"Dresden" wie es wirklich war:Ein leiser Sirenenton

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Feuerwalzen und Bombenhagel: Zeitzeugen erinnern sich an die realen Schrecken der Bombennacht im Februar 1945

Christiane Kohl

"Wissen Sie, wie es innen drin in einer Ofenheizung aussieht?" Aus großen, goldgefassten Brillengläsern schaut die alte Dame unter ihrem grauen Filzhut hervor: "Ganz rot ist es da vor lauter Funken, und genauso sah es hier auf der Straße aus." Sie zeigt mit der Hand auf die gegenüberliegende Straßenseite. "Man sah nur Funken, überall sprühende Funken."

Jene Nacht im Februar 1945, als Dresden in einem Flammenmeer versank - Christa Schnürer kann sich noch genau an sie erinnern: "Ich habe mir beide Beine dabei verbrannt", erzählt die 81-jährige Dresdnerin. Und deshalb hat sie auch nur mal ganz kurz hineingeschaut in den Fernsehspielfilm über die Dresdener Bombennacht. Das ganze TV-Opus anzusehen, wollte sie sich nicht zumuten: "Das hätte mich einfach zu sehr aufgeregt."

Straßenfeger und Stadtgespräch

Mehr als zwölf Millionen Menschen saßen in ganz Deutschland vor dem Fernseher, als am Sonntagabend der ZDF-Zweiteiler "Dresden" lief, allein eine Million davon in Sachsen. Mit einer Einschaltquote von 32,6 Prozent (in Sachsen sogar 45 Prozent) gilt das TV-Drama als einer der erfolgreichsten Fernsehfilme aller Zeiten.

In Dresden war es am nächsten Morgen das Stadtgespräch, ob beim Bäcker oder in der Postfiliale. Und nirgendwo sonst wurden wohl so viele Menschen plötzlich an ihre eigene Vergangenheit erinnert.

Flüchtlingsstrom am Elbufer

Da ist die Lehrerin, die ein weinrotes Käppchen trägt und ihren Namen lieber nicht nennen möchte. "Ich war an dem Tag an der Hochschule gewesen", als Gasthörerin, erklärt die 80-Jährige, die damals 19 war. "Abends sah man dann die Christbäume am Himmel." Christbäume, so wurden damals die Zielmarkierungen genannt, die immer kurz vor einem Angriff gesetzt wurden.

"Dann war es furchtbar, ganz furchtbar", sagt die Dame: "Dabei hatten wir noch Glück." In ihrem Elternhaus im Dresdner Stadtteil Blasewitz, der etwa zwei Kilometer von der Innenstadt entfernt an der Elbe liegt, war aus zerborstenen Fensterscheiben nicht viel passiert, "es gab nur eine Brandbombe in der Nachbarschaft."

In den Tagen danach sah man dann Tausende von Flüchtlingen am Elbufer vorbei ziehen. Unter ihnen waren Horst und Karin Bobe, die heute im Konsumladen an einem der Tischchen stehen, wo sich am späten Vormittag oft ältere Leute auf einen kurzen Kaffeeschwatz treffen.

Beide waren damals Kinder und sie kannten sich noch nicht. Karin, acht Jahre alt, wohnte an der Stahlbrücke; Horst war im gleichen Alter und mit seinen Eltern aus Breslau geflüchtet, die Familie saß in einer Kaserne am Sachsenplatz mitten in der Innenstadt, die sich später in ein Inferno verwandeln sollte.

"Die Kaserne war voller Flüchtlinge", erzählt der Diplom-Ingenieur, "die erste Bombennacht haben wir noch im Keller verbracht." Das Gebäude war stabil, den Angriff überstand es beinahe unversehrt. "Beim zweiten Angriff waren wir oben und haben Gottseidank die Sirene gehört", berichtet Bobe. Ganz leise habe man den Alarmton vernommen, von der anderen Elbseite herüber.

Den Opfern ist "Dresden" nicht realistisch genug

Atemlos seien alle nach draußen gestürmt, wenig später habe die Kaserne lichterloh gebrannt. Bei den Elbterrassen sah der achtjährige Knirps dann lauter Leichen: "Die waren unter dem ersten Bogen der Augustsbrücke gestapelt", erzählt Horst Bobe.

Als sie später über die Elbwiesen in Richtung Süden flüchteten, hätten sich plötzlich Tiefflieger genähert: "Die haben auf uns geschossen, das weiß ich noch wie heute", sagt Bobe. Den ZDF-Film fand der Diplom-Ingenieur allerdings nicht so gut, allzu viel sei darin "höchst unrealistisch".

Christa Schnürer war bei einer Freundin in der Mathildenstraße. Im Keller des Hauses hatten die jungen Frauen den Angriff überlebt, dann stürzten sie auf die Straße. "Doch dort war so ein Sog, ein ungeheurer Sog", erzählt sie. Der heiße Sturm riss sie wie im Flug davon, die damals 21-Jährige fiel zu Boden, raffte sich auf und rannte in einen anderen Keller.

Das rettete ihr das Leben, zwei ihrer Freundinnen starben in einer jener Feuerwalzen. Wie viele Menschen damals in Dresden ums Leben kamen, ist bis heute nicht genau klar.

Einigen rettete der Bombenhagel das Leben: Am Morgen vor dem Angriff hatten die letzten Dresdner Juden ihren Deportationsbefehl bekommen, doch er konnte nicht mehr ausgeführt werden.

© SZ vom 07.03.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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