Diskussion in der SPD:"Dogmatische Verweigerung schadet uns"

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Das Chaos um die Regierungsbildung in Hessen hat eine Debatte über den Umgang der SPD mit der Linken entfacht. In einem Thesenpapier, das die Süddeutsche Zeitung veröffentlicht, stellen sich einflussreiche Sozialdemokraten hinter ihren Parteivorsitzenden Kurt Beck.

Die SPD-Politiker Detlev Albers, Ralf Stegner, Johano Strasser und Wolfgang Thierse plädieren für eine Zusammenarbeit mit der Linken:

Der Schriftsteller Johano Strasser sieht mit Ralf Stegner, Detlev Albers und Wolfgang Thierse die SPD in einer Glaubwürdigkeitsfalle. (Foto: Foto: dpa)

"Deutschland ist auf dem Weg in ein Fünf-Parteien-System. Daher rückt die Frage nach einer Zusammenarbeit der SPD mit der Linken auf kommunaler oder gar Länderebene in den Blickpunkt der Diskussion. Absolute Mehrheiten einer Partei - wie gegenwärtig in Bayern, Thüringen und Rheinland-Pfalz - wird es nur noch in Ausnahmefällen geben.

Auch bislang gewohnte Zwei-Parteien-Koalitionen - wie Schwarz-Gelb in Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg, Niedersachsen und Rot-Grün in Bremen - werden eher unwahrscheinlich sein. Gleiches gilt für rot-rote Koalitionen, wie es sie nur in Berlin, Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt, dort in Form der Tolerierung, gibt oder gab.

Wenn jedoch weder eine absolute Mehrheit noch die bisher vorgezogene Form der kleinen Zweier-Konstellation zustande kommt, wird es kompliziert, den Wählerwillen für eine stabile Regierung zu erfüllen. Es sei denn, man akzeptierte die konservative und mediale Rollenzuschreibung, die die SPD in der Opposition oder als Juniorpartner in einer großen Koalition sieht. Letzteres hat den Nebeneffekt eines besonderen Wachstumsimpulses für die Linkspartei.

Diese Ausgangslage und vor allem die Frage politischer Gestaltungsoptionen machen eine zeitnahe strategische Kursbestimmung für die SPD unerlässlich. Dies geschieht auf der Grundlage der Beschlüsse von Präsidium, Vorstand und Parteirat.

Die Kernfrage lautet: Leitet sich politische Glaubwürdigkeit eher aus programmatischen Festlegungen ab (etwa für eine zukunftsgewandte Bildungspolitik, die jeder und jedem gleiche Chancen einräumt, eine Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik, die faire Löhne für gute Arbeit und gesellschaftliche Teilhabe sichert, oder eine nachhaltige Umwelt-, Energie- und Klimapolitik) oder bleibt es bei der formalen Festlegung beziehungsweise dem Ausschluss möglicher Koalitionsoptionen vor und nach Wahlen?

Diese Frage muss schlüssig beantwortet werden, sollen nicht die Festlegungen von heute zu Glaubwürdigkeitsproblemen von morgen oder gar zum Verlust von gestalterischem Einfluss auf die politische Entwicklung in Deutschland führen. Eine zügige Klärung in unseren eigenen Reihen kann auch verhindern, dass die Beantwortung dieser Frage durch Forderungen des politischen Gegners oder der Medien bestimmt wird.

Das triebe die SPD dauerhaft in die Defensive. Wobei auch klar ist, dass sich ähnliche Fragen nicht nur für unsere Partei, sondern in gleicher Weise für andere Parteien stellen, etwa für Schwarz-Grün. Bekanntlich gibt es in den neuen Ländern nicht wenige Kommunen, in denen sogar die Union mit der Linkspartei kooperiert.

Sozialer Fortschritt in Deutschland hängt wesentlich davon ab, dass es auch künftig zum gemeinsamen politischen Handeln der progressiven Kräfte in einer großen linken Volkspartei kommt. Dies kann nach unserer Überzeugung nur die SPD sein. Die Zersplitterung in Radikale und Gemäßigte hat dagegen die Sache der Linken immer wieder geschwächt und zurückgeworfen.

Nichts zeigt dies deutlicher als die Geschichte der ersten deutschen Republik. Die staatliche Teilung unseres Landes hatte das noch einmal zementiert. Erst das Ende des Kalten Kriegs und die deutsche Wiedervereinigung haben der Spaltung zwischen Kommunisten und Sozialdemokraten die historische Grundlage entzogen.

Wir halten es für verhängnisvoll, wenn jetzt aus dem Streit über die Regierungspolitik der rot-grünen oder der großen Koalition erneut das Gegeneinander zweier linker Parteien hervorgeht. Unser Hamburger Grundsatzprogramm zeigt "in der stolzen Tradition des demokratischen Sozialismus" die Perspektiven für das kurz- und langfristige Handeln aller Sozialdemokraten und Sozialisten auf.

Dabei ist uns bewusst, dass es über die Fragen der Umsetzung des Programms, auch der politischen Kompromisse, die auf dem Weg dahin einzugehen sind, immer wieder zu unterschiedlichen Auffassungen und Streit kommen wird.

Die Entscheidung darüber, ob es in Deutschland bei einer linken Volkspartei bleibt oder ob es dauerhaft wieder zu zwei konkurrierenden linken Parteien kommt, liegt nicht allein in unserer Hand. Dies entscheiden fällen in Demokratien die Wählerinnen und Wähler. Wir können für unsere Zielvorstellungen werben.

Ob wir aber weiterhin die große Mehrheit der Wählerschaft davon überzeugen können, dass mehr Durchschlagskraft von einer geeinten politischen Partei der Linken als von getrennten Formationen der Gemäßigten und der Radikalen zu erwarten ist, kann niemand vorwegnehmen. Und schon gar nicht dekretieren. Es bleibt Gegenstand der politischen Auseinandersetzung. Die SPD hat auf beide Konstellationen eine Antwort zu geben.

Wir setzen uns dafür ein, unsere Programmatik und politische Praxis so profiliert zu gestalten, dass sich konkurrierende Alternativen auf Seiten der Linken erübrigen. Glückt dies nicht, müssen wir um so mehr darauf achten, dass wir uns nicht durch dogmatische Kooperationsverweigerung nach links und dadurch nötige weitergehende Kompromisse mit konservativen Parteien immer weiter von unseren eigenen programmatischen Zielsetzungen entfernen.

Ansonsten drohte eine Abwärtsspirale der Zustimmung unter unseren eigenen Mitgliedern wie der bisherigen Wählerschaft und ein dauerhafter Verlust politischer Gestaltungsoptionen. Die Partei Die Linke würde zu unseren Lasten weiter wachsen.

Ein Blick auf die Erfahrungen unserer politischen Bruder- und Schwesterparteien in Europa liefert reichhaltiges Anschauungsmaterial dafür, wie durch Zersplitterung auf der Linken deren Einfluss insgesamt geschwächt wurde. Daneben finden sich jedoch auch Beispiele für die umgekehrte Entwicklung, dass sich nämlich eine Partei als die dominierende Kraft der Linken behauptet und nicht zuletzt dadurch erhebliche Erfolge im eigenen Land erringt.

Aktuelle Negativbeispiele liefert Italien. Hier ist es kleinen Linksaußenparteien wiederholt gelungen, progressive Regierungsbündnisse durch unerfüllbare populistische Forderungen zu Fall zu bringen. Eher vergleichbar mit der hiesigen Parteienlandschaft ist das Beispiel der Niederlande und Dänemarks. Dort hat die Unzufriedenheit der Wählerschaft mit der (Regierungs-)Politik der traditionellen sozialdemokratischen Parteien so weit zugenommen, dass ihre jeweiligen linken Konkurrenten inzwischen nahezu gleichauf in der Wählergunst liegen. Auf positive Erfahrungen können bei natürlich unterschiedlichen politischen Rahmenbedingungen die schwedischen Sozialdemokraten, die britische Labour Party oder die spanischen Sozialisten verweisen. Auch wenn im Einzelfall die Hilfe kleinerer Parteien nötig war, gab es nie einen Zweifel an ihrer tonangebenden Rolle in der Linken ihres Landes. Diesen Anspruch kann auch die deutsche Sozialdemokratie auf Grund ihrer Geschichte und ihrer historischen Leistungen niemals aufgeben.

Die Geschichte der deutschen Linken und die Erfahrungen der europäischen Arbeiterbewegung belegen gleichermaßen, welcher Konfliktstoff im Verhältnis zwischen der SPD und der Linken liegt. Während wir meinen, dass eine zusätzliche Partei im linken Spektrum überflüssig ist, bildet unser vermeintliches Versagen für die andere Seite gerade den Ausgangspunkt ihrer politischen Existenz. Auf die Spitze getrieben schließen sich beide Positionen gegenseitig aus.

Soll daraus keine Gestaltungsptionen verhindernde Gegnerschaft entstehen, die uns in der Auseinandersetzung mit Grünen, Liberalen, Christdemokraten und dem rechtsradikalen Rand eher schwächt, sind Übereinstimmungen und Differenzen zunächst einmal anhand konkreter tagespolitischer Fragen in der Praxis zu klären. Dies kann bei bestimmten Voraussetzungen zu einem konstruktiven Dialog führen. Die Selbstverwaltung der Gemeinden und die föderale Struktur der Bundesrepublik bieten hierfür vielfach Gelegenheit. Es ist deshalb nur folgerichtig, dass der Parteivorstand und der Parteirat den Parteiverbänden ausdrücklich freie Hand lässt. Erst auf einer solchen Basis lässt sich dann vor Ort einschätzen, ob, bis zu welchem Grad und unter welchen Bedingungen eine Kooperation auf kommunaler oder Landesebene in Frage kommen kann.

Schon die bisherigen Überlegungen verdeutlichen, welche große Entfernungen zu überwinden sind, bevor eine irgendwie geartete Kooperation auf Bundesebene überhaupt denkbar ist. Sie verlangten im Übrigen Lernprozesse und vertrauensbildende Erfahrungen auf jeder Seite. Erinnert sei nur an den Weg der Liberalen von ihrem Freiburger Programm bis zur Absprache mit Willy Brandt oder an jenen der Grünen von der Parteigründung bis zur Regierungskoalition in Berlin.

Im Verhältnis zwischen SPD und der Linken kommen neben persönlichen Verletzungen erschwerend noch die Abstoßungen hinzu, die sich immer von Neuem aus der Rivalität um die gleichen Wählerschichten ergeben, von den Herkünften der Linkspartei ganz zu schweigen. Vieles davon ist mit dem Freiheitsverständnis der SPD unvereinbar.

Anders als bei der Zusammenarbeit in Kommunen oder schon deutlich schwieriger in den Ländern können auf Bundesebene unüberbrückbare Gegensätze nicht beiseite gelegt werden. Sie beziehen sich insbesondere auf Fragen der Außen- und Sicherheits-, der Europa- und Wirtschaftspolitik, aber auch der Sozialpolitik.

Im Übrigen läuft die Frage nach programmatischen Vergleichbarkeiten schon deshalb ins Leere, weil die Linke bislang überhaupt kein Programm besitzt. Kurz- und mittelfristig ist somit eine Kooperation auf Bundesebene mit der Linken nicht vorstellbar."

© SZ vom 10.03.2008/gdo - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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