Die Grünen in der Opposition:"Die Partei darbt nicht!"

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Endlosdiskussionen um Afghanistan und späte Prügel vom Ziehvater Joschka Fischer: Die Grünen in der Opposition. Zwei Jahre nach dem Regierungswechsel entdecken sie die Lust an Debatten wieder.

Sarina Märschel

Reinhard Bütikofer verzieht den Mund. Er konzentriert sich auf seine Schuhspitzen. "Joschka Fischer ist ein Beobachter geworden, ein Kommentator von außen. Er ist kein aktiver Spieler mehr."

Reinhard Bütikofer, Bundesvorsitzender der Grünen: "Die Partei bleibt nicht stehen!" (Foto: Foto: dpa)

Der Bundesvorsitzende der Grünen hat nicht mehr viel übrig für den Ex-Außenminister und Muster-Grünen a.D., seit dieser Anfang Oktober mit seiner Partei abgerechnet hat. Fischer warf den Grünen vor, sich in "Richtung Illusionen" zu verabschieden. Ein Blick in die Geschichte der Partei genüge, um festzustellen, "dass der Weg ins Abseits für uns immer mit illusionären oder radikalen Beschlüssen gepflastert war." Der Zustand seiner Partei tue ihm weh.

Späte Prügel vom Ziehvater der Grünen. Die haben wohl auch Bütikofer und die anderen neuen Leitfiguren geschmerzt.

Die neue Rolle des Joschka Fischer: vom Leader der Grünen zur nervigen Stimme aus dem Off. Bütikofer erklärt die bösen Bemerkungen des ehemaligen Außenministers damit, dass sich sein Buch wohl weniger gut verkaufen würde, wenn er darin nur Gutes über die Grünen gesagt hätte. Fischers Grünen-Bilanz nur eine Marketingstrategie?

Der aktuelle Bundesvorsitzende blickt jetzt entschlossen ins Publikum: "Joschka Fischer hat unsere Politik nicht richtig bewertet." Bütikofer redet sich im Pressegespräch mit Berliner Jounalisten so richtig warm. Sein Kopf wird röter, seine Stimme lauter.

Die aktiven Spieler haben eine andere Wahrnehmung der Partei als der Passivist Fischer. Aber welche? Wie geht es den Grünen nach zwei Jahren in der Opposition, nach zwei Jahren Machtabstinenz?

Die Bilanzierung tut weh

"Die Partei darbt nicht, sie bleibt nicht stehen!", ruft Bundespolitiker Bütikofer seinen Zuhörern zu, "wir sind mit unseren Themen en vogue!" Die Zeit der Opposition, erklärt er, nutzten die Grünen für eine Bilanzierung der Erfahrung. Und auch, um Perspektiven zu entwickeln.

Die Bilanzierung der Erfahrung, die die Grünen in der Regierung gemacht haben, tut der Partei offensichtlich ebenso weh wie der lange und holprige Abschied von Joschka Fischer. Die Bundestagsvizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt antwortet nicht gerne auf die Frage, wie die Partei zum rot-grünen Erbe steht: "Vieles war schwierig, aber die Grünen haben es mitgetragen, weil es nicht nur bitter war, sondern auch nötig."

Zwar hätte es richtige Fortschritte gegeben. Zu den rot-grünen Erfolgsgeschichten gehört beispielsweise, dass Deutschland nun offiziell Einwanderungsland ist und der Atomausstieg besiegelt wurde. Da überwiege der Stolz.

Doch einiges macht dem parteiinternen Gewissen noch zu schaffen, neben dem Afghanistan-Einsatz insbesondere die Agenda 2010: "Bei der sozialen Frage gibt es innerhalb der Partei eine große Unsicherheit darüber, ob das Glas halb voll oder halb leer ist", sagt Göring-Eckardt: "Die Haltung ist da oft: Manche Ideen sind total klasse gewesen - aber die Umsetzung funktioniert nicht."

Göring-Eckardt sieht vor allem Handlungsbedarf beim Thema Armutsbekämpfung. Bütikofer sieht Mängel bei den Regelungen zur privaten Altersvorsorge. Fügt aber im gleichen Atemzug hinzu: "An der Stelle haben wir damals schon mit eigenen Konzepten gearbeitet." Die SPD habe sich aber durchgesetzt.

Auch wenn die Grünen heute über einige der alten Maßnahmen unglücklich sind -insgesamt gäbe eine große Zustimmung dafür, dass es notwendig und richtig gewesen sei, die Arbeitslosen- und Sozialhilfe zusammenzulegen, sagt Göring-Eckardt. Und damit auf Aktivierung zu setzen statt auf Frühverrentung und Alimentierung.

"Schmuddelthema" Agenda 2010

Diese Einschätzung hört man nicht nur von den Bundespolitikern, sondern auch von den Grünen an der Basis: Notwendig, aber bitter. Florian Vogel, 27 Jahre alter Vorsitzender der Münchner Grünen, sagt, die Agenda 2010 sei bis heute "ein Schmuddelthema" innerhalb der Partei. Er wirft der rot-grünen Regierung vor, die Arbeitsmarktreform schlecht erklärt zu haben. "Hätten sie das besser gemacht, wäre die Akzeptanz auch viel größer."

Egal, ob im Kreisverband oder unter Spitzenpolitikern: Die Grünen beteuern, dass sie die Zeit in der Opposition dafür nutzen, die Regierungszeit - und vor allem die Agenda 2010 - aufzuarbeiten. Ein langwieriger Prozess.

Begonnen haben sie damit nämlich schon im Herbst 2006. Nachdem die kleinste Oppositionspartei auf ihrem "Zukunftskongress" angefangen hatte, über die Schröder-Reformen zu klagen, titelte die taz boshaft: "Grüne nicht mehr asozial." Bütikofer drückt es vornehmer aus: "Wir distanzieren uns nicht von dem, was wir gemacht haben, aber auf der anderen Seite gibt es Maßnahmen, die kann man nicht für richtig halten. Man muss ein paar Dinge korrigieren."

Opposition als Chance

Die Ökopartei will in der Zeit als Oppositionspartei aber nicht nur ihre Wunden lecken: "Die Grünen sind Inhalts- und Konzeptpartei. Auch, wenn wir das lieber parallel zum Regieren gemacht hätten: Es ist gut, dass nun Zeit ist, um neue Konzepte zu machen", sagt Katrin Göring-Eckardt. Bütikofer stößt ins gleiche Horn: "Es ist eine Chance, die Grundlagen gut zu legen." Oder, anders ausgedrückt: Die Chance, aus der Not eine Tugend zu machen.

Noch etwas kennzeichnet die Zeit nach Rot-Grün - Joschka Fischer hat graue Haare davon bekommen und regt sich heute noch fürchterlich auf, aber die Basis jubelt darüber: Bei den Grünen ist wieder Zeit für Diskussionen und Platz für Idealisten. "Die Grundsatzdiskussionen sind wieder voll losgebrochen, seit wir nicht mehr in Regierungsverantwortung sind - wie damals vor dem Kosovo", sagt zum Beispiel der Grünen-Kreisvorsitzende von Neuburg/Schrobenhausen, Hartmut Dernedde. Er findet das wunderbar.

Jutta Bucholtz, Krankenschwester aus München und seit rund einem Jahrzehnt Parteimitglied, pflichtet ihm bei: "Das habe ich mir eigentlich immer so vorgestellt: Dass es verschiedene Richtungen geben kann innerhalb der Partei. Das finde ich sehr ehrlich."

Florian Vogel, der junge Stadtvorsitzende, sieht darin auch Potential für eine bessere Politik: "Die Grünen zeichnen sich durch breiteste Diskussionen aus. Dadurch bekommt man einen tieferen Zugang zu Themen." Andererseits, denkt Vogel, kann das viele Reden manchmal ganz schön enervierend sein - "da kann ich Joschka Fischer schon verstehen."

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