Die Reise des Holger P.:Von Bonn nach China - und weiter nach Paris

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Der Ex-Staatssekretär wurde schon in mehr als einem Dutzend Ländern vermutet. Protokoll einer Flucht über alle Kontinente.

Von Hans Leyendecker

Regelmäßig hat sich Bundesinnenminister Otto Schily in den vergangenen fünf Jahren beim Bundeskriminalamt (BKA) nach dem neuesten Stand in der Fahndungssache ZD 14-91/99 erkundigt: Der Minister wollte wissen, ob es irgendeine Spur bei der Suche nach dem ehemaligen Verfassungsschutzchef und Rüstungs-Staatssekretär Ludwig-Holger Pfahls gebe. Die Beamten winkten ab, aber Schily blieb zuversichtlich: "Den kriegen wir."

Als sich am Dienstagvormittag die Präsidenten der bundesdeutschen Sicherheitsbehörden, wie jede Woche, zur Lagebesprechung im Berliner Kanzleramt trafen, spielte das Thema Pfahls nur am Rande eine Rolle. Ob es etwas Neues gebe, wollte einer der Teilnehmer wissen, doch da war nichts.

Kurz darauf, die Lage war eben beendet, erhielten die Präsidenten von ihren Leuten Eilmeldungen zugesteckt. Pfahls sei kurz vor 13 Uhr in Paris festgenommen worden. Der Leitende Oberstaatsanwalt in Augsburg, Reinhard Nemetz, hatte noch gebeten, aus ermittlungstaktischen Gründen die Festnahme nicht bekannt zu geben, doch da war nichts mehr geheim zu halten.

Suche von Kanada über Liechtenstein bis China

Ein Team des französischen Fernsehens war beim Zugriff dabei gewesen. So endete eine Jagd, die lange Zeit aussichtslos schien. Zielfahnder des Bundeskriminalamts hatten Pfahls in mehr als einem Dutzend Länder gesucht -angeblich war er in Kanada, Liechtenstein, England, in China und auf den Philippinen gewesen. Manchmal wurde aus verschiedenen Ländern gleichzeitig gemeldet, Pfahls sei gesehen worden.

Was feststand, hatte die Ermittler lange nicht weitergebracht: Am 3. Juli 1999 war Pfahls zum letzten Mal von Zeugen gesehen worden. Am Abend hatte er sich auf dem Tschiang-Kaischek-Flughafen bei Taipeh mit drei taiwanesischen Geheimdienstlern getroffen.

Zu diesem Zeitpunkt wurde er schon mit Internationalem Haftbefehl gesucht. Um 19.01 Uhr checkte der frühere deutsche Staatssekretär in eine Maschine der Fluggesellschaft Cathay Pacific ein und flog unter dem Decknamen "Fals" erster Klasse nach Hongkong. Mit an Bord war auch ein alter Bekannter, der Geschäftsmann Dieter Holzer, der ehemals auch ein Kontaktmann des Bundesnachrichtendienstes (BND) im Libanon war.

Ein sorgfältig geplante Flucht

Holzer, der eine wichtige Figur in der Schmiergeldaffäre um den französischen Öl-Multi Elf Aquitaine war, hat später Beamten des Bundeskriminalamts berichtet, dass er Pfahls damals gemeinsam mit einem seiner Söhne zum Flughafen gebracht habe und dass sie beide mitgeflogen seien. Er habe gesehen, dass Pfahls nach der Landung von Hongkonger Beamten in Empfang genommen worden sei. Dann habe er ihn nicht mehr gesehen.

Es stellte sich heraus, dass Pfahls die Flucht gut vorbereitet hatte. Er hatte sich Tickets für sieben verschiedene Ziele besorgt, um die Suche nach ihm zu erschweren. Die Zielfahnder haben lange vermutet, dass sich Pfahls in Asien versteckt hatte.

Er hatte gute Verbindungen nach Indonesien, China und auch auf die Philippinen. Der ehemalige CSU-Mann kannte die Hintergründe der großen Rüstungsdeals. Als Staatssekretär im Verteidigungsministerium hatte Pfahls Zugang zu diversen hochgeheimen Rüstungsprojekten gehabt.

Im Herbst 1999 und im Frühjahr 2000 reisten BKA-Fahnder auf die indonesische Insel Bali, weil Pfahls dort angeblich gesehen worden war. Angeblich hatte er sich im Haus eines Freundes, des Ex-Präsidenten Bacharuddin Jusuf Habibie, aufgehalten. Habibie lebte einst in Norddeutschland und ist mit deutschen Unionspolitikern gut bekannt.

Schützende Hand über Pfahls

Habibie arbeitete früher als Manager für die Rüstungsschmiede Messerschmitt-Bölkow-Blohm. Der kleinwüchsige Habibie war einer der Hintermänner eines Waffengeschäfts, das Pfahls noch als Rüstungs-Staatssekretär mit auf den Weg gebracht hatte: Indonesien hatte aus Beständen der DDR-Volksarmee unter anderem 16 U-Boot-Jagd-Korvetten gekauft. Es hielten sich Gerüchte, dass bei dem Geschäft geschmiert worden sei.

Die Zielfahnder des BKA durchleuchteten die Vergangenheit von Pfahls und beschäftigten sich auch mit der Frage, ob es möglicherweise eine schützende Hand gegeben habe - und wer ein Interesse daran gehabt haben könnte, ihm aus welchem Grund auch immer bei der Flucht zu helfen. Eine Rolle spielte bei allen Planspielen die angebliche China-Connection.

Zu Pfahls guten Bekannten gehörte der CSU-Politiker Siegfried Lengl, einst Staatssekretär im Entwicklungshilfeministerium. Dieser hat in China viele einflussreiche Freunde. Im Vorjahr kursierten Meldungen, Pfahls sei in Schanghai gesehen worden. Die Spur war, wie das BKA feststellte, kalt - und bei den Zielfahndern gab es zeitweise den Verdacht, dass Pfahls möglicherweise tot sei.

Offenbarungseid der Ermittler

In Berlin wurde kolportiert, der einstige Rüstungs-Staatssekretär, der regelmäßig Blutverdünnungsmittel (Blutgruppe 0) braucht, liege vermutlich irgendwo auf dem Grund des Chinesischen Meeres. Im November 2001 veröffentlichte das BKA im Internet einen Steckbrief von Pfahls samt Bildmontagen mit Schnurrbart, Toupet oder Glatzkopf.

Der Hilferuf der Ermittler klang wie ein Offenbarungseid. Aber die Suche ging weiter. Auch über den Fluchtort Frankreich wurde immer wieder spekuliert. Einer der potenziellen Fluchthelfer war vermutlich Holzer, jener Mann, der Pfahls auf dem mysteriösen Flug von Taiwan nach Hongkong begleitet hatte. Fahnder hörten die Telefone von Holzer ab, kamen aber nicht weiter.

Pfahls spricht fast akzentfrei Französisch. Der einstige Statthalter von Daimler-Benz in Brüssel hielt sich in den neunziger Jahren häufig in Paris auf und hatte auch gute Verbindungen zu früheren Mitarbeitern des französischen Auslandsgeheimdienstes DGSE wie dem früheren Berater von Elf Aquitaine, Pierre Lethier.

"Intelligenz und klarer Blick"

"Woher kannten Sie den ehemaligen Verteidigungs-Staatssekretär?" hat der Spiegel im Sommer 2000 Lethier gefragt. "Es muss reichen, wenn ich Ihnen sage, dass ich ihn kannte und schätzte," hat der heute 49 Jahre alte ehemalige Colonel geantwortet.

Er sei bis Dezember 1992 in ständigem Kontakt mit Pfahls gewesen, der für Daimler-Benz in Brüssel arbeitete: "Was Pfahls für mich interessant machte, waren seine Intelligenz, sein klarer Blick und seine Kenntnisse über die politischen Mechanismen" in Deutschland.

(SZ vom 14.7.2004)

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