Drastische Einschnitte im Freistaat:Bayern vor einem "epochalen und tiefgreifenden Umbau"

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Alle staatlichen Leistungen sollen auf "Grundsicherung und Hilfe zur Selbsthilfe" beschränkt werden. Das sieht ein internes Strategiepapier von Reformminister Erwin Huber vor.

Von Sebastian Beck

Die Staatsregierung plant noch weitaus drastischere Einschnitte, als bisher bekannt war. Bis zum 20. Juli müssen die Kabinettsmitglieder Listen mit staatlichen Aufgaben vorlegen, die ersatzlos gestrichen oder privatisiert werden sollen.

Das geht aus einem internen Strategiepapier von Reformminister Erwin Huber hervor. Darin heißt es, die staatliche Betätigung müsse sich künftig auf das ¸¸strikt Notwendige und Unerlässliche" beschränken. Huber sagte zur SZ, Bayern stehe jetzt vor einem "epochalen und tiefgreifenden Umbau".

Die elfseitige Vorlage wurde offenbar am 15. Juni im Kabinett beraten und verabschiedet. Huber entwirft darin ein düsteres Szenario der kommenden Jahre: Der politische Handlungsspielraum werde trotz des Sparkurses immer geringer.

Grund dafür seien die verhaltene Entwicklung der Wirtschaft sowie der Steuereinnahmen. Zugleich warnt er vor einer drastischen Erhöhung des Personalkostenanteils, ausgelöst durch die stetig steigenden Versorgungsausgaben.

Nach Berechnungen des Finanzministeriums werden sich die Pensionsausgaben für Beamte von derzeit 2,92 Milliarden Euro auf 5,07 Milliarden Euro im Jahr 2015 erhöhen.

Ohne Gegenmaßnahmen, so Huber, werde im Jahr 2030 der Personalkostenanteil rund die Hälfte der zur Verfügung stehenden Ausgabenmittel des Freistaats binden. Die Versorgungsrücklage könne erst nach 2018 in Anspruch genommen werden und reiche nur zum teilweisen Ausgleich der Mehrausgaben.

Drastischer Personalabbau

Falls kein drastischer Aufgabenabbau vorgenommen werde, warnt Huber, werde 2014 die Investitionsquote deutlich unter 10 Prozent fallen. Daher müssten in Bayern, aber auch im Bund unverzüglich massive Reformen eingeleitet werden.

Als vordringlich wird in dem Papier ein drastischer Abbau von Personal und staatlichen Aufgaben genannt. Einer Volkswirtschaft sei mit "einer vergleichsweise geringen Zahl qualifizierter und motivierter Staatsbediensteter" mehr gedient als mit einem "großen, aber mittelmäßigen und unmotivierten Beamtenapparat", heißt es.

Das verbliebene Personal müsse dafür leistungsgerecht entlohnt werden. Bis 20. Juli sollen die einzelnen Ministerien der Staatskanzlei nun Vorschläge für eine radikale Deregulierung machen. Die Ergebnisse will Regierungschef Stoiber dann im Herbst in einer Kabinettsklausur in St. Quirin am Tegernsee beraten.

Die Vorgaben der Staatskanzlei für die neuerliche Sparrunde sind rigoros. So heißt es in dem Papier: "Der Umfang der abzubauenden Aufgaben muss jedoch deutlich über die Aufgaben hinaus gehen, die von den Ressorts im Rahmen der Anfang des Jahres durchgeführten Online-Erhebung als unverzichtbar benannt worden sind."

Zudem werde die Staatskanzlei ihrerseits den Ministerien Vorschläge zum Aufgabenabbau unterbreiten, die von ihnen dann einzubeziehen seien. Weiter schreibt Huber, die Einsparungen müssten außerdem die bis 2008 gesetzten Zielvorgaben übertreffen: Bisher war eine Verringerung der Staatsausgaben von 15 Prozent gegenüber 2003 angepeilt.

Wie Bayern nach der neuerlichen Reformrunde aussehen könnte, wird in dem Papier ebenfalls in einigen Stichpunkten umrissen: Sämtliche staatlichen Leistungen an die Bürger sollen "grundsätzlich nicht über eine Grundsicherung und Hilfe zur Selbsthilfe hinausgehen".

Bereits gebilligt?

Alle Förderprogramme sollen deutlich reduziert und vereinfacht werden. Technische Prüfungen will Huber nur noch von privaten Firmen vornehmen lassen. Außerdem seien staatliche Beratungsangebote, mit Ausnahme einiger Kernaufgaben, komplett abzubauen.

Auch die freiwilligen Leistungen will Huber stark einschränken: Sinnvoll seien nur solche Maßnahmen, die nachhaltige Vorteile für das Gemeinwohl brächten und nicht nur Gruppeninteressen bedienten. Die brisante Vorlage, die der Staatskanzlei weitgehende Befugnisse bei der Koordination der Einschnitte einräumt, wurde von Stoibers Kabinett offenbar bereits gebilligt.

Staatskanzleichef Erwin Huber sagte zur Süddeutschen Zeitung, den anstehenden Reformen werde sich niemand verschließen können. Das Land Bayern stehe vor einer großen politischen Weichenstellung.

Falls nun nicht energisch gegengesteuert werde, gebe es bereits in wenigen Jahren keinerlei Verteilungsspielräume mehr. Dadurch würde dann allerdings auch die Eigenstaatlichkeit Bayerns eingeschränkt: "Wenn wir nicht handeln, werden wir dann nur noch verwalten", sagte Huber.

Eine Reduzierung des öffentlichen Dienstes ist seiner Ansicht im Zuge der Einsparungen unvermeidlich: "Die staatliche Allzuständigkeit wird zwangsläufig beendet werden."

© SZ vom 1.7.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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