Dokument des Terrors:"Betrachtet alle Weißen als Feinde"

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Die indonesische Polizei hat auf dem Computer eines erschossenen Terroristen den Plan für die Anschläge auf Bali 2005 entdeckt. Der Text dokumentiert minutiös, wie die Selbstmordattentäter sich auf ihre Tat vorbereitet hatten.

"Es gibt keinen Fluchtplan, denn die Ausführenden werden zu Märtyrern. Sie werden sich zu den Zielen begeben, und nicht zurückkehren."

Das zerstörte Restaurant im Touristen-Viertel Katu. (Foto: Foto: AFP)

Auf dem Computer eines indonesischen Terroristen hat die Polizei einen Text entdeckt, der minutiös die Vorbereitungen und das Vorgehen der Attentäter von Bali vom Oktober 2005 beschreibt.

Bei dem Anschlag hatten sich drei Selbstmordattentäter in die Luft gejagt und 20 Menschen mit in den Tod gerissen.

Das Dokument mit dem Titel "Das Bali-Projekt" befand sich auf dem Rechner von Azhari Husin, einem in Südostasien als Bombenbastler gesuchten Terroristen, bis er im November von der Polizei erschossen wurde.

Auf 34 Seiten beschreibt der Autor - vermutlich Husin selbst -, warum Bali als Ziel ausgesucht wurde und was für eine Art von Anschlag es sein sollte. Selbst einen exakten Zeitplan für die letzten zwei Stunden vor dem Attentat fanden die Polizisten in dem Dokument.

Darüber hinaus deutet das Papier darauf, dass nicht al-Qaida hinter den Anschlägen steckte. Vielmehr gehörten die Attentäter offenbar zur Jemaah Islamiyah, einer weiteren fundamentalistisch-islamischen Terrorgruppe, die auch für den ersten Anschlag auf Bali im Jahr 2002 verantwortlich war. Vermutlich war die Führung der Organisation selbst jedoch nicht an den Vorbereitungen für das Attentat beteiligt.

Die ersten fünf Kapitel des Planes veranschaulichen die Vorgehensweise der Terroristen und zeigen, wie selbst kleine, lokale Gruppen mit wenig Ressourcen Anschläge ausüben können - und wie schwierig es ist, ihre Pläne zu durchkreuzen, berichtet die New York Times, der das bislang unveröffentlichte Dokument zugespielt wurde.

"Warum Bali", fragt der Autor zu Anfang des Dokuments - und begründet das Anschlagsziel mit der internationalen Wirkung: "Bali ist weltweit bekannt - besser als Indonesien. Über einen Anschlag auf Bali werden die internationalen Medien berichten."

Der Anschlag müsse sich allerdings vom ersten Attentat auf der Insel 2002 unterscheiden, als bei der Explosion eines Kleinbusses 202 Menschen starben.

Keine Wiederholung des ersten Anschlags

Die Sicherheitsvorkehrungen seien nun größer. Deshalb, so der Autor, sei es zu riskant, größere Mengen Sprengstoff etwa mit Hilfe eines Lastwagens zu transportieren.

Auch wäre es schwieriger, ein Haus mit einer Garage zu mieten, in dem eine so große Bombe wie beim ersten Anschlag gebaut werden könnte. Die Bomben müssten nun kleiner sein, und "fertig zum Einsatz hereingebracht werden".

Ziel der Attentäter seien alle Touristen aus den Vereinigten Staaten und aus allen mit den Amerikanern verbündeten Ländern.

Da jedoch die Attentäter Probleme haben dürften, die Heimatländer vieler Touristen zu bestimmen, sollten sie "alle Weißen als Feinde" betrachten.

Bereits drei Wochen vor dem Anschlag wurden die ausgewählten Attentäter dem Plan zufolge nach Bali geschickt, nachdem sie über das Internet und Reisebroschüren so viel wie möglich über die Insel gelernt hatten.

Orte, die als Anschlagsziele ausgekundschaftet werden sollten, waren amerikanische Restaurants auf sowie Theater, Golfplätze, Kunstgalerien und Souvenirstände.

Die Attentäter, die bei dem Anschlag sterben würden, sollten möglichst viel selbst erkunden - nicht nur, damit sie sich gut auskannten, sondern weil es so weniger Mitwissende geben würde.

Unauffällig wie Touristen

Um nicht aufzufallen, studierten die Attentäter die Gewohnheiten von Touristen - etwa was für Kleider und was für Taschen oder Rucksäcken sie trugen. Taxis wurden als Transportmöglichkeit ausgeschlossen, da einem freundlichen Taxifahrer möglicherweise das ungewöhnliche Gewicht des Gepäcks hätte auffallen können, berichtet die US-Zeitung.

Als Ziel wurden Discos und Nachtclubs angedacht, da sie von Ausländern besucht werden und "die Sicherheitsmaßnahmen nicht der Rede wert sind". Allerdings wurde die Idee wieder verworfen, da Besucher mit Rucksäcken aufgefallen wären.

Die Terroristen entschieden sich schließlich für die Restaurants in einem der populären Touristen-Vierteln, Kuta, sowie Gaststätten am Jimbaran Beach.

Selbst die Anordnung der Restaurant-Tische am Strand berücksichtigten die Attentäter bei ihrer Planung, und sie stellten fest, dass die beste Zeit für einen Anschlag 19.30 Uhr war: Am frühen Abend besuchten viele Gäste die Restaurants - davon etliche mit Taschen.

Außerdem kamen sie zu dem Schluss, dass gerade am Jimbaran Beach viele ausländische Geschäftsleute sterben würden - was eine größere Wirkung zeigen würde als der Tod von jungen Touristen.

Zwei zeitgleiche Angriffe, so vermutete der Autor des "Bali-Projekts", seien wirkungsvoller als ein einzelner Anschlag.

Offenbar war der Transport der nur zehn bis zwölf Kilogramm schweren Bomben, die Azhari Husin in Java hergestellt haben soll, kein großes Problem. Das Gepäck, das Passagiere bei der Einreise auf den Fähren in Bussen zurückließen, wurde nach Erfahrung der Terroristen nicht untersucht.

Zwei Bomben pro Attentäter

Die eigentlichen Bomben waren dem Dokument zufolge mit gleich vier Schaltern versehen, um eine vorzeitige Explosion - etwa während der Busfahrt - zu verhindern. Ein rotes Licht auf der Innenseite eines Rucksack-Gurtes zeigte dem Attentäter, ob die Bombe scharf war.

Ein zweites System sollte eine kleinere Bombe in einem Bauchgürtel zünden, die mit einem Verzögerungssystem kombiniert war. Kurz bevor der Terrorist das Ziel erreichte, sollte der Sprengstoffgürtel aktiviert werden - ein grünes Licht am Rucksack-Gurt würde ihm zeigen, dass noch 30 Sekunden bis zur Explosion vergehen würden.

Wäre der Attentäter auf dem Weg zu dem Restaurant von Sicherheitsleuten aufgehalten worden, dann wäre zumindest diese Bombe auf jeden Fall in die Luft geflogen, schreibt die New York Times.

Das fünfte Kapitel des Dokuments beschreibt nach Angaben der Zeitung akribisch genau, wie die letzten 129 Minuten im Leben der Selbstmordattentäter aussehen sollten - und vermutlich auch ausgesehen haben.

17:25 Uhr - Packen, aus der Pension auschecken, Uhrenvergleich

17:30 Uhr - Ein Motorad-Taxi Richtung Legian Beach in Kuta suchen

18:15 Uhr - Ankommen in der Nähe des Hard Rock Cafes und nach einem Ort zum Beten suchen

18:35 Uhr - Das Abendgebet beenden. Dann trennen sich die beiden Gruppen

Kuta-Attentäter:

19:21 Uhr - Der Mann, der seine Bombe in Kuta zünden wird, geht auf das Restaurant zu und stellt sicher, dass das grüne und rote Licht leuchten.

19:33:04 Uhr - Ankunft am Restaurant

19:33:25 Uhr - Stelle sicher, dass alle Schalter bereit sind und betrete das Restaurant

Jimbaran-Beach-Attentäter:

18:50 Uhr - Ankunft Jimbaran Beach, Aufenthalt an einem Essens-Stand

19:30 Uhr - Uhrenvergleich, geht auf die Tische vor den Restaurants am Strand zu, einer etwa 40 Meter hinter dem anderen. Der erste Mann begibt sich in den Bereich mit den Tischen, der zweite tut das gleiche.

19:34 Uhr - Allah ist groß

In einem sechsten Kapitel, das offenbar nach dem Anschlag verfasst wurde, erklärt der Autor, man habe versucht, möglichst wenig Muslime zu treffen. "Doch es gab trotzdem Opfer unter den Gläubigen, Tote und Verletzte."

Tatsächlich waren bei dem Anschlag fünf Touristen und fünfzehn Indonesier getötet worden.

Das Papier zeige, "dass diese Kerle versucht haben, an jede Eventualität zu denken", erklärte Sidney Jones vom Büro der International Crisis Group in Jakarta der New York Times. Und obwohl sie gejagt wurden, so Jones, waren sie in der Lage, intensiv darüber nachzudenken, was getan werden müsste.

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