Die Subkultur der Neonazis (Teil 4):Schöner leben mit Nazi-Läden?

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Neonazis machen Profit. Die Zahl rechtsextremer Versandhändler stieg in zwei Jahren um 50 Prozent. Und in ihren Läden knüpfen sie Kontakt zu Jugendlichen.

Klaus Schmidt

Rostock bleibt auch nach den G-8-Protesten wegen gewalttätiger Auseinandersetzungen in den Schlagzeilen: Am 15. Juni hat der Neonazi-Laden East Coast Corner in einem Studentenviertel eröffnet, was Ausschreitungen zwischen Rechtsextremisten und Antifaschisten nach sich zog. Die Polizei ist gefordert - ähnlich wie im vergangenen Jahr schon in Wismar. Dort zog eine Antifa-Demo am Werwolf-Shop vorbei, den vier Skinheads mit Baseball-Schlägern "verteidigen" wollten. Polizisten hielten sie mit entsicherter Waffe zurück.

In anderen Städten können sich Szene-Kaufläden nahezu ungestört entwickeln. In Chemnitz haben Backstreet-Noise und PC-Records den Markt in Nazi- und Hool-Bedarf aufgeteilt und belegen gemeinsam einen Flachdachbau in Supermarkt-Größe - mitten in einer Plattenbausiedlung. In Wurzen bei Leipzig hat Front-Records eine ehemalige Fleischerei bezogen. Außer dem Lager ist dort für einen Kameradschaftsraum und einen Konzertsaal Platz.

2006 stellte das sächsische Landesamt für Verfassungsschutz fest: "Der Freistaat Sachsen hat im Bundesvergleich die am stärksten ausgeprägten rechtsextremistischen Vertriebstrukturen. [...] Sie sind für die Szene von herausragender Bedeutung. Über sie kann szenerelevantes Material wie Tonträger und Textilien bezogen werden. Darüber hinaus dienen Szeneläden auch als Umschlagplatz für Informationen. Ferner nehmen die Vertriebe eine Schlüsselrolle bei der Nachwuchsrekrutierung ein."

Die Umsätze im Neonazi-Geschäft wurden vom Bundesamt für Verfassungsschutz schon vor Jahren auf mehrere Millionen Euro geschätzt. Präzisere Zahlen lieferten Antifa-Hacker, die in den vergangen Jahren mehrer Homepages von Nazi-Versänden geknackt haben. Bei der Analyse von Kunden- und Bestelldaten kam beispielsweise bezüglich des Wikinger-Versandes im bayerischen Geiselhöring heraus, dass der durchschnittliche Umsatz pro Monat bei rund 40.000 Euro liegt. Genug Geld, um sich Angestellte leisten zu können.

Neonazis finanzieren Neonazis also auf unterschiedliche Weise: als Kunden stützen sie Versandhändler und Ladenbetreiber; als Geschäftsleute bezahlen sie Mitarbeiter und Szene-Projekte - Letztere auf Spendenbasis.

In Ostdeutschland ist der Markt so profitabel geworden, dass sogar bürgerliche Geschäftsleute Neonazi-Ware ins Programm genommen haben. In einem Dresdner Army-Shop gibt es unter anderem T-Shirts mit White Power- und Landser-Aufdruck sowie SS-Tarn-Bekleidung. Ein Waffengeschäft bietet Szenebedarf der Nazi-Marke "CoNSDAPle". Der Verfassungsschutz bestätigt: "Unter den rechtsextremistischen Vertriebsstrukturen in Sachsen gibt es Unternehmen, deren Inhaber nicht der rechtsextremistischen Szene zugerechnet werden können."

Tarnung als private Sammlung

Die Gewinnaussichten nehmen kapitalistische Ausmaße an, wie sie - nach reiner Lehre - von den "nationalen Sozialisten" verteufelt werden. Neider bezeichnen manche Versandhändler als "Szene-Juden", weil sie angeblich überteuerte Ware anbieten und zu wenig Geld in die politische Arbeit investieren. Gegen zwei der größten Szene-Unternehmen, den V7-Versand in Grevesmühlen und den H8Store-Versand in Wismar, sind von anderen Neonazi-Geschäftsleuten Boykottaktionen initiiert worden.

Die Vorwürfe, die in nationalen Internetforen nachzulesen sind, reichen vom "Betrug an Kameraden" bis hin zur Zusammenarbeit mit staatlichen Behörden. Einer der angeblich betrogenen Kameraden soll sich per Raubüberfall beim Betreiber des H8Store revanchiert haben, was ihm Untersuchungshaft einbrachte.

Der Boykott zeigte nach wenigen Wochen Wirkung: H8Store heißt jetzt Totenkopf-Versand und wird angeblich von einem früheren H8Store-Mitarbeiter betrieben. Zu diesem Szene-Imperium gehört unter anderem der Werwolf-Shop in Wismar - und der ehemalige H8Store-Chef soll obendrein an Werwolf-Records in Skandinavien beteiligt (gewesen) sein, wie in Neonazi-Foren behauptet wird. Eine sichere Bestätigung gibt es hierfür nicht.

Außer dem Namen Werwolf war dem Laden und dem Label zumindest bis im vergangenen Sommer ein Teil des nach deutschem Recht verbotenen - Sortiments gemeinsam. Was es in Skandinavien zu bestellen gibt, konnten Wismarer Laden-Kunden aus einem Koffer kaufen, der klischeetypisch unterm Ladentisch stand. Jede CD darin gab es nur einmal, so dass das Angebot im Falle einer Razzia als "private Sammlung" durchgegangen wäre, für die keine Strafe droht.

Wie stichhaltig die Szene-Vorwürfe gegen die beiden Versandhändler aus dem Norden sind, lässt sich nicht klären. Der Vorwurf der "Kooperation mit dem Staat" wird vom H8Store-Nachfolger Totenkopf-Versand auf jeden Fall bis heute genährt: Als "Exklusiv-Vertrieb" in Deutschland bietet er T-Shirts und Pullover mit 28- und C18-Aufdruck an. "28" steht für den zweiten und achten Buchstaben im Alphabet: B und H wie Blood & Honour, der Name jenes internationalen Neonazi-Netzwerks, das in Deutschland verboten ist. Und "Combat 18" (C18) ist der militante Arm der Organisation. Auf einem Shirt steht beispielsweise vorne: "Support 28". Und auf der Rückseite: "My Blood is my Honour".

Neonazi-Händler, die regelmäßig Hausdurchsuchungen haben, kommen da ins Zweifeln, ob die Polizei solche Ware beim "Kollegen" in Wismar tatsächlich nur übersieht ... Ein anders T-Shirt hat den Aufdruck "C18" im Brustbereich und "Support our War" als Rückendruck. Würde das durchgehen, wenn auf die Vorderseite statt der militanten Nazi-Truppe der Name einer militanten Islamisten-Gruppe gedruckt wäre?

Offensive in Westdeutschland

Es fällt aber auch auf, dass manche Szene-Versandhändler den Boykott gegen die Konkurrenz nutzen, um ihre Geschäfte auszuweiten. Neuerdings bietet beispielsweise der Wikinger-Versand in größerem Stil an, T-Shirts nach Wunsch zu bedrucken. Diesen Service hatte bis dato der boykottierte V7-Versand als einziger via Extra-Homepage angeboten.

Ein anderer hat sich sein NPD-Engagement mit neuen Verkaufs- und Werbemöglichkeiten vergolden lassen: Thorsten Heise vom WB-Versand. Der prominente Freie Nationalist war für die Partei interessant, um die traditionell eher parteienfeindlich eingestellte Skinhead-Szene zu gewinnen. Dafür ist der WB-Versand seither bei mancher NPD-Veranstaltung präsent - in Konkurrenz zum parteieigenen Deutsche-Stimme-Versand.

Die Tage, an denen Nazi-Ware schwerpunktmäßig bei konspirativen Konzerten umgeschlagen wurde, sind gezählt. Auch in Westdeutschland entstehen Szene-Läden - zum Beispiel in Bochum, Dortmund und Tostedt bei Hamburg. Die meisten CDs deutscher Bands werden routinemäßig von Rechtsanwälten auf ihre Strafbarkeit hin geprüft.

Falls ein Tonträger als "jugendgefährdend" eingestuft werden sollte, so reicht die Zeit bis zur Indizierung durch die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien meist aus, um den Großteil der Auflage zu verkaufen. Die drohende Indizierung einer CD wird teilweise sogar in den E-Mails der Versandhändler als Kaufargument werbewirksam und gewinnbringend eingesetzt.

Die antifaschistische Initiative "Schöner Leben ohne Nazi-Läden" protestiert gegen diese Entwicklung - kann sie aber nicht aufhalten. Die Nazis haben kurzerhand eine Gegeninitiative gestartet: "Schöner leben mit Nazi-Läden". Und inzwischen gibt es davon sogar T-Shirts - mit denen Nazi-Läden wiederum Geld verdienen.

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