur Öffnung der türkisch-armenischen Grenze torpedierte wiederum Baku, indem es Ankara mit einem Ende der Gaslieferung drohte. Am stärksten trifft es aber Armenien, das keinen Zugang zum Meer hat und dessen Grenzen zu seinen Nachbarn bis auf Georgien geschlossen sind. Mit der Eurasischen Zollunion, der Armenien in diesem Jahr beigetreten ist, gibt es keine gemeinsamen Grenzen.

Hoffnung auf eine baldige Öffnung gibt es kaum. Stattdessen droht der neue Konflikt zwischen Russland und dem Westen das Land weiter zu isolieren. Wenn Georgien weiter erklärtermaßen nach Europa und in die Nato strebt, Armenien aber Mitglied der Eurasischen Wirtschaftsunion ist und den militärischen Schutz Russlands sucht, könnte sich über die einzige Grenze, die noch offen ist, bald ein neuer eiserner Schleier legen.

© SZ vom 23.04.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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