Kommentar:Eine Chance für die SPD

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Die Fehler, die die Sozialdemokraten in der großen Koalition gemacht haben, sind offensichtlich. Eine neue Parteivorsitzende könnte daraus lernen.

Von Nico Fried

Gegen Angela Merkel lautet ein beliebter Vorwurf: Kein politisches Thema wecke ihre Leidenschaft, von Visionen keine Spur. Auch aus den Sondierungen von Union, FDP und Grünen war oft zu hören, die Kanzlerin brenne für nichts - außer fürs Regieren. Nach dem Scheitern von Jamaika steht das Land nun ohne gewählte Regierung da. Plötzlich ist von einer Krise die Rede. Merkels Werben für eine Koalition erscheint so zumindest in neuem Licht: Regieren mag das Einzige sein, wofür sie brennt - aber ohne eine Regierung ist eben auch alles andere nichts. Leidenschaft, Vision, oder auch nur der Abbau des Soli-Zuschlags? Pustekuchen.

Am Mittwoch, dem 12. Jahrestag ihres Dienstantritts, fand sich die Kanzlerin so in der paradoxen Situation, dass sie auch zwei Monate nach der Bundestagswahl ihren Regierungsauftrag noch nicht erfüllt hat. Den Druck aber, den kriegen die Verweigerer ab: Einerseits die FDP, die sich mit einer konzertierten Aktion in Dutzenden Interviews gegen den Vorwurf des selbstsüchtigen Verrats am Vaterland verwahrt. Andererseits die SPD, deren Wehrhaftigkeit gegen jegliche Form der Regierungsbeteiligung von immer mehr Mauerstürmern weggemeißelt wird, wodurch ganz nebenbei auch die restliche Ordnung in der Partei zusammenbricht. Man kann gegen die FDP viel sagen, aber sie organisiert selbst den Auszug aus der Regierungsbildung immer noch professioneller als die SPD ihren allmählichen Einzug.

Richtig ist: Der brutalstmöglich gescheiterte Kanzlerkandidat Martin Schulz hat die SPD in dieses Chaos geführt. Er hat am Wahlabend die Stimmung in der Partei aufgenommen, wo die große Koalition mehrheitlich abgelehnt wird. Ein guter Vorsitzender hätte das getan, ohne sich alle Optionen zu verbauen. Schulz aber hat die Türe nach dem Schließen zusätzlich noch zugenagelt. Das Bündnis mit der Basis soll ihm den Vorsitz retten. Seither tourt er durchs Land und schreibt in Arbeitsgruppen mit aufrichtigen Genossen auf Papptafeln, die SPD solle neue Wege gehen.

Richtig ist aber auch: Nahezu die gesamte Spitzenriege der SPD ließ ihren Vorsitzenden lange Zeit gewähren, ja sie applaudierte ihm teilweise frenetisch. Erst seit dem Wochenende regt sich die Nachdenklichkeit einiger Führungsleute mehr oder weniger öffentlich. Wenn aber nach dem Gespräch des Vorsitzenden beim Bundespräsidenten am Donnerstag die Wende offiziell eingeleitet werden sollte, dann kratzt mitnichten Schulz allein die Kurve.

Die SPD ist zweimal in große Koalitionen gegangen und hat viele Ziele gleich am Anfang durchgesetzt. 2017 wären die Voraussetzungen noch besser, weil die Sozialdemokraten mehr denn je gebraucht werden, nachdem Union, FDP und Grüne vor Jamaika abgesoffen sind. Der Fehler der SPD lag ohnehin nie am Anfang einer Groko, sondern immer am Ende, wenn sie nicht mit dem warb, was sie erreicht hatte, sondern das beklagte, was ihr verwehrt worden war. Käme es nun zu einer dritten Auflage, bräuchte die SPD nur noch eine Vorsitzende, die aus diesen Fehlern lernt.

© SZ vom 27.11.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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