Die Kanzlerin in Peking:Deutsche Gebetsmühle

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Zum neunten Mal ist Angela Merkel zu Besuch in China und spricht von Rechtsstaatlichkeit und Freiheit. Es ist ein zähes Unterfangen - denn richtig schnell lernen die Gastgeber nur, wenn es zu ihren Gunsten ist.

Von Nico Fried, Peking

Die Veranstaltung an der Akademie neigt sich dem Ende zu, als ein Student noch eine Frage hat: Worin Angela Merkel den Unterschied zwischen Politik und Wissenschaft sehe, fragt der junge Mann. Von einem Wissenschaftler, antwortet die gelernte Quantenchemikerin Merkel, erwarte man, "dass er sich jeden Tag was Neues ausdenkt und nicht dauernd den gleichen Vortrag wiederholt". Die Politik hingegen lebe gerade davon, dass man Dinge immer wiederhole, möglichst "bis sie alle verstanden haben".

Das ist ein interessanter Satz, weil er auf die Kanzlerin Merkel nicht passt - zumindest wenn man der in Deutschland gängigen Lehre folgt, wonach sie ihre Politik zu wenig erkläre. Hier nach Peking aber passt der Satz trefflich, denn was macht ein deutscher Politiker auf Besuch in China anderes, als fortwährend seine Positionen zu wiederholen, in der Hoffnung, dass sie irgendwann etwas bewirken. Das ist bei vielen Themen eine vage Hoffnung. Und das Irgendwann erscheint weit weg.

Die Rede, die Merkel an diesem Tag hält, ist dafür beispielhaft. Die Kanzlerin, gewandet in einen schwarz-roten Talar, hat eben den Ehrendoktortitel der Universität Nanjing entgegengenommen. Aus praktischen Gründen fand die Ehrung in Peking statt. In ihrer Dankesrede spricht Merkel über Fortschritt in der Wissenschaft, aber diesmal geht es ihr nicht um Unterschiede zur Politik, sondern unüberhörbar um eine Analogie. Der Weg zu neuer Erkenntnis beginne damit, Vorhandenes infrage zu stellen, sagt Merkel. Darüber müsse man offen diskutieren können. "Wer Fortschritt will, muss Freiräume schaffen."

Wie auch gegenüber der Türkei verzichtet Merkel bei China auf demonstrative Kritik

Daran mangelt es gegenwärtig. Auch in Berlin ist es nicht verborgen geblieben, dass der amtierende Präsident Xi Jinping und sein Ministerpräsident Li Keqiang ein strengeres Regiment führen als ihre Vorgänger. Die Wirtschaft steht vor einem schwierigen Umbau vom billigen Exportland zu nachhaltigerem Wachstum. Außenpolitisch zeigt sich China selbstbewusster und in Territorialkonflikten vor seiner Küste wenig zimperlich. Innenpolitisch achten die Machthaber darauf, aus dem Land fernzuhalten, was sie für schlechten Einfluss halten. Dazu gehörte zuletzt auch der Vorsitzende des Menschenrechtsausschusses im Bundestag, Michael Brand (CDU), dem ein Visum verweigert wurde, weil er in seinem Wahlkreis die tibetische Fahne gehisst hatte.

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(Foto: Rainer Jensen/dpa)

Bundeskanzlerin Angela Merkel nahm in China ihre gewohnte Haltung ein, hier mit Premierminister Li Keqiang beim Spaziergang am kaiserlichen Sommerpalast in Peking.

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(Foto: Rainer Jensen/dpa)

Merkel ist zum neunten Mal als Kanzlerin in China. Für Montag sind die vierten gemeinsamen Konsultationen der deutschen und chinesischen Regierungen geplant.

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(Foto: How Hewee Young/AFP)

Die Universität Nanjing hat Merkel den Ehrendoktortitel verliehen, den sie in Peking entgegennahm. An der Akademie redete sie über Rechtsstaatlichkeit -...

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(Foto: Rainer Jensen/dpa)

... ihre Art, Vorhandenes zu hinterfragen. Berlin ist das strengere Regiment von Xi Jinping und Premierminister Li Keqiang (vorne rechts) nicht verborgen geblieben.

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(Foto: Rainer Jensen/dpa)

Das Verhältnis beider Staaten ist eng, aber nicht unbelastet. Mit der Entscheidung über den chinesischen Status einer Marktwirtschaft im Herbst steht ein erneuter Härtetest bevor.

Das ist der Rahmen, in dem sich Merkel mit einigen Ministern in Peking bewegt. Sie ist als Kanzlerin zum neunten Mal in China, am Montag halten die beiden Regierungen die vierten gemeinsamen Konsultationen ab. Deutschland ist das einzige Land, mit dem China die Beziehungen auf eine so regelmäßige Basis gestellt hat. Das Verhältnis ist eng, aber nicht unbelastet. Und wie geht die Kanzlerin damit um?

Merkel, die am Beginn ihrer Amtszeit noch den Dalai Lama im Kanzleramt empfangen hatte, lehnt solche demonstrativen Gesten mittlerweile ab. Sie hält sie für Mutproben, mit denen man zu Hause punkten kann, der Sache aber nicht dient. Sei es im Umgang mit der Türkei, sei es im Umgang mit China. Deshalb geht sie auch am ersten Tag dieses Besuches wieder den diplomatischen Weg. An der Akademie in Peking redet sie über Rechtsstaatlichkeit. Es ist ihre Art, Vorhandenes infrage zu stellen, immer wieder. Möglichst bis es alle verstanden haben.

Merkel beschreibt die Defizite in anderen Staaten gerne dadurch, dass sie die Prinzipien in Deutschland benennt. Es habe die Stärke des Rechts zu gelten und nicht das Recht des Stärkeren. Die Justiz müsse unabhängig von der Politik entscheiden können, müsse ihre Verfahren transparent gestalten. Und jeder sei vor dem Gesetz gleich. Solche Rechtsstaatlichkeit stärke das Vertrauen der Bürger in staatliche Institutionen. Dass die Kanzlerin hier offenkundige Mängel in China anspricht, merkt man nur daran, dass sie an einer Stelle ausdrücklich ein deutsches Defizit erwähnt, dass nämlich die Verfahren oft zu lange dauerten.

Den Rechtsstaat zu thematisieren, das ermöglicht Merkel zugleich einen unkomplizierten Übergang zu Wirtschaftsfragen. Sie weiß, dass die Zahlen in dieser Hinsicht besser sind als die Stimmung. 2015 erreichte das Handelsvolumen mit 163 Milliarden Euro mal wieder einen neuen Rekord. Mittlerweile haben circa 5000 deutsche Unternehmen insgesamt fast 50 Milliarden Euro in China investiert. Trotzdem klagen die Unternehmen über bürokratische Hindernisse, über den Zwang zu Joint Ventures mit einheimischen Unternehmen, eingeschränkten Marktzugang vor allem bei öffentlichen Ausschreibungen, den mangelnden Schutz von geistigem Eigentum. Der Zusammenhang zwischen der Einhaltung rechtsstaatlicher Regeln "und einer vertrauensvollen, gedeihlichen Zusammenarbeit", so Merkel, "zeigt sich im Grunde auf jeder Ebene".

Doch zur Wahrheit gehört auch, dass die Chinesen womöglich noch in diesem Jahr die Gelegenheit bekommen, den Spieß umzudrehen: Im Herbst muss die Europäische Kommission entscheiden, ob sie China den Status einer Marktwirtschaft gewährt. Damit würde es schwieriger, gegen Peking wegen Dumpings vorzugehen, weil damit anerkannt wäre, dass die Preise von Exportgütern nicht durch staatliche Intervention, sondern im Wettbewerb entstehen. 1991, beim Beitritt in die Welthandelsorganisation WTO, wurde China dieser Status für 2016 in Aussicht gestellt, nach der Lesart Pekings sogar vertraglich zugesichert. Sollte die EU-Kommission das dennoch verweigern, steht zu erwarten, dass China Klage einreicht. Getreu Merkels Prinzip, dass vor dem Recht alle gleich sind.

© SZ vom 13.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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