Die Grünen vor der Wahl:"Ein Spiel dauert 90 Minuten"

Lesezeit: 2 min

Mit Weisheiten aus der Fußball-Lehre machen sich die Grünen Mut für die anstehende NRW-Wahl.

Von Robert Roßmann

Wahrscheinlich gab es noch keinen Parteitag, der so überfrachtet von Fußball-Bildern war wie dieser. Die Grünen trafen sich am Wochenende "Auf Schalke".

Durch große Glastüren schauten die Delegierten in die königsblaue Arena - und die meisten fühlten sich bemüßigt, passende Weisheiten zu verkünden: Schlechte Umfragen seien Halbzeit-Ergebnisse, aber keine Resultate. Ein Spiel dauere 90 Minuten, die Landtagswahl in NRW sei deshalb erst am 22.Mai entschieden.

Oder: Schalke werde am 21. Mai Meister wie Rot-Grün einen Tag später. Joschka Fischer beendete seine Rede gar mit dem Appell: "Von Schalke muss das Signal ausgehen: Wir wollen und wir werden gewinnen." Das war um 16. 45 Uhr. Fünf Minuten später kassierte Schalke in Stuttgart das 0:3 - und verlor damit wahrscheinlich die Meisterschaft.

Boden unter den Füßen

Die Niederlage der Schalker war noch das kleinste Problem, mit dem es der Parteitag zu tun hatte. Am Freitag wurden die neuen Umfragewerte für Nordrhein-Westfalen veröffentlicht: Rot-Grün liegt jetzt acht Punkte zurück.

Am Samstag überraschten dann Meldungen über Peer Steinbrück die Grünen: Im Focus hatte der Ministerpräsident erklärt, er könne sich auch andere Koalitionen als die jetzige vorstellen. Und in Berlin läuft ja noch der unkalkulierbare Visa-Ausschuss.

Wer angesichts dieser Menetekel frustrierte Delegierte oder gar einen kontroversen Parteitag erwartet hatte, wurde jedoch enttäuscht. Die Grünen glauben, nach Wochen des Niedergangs und der Defensive erstmals wieder Boden unter den Füßen zu spüren.

Die Hoffnung hat vor allem zwei Gründe: Die Zuversicht, mit dem richtigen Programm ("Vorfahrt für Arbeit mit Zukunft") in den Wahlkampf zu gehen - und Joschka Fischer. Die Grünen wähnen den Außenminister auf dem Weg zurück zu alter Stärke.

Seit seiner Rückkehr aus dem Osterurlaub ist Fischer tatsächlich wie verwandelt. "Er hat das Zaghafte und Unsichere endgültig abgelegt - er ist wieder da", sagt ein Vorstandsmitglied.

Und tatsächlich hat der Minister aufgehört, sich einzubunkern und jedes Wort ängstlich abzuwägen. In Gelsenkirchen tritt Fischer ohne Manuskript ans Pult. Er spricht frei - auch über die Visa-Affäre.

Und er tut das wieder selbst-ironisch und kraftvoll. "Selbst Zidane spielt grottenschlecht, wenn er physisch von der Rolle ist", so hatte Daniel Cohn-Bendit die Schwäche seines Freundes Fischer erklärt.

Drei Minuten für die Visa-Affäre

Die Zeit der zaghaften Kraftlosigkeit scheint vorbei zu sein. Der Minister gab sich "Auf Schalke" so leutselig, dass Delegierte schon über die "glücklich-devoten Journalisten" lästerten, die in Trauben ehrfürchtig Fischers Papstgeschichten lauschen würden, obwohl sie ihn doch gerade noch als unerträglich arrogant in den Keller geschrieben hätten.

Der Außenminister war es auch, der den Delegierten - wie ansonsten nur Bärbel Höhn - Zuversicht für die anstehenden Wahlen geben konnte. 34 Minuten sprach der Außenminister, nur drei davon ging es um die Visa-Affäre - die Partei ist des Themas überdrüssig.

Die restlichen 31 Minuten forderte der Minister die Delegierten zum Angriff auf - und die Sozialdemokratie gleich mit: "Deshalb appelliere ich jetzt auch an unseren Koalitionspartner. Wenn wir jetzt klar sagen, wir sind die besseren, dann ist noch gar nichts entschieden. Es liegt allein in unseren Händen."

Außerdem müsse man doch mal feststellen, dass die Grünen bei neun Prozent lägen, das seien zwei Punkte mehr als bei der letzten Landtagswahl. Entsprechend gelassen nahmen die Grünen die Bemerkung Steinbrücks auf. An Selbstbewusstsein mangelt es der Partei nicht mehr. Das hatten die Spieler von Schalke 04 allerdings auch.

© SZ vom 11.4.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: