Die Krawalle in Bern:Die Angst der Schweizer

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Die Bilder aus Bern sind nicht einmal für die Schweizer selbst zu verstehen. Es scheint dem Land gut zu gehen, Radaubrüder sollen für die Krawalle verantwortlich sein. Doch die Proteste haben politische Wurzeln.

Gerd Zitzelsberger

Zu verstehen sind die Bilder aus Bern vom vergangenen Wochenende nicht einmal für die Schweizer selbst. In einem Land, in dem der Kompromiss, die Toleranz und Friedfertigkeit traditionell zu den größten Tugenden gehören, kommt es zu einem Ausbruch von Hass und Gewalt.

Ein kleines Mädchen wartet mit seinem Vater auf den Beginn der Demonstration der rechtspopulistischen SVP in Bern. (Foto: Foto: afp)

Das kannte man bislang nur von anderen Staaten Europas. Der materielle Schaden war am Ende nicht sehr hoch, und glücklicherweise wurde niemand schwer verletzt. Aber die Ausschreitungen zeugen von einer politischen Verwerfung, die in der Schweiz unentdeckt war.

Bisher gab es dies eben nicht, dass eine politische Gruppierung die Informationsstände einer anderen kurz und klein schlug. Und mit der Holzbank auf den politischen Gegner einzuschlagen, war nicht Schweizer Art.

Der "Schweizer Kapitalismus" ist sanft

Es geht den Schweizern gut, der Lebensstandard liegt höher als bei den Nachbarn ringsum, und Arbeitslosigkeit gibt es praktisch nicht. In seinem Umweltbewusstsein ist das Land quer durch das politische Spektrum beispielgebend, die Wirtschaft wächst so schnell sie nur kann, und die niedrigsten Löhne liegen weit höher als die in Deutschland oder Großbritannien. Der "Schweizer Kapitalismus" ist immer noch sanfter als der im angelsächsischen Raum.

Vor diesem Hintergrund wählt ein Teil der Schweizer Öffentlichkeit den einfachen Weg und macht Radaubrüder für die Krawalle verantwortlich - junge Leute, die keine echten Sorgen hätten und Ersatz für wirkliche Abenteuer suchten.

Die hatten sich zweifellos unter die Demonstranten in Bern gemischt. Doch die linksextremen Proteste haben auch politische Wurzeln - wer sie leugnet, der ignoriert eine bedeutsame gesellschaftliche Umwälzung, eine Verschiebung in der politischen Kultur der Schweiz, die durch den Wahlkampf befördert und gleichwohl vom Establishment ignoriert wird.

Wettbewerb um gut bezahlte Stellen

Die Veränderung wird von Ängsten befeuert, Ängsten, die in der Schweizer Geschichte nicht neu sind - und die in diesen Tagen trotz oder gerade wegen des Wohlstandes wachsen.

Die Welle von Zuwanderern, nicht zuletzt aus Deutschland, macht es den Schweizern schwerer, im Wettbewerb um gut bezahlte Stellen zu bestehen. Die Zuwanderung dämpft auch den Lohnanstieg.

Ausländische Unternehmen entdecken den Alpen-Markt: Aldi und Fielmann sind schon da, der Lebensmitteldiscounter Lidl und die Werkstatt ATU beginnen gerade, ein Netz von Filialen aufzubauen. Das befördert unterschwellig die Sorge vor Überfremdung.

Seitdem die Nachfolgerin des Nationalheiligtums Swissair in die Hände der Lufthansa gefallen war, sorgt sich mancher schon, dass die Deutsche Bahn eines Tages die Züge zwischen den Bergen fahren lassen könnte.

Mit einem Satz: Die Furcht ist groß, dass die Globalisierung, von der die Schweiz bislang nur profitiert hat, dem Land seine Identität rauben könnte. Die Schweiz lässt sich nicht länger abschotten vor dem Druck der globalen Märkte und dem Druck Europas.

Abschotten vor dem Druck der Märkte

Die Schweizerische Volkspartei (SVP) nutzt diese unterschwelligen Ängste für ihre Politik und präsentiert in Gestalt ihres Anführers Christoph Blocher den starken Mann.

Die SVP, die manchmal ein getrübtes Verhältnis zum Rechtsstaat hat, und in der Gegner bräunliche Versatzstücke erkennen, ist in den vergangenen zwei Jahrzehnten unter Blocher von einer kleinen Bauernpartei zur stärksten politischen Kraft mit einem Stimmenanteil von 27 Prozent gewachsen. Ihre Werbung dominiert den Wahlkampf wie keine zweite Partei vor ihr.

Zwei Faktoren befördern den Auftrieb: Zum einen scheint der SVP Geld in nahezu unbegrenzter Menge aus unbekannten Quellen zur Verfügung zu stehen - sicher nicht gespendet von ihrer größten Wählergruppe, eher bildungsfernen und unterdurchschnittlich verdienenden Schweizern. Zum zweiten verfolgt die SVP einen für die Eidgenossenschaft völlig neuartigen und hochprofessionellen Wahlkampfstil.

Traditionell stehen in der Schweiz die Köpfe der jeweiligen regionalen Kandidaten im Vordergrund, die Parteizugehörigkeit spielt eine nachgeordnete Rolle.

Die SVP dagegen präsentiert sich landesweit einheitlich wie ein Markenartikel, und überall personifiziert Blocher die Partei. Für die anderen Parteien ist es anstößig, einen Minister in das Zentrum der politischen Auseinandersetzung zu stellen.

Bewehrt mit Fahnen und Kuhglocken

Schließlich müssen die Minister hinterher wieder zusammenarbeiten in der traditionellen Super-Koalition aller großen Parteien, die das Land zusammenhält. Außerdem stellen diese Parteien traditionell Sachthemen in den Mittelpunkt der Auseinandersetzung.

Diese Traditionen verletzt die SVP. Sie gebärdet sich lediglich super-schweizerisch, bewehrt mit Fahnen und Kuhglocken. Gleichzeitig spielt sie geschickt mit den Ängsten.

Die Linke und die anderen Parteien verharren in der Schockstarre, sie reagieren einfach nur hilflos bis beleidigt auf Blocher. Der Berner Gewaltausbruch war nun das erste Signal dafür, dass die Ratlosigkeit schnell in eine unkontrollierte Auseinandersetzung umschlagen kann.

Wenn die Parteien der Mitte kein Gegenmittel finden, werden die Politiker am linken und rechten Rand noch mehr Zuspruch finden. Das Schweizer Modell - es würde dann schnell eine neue Bedeutung erhalten.

© SZ vom 9.10.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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