Deutschland übernimmt EU-Vorsitz:Tafelrunde mit straffem Programm

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Mit der Ratspräsidentschaft verhält es sich ähnlich wie mit einem gepflegten Abendessen. Die Gastgeber müssen Themen setzen, das Gespräch lenken, Schwätzer bremsen, Redepausen überbrücken und vor allem Streithähne versöhnen.

Jeanne Rubner

Noch herrscht ein wenig Rücksicht auf die finnische Regierung, die gerade Europa anführt. Die deutsche Präsidentschaft, die am 1. Januar 2007 beginnt und sechs Monate dauert, gönnt sich nur eine kleine Präsenz im Internet.

Unter www.eu2007.de wird man vergeblich ein Programm suchen. Eine Seite, so karg wie das Logo. Hinter den Kulissen freilich werkeln die Experten im Kanzleramt, in den Ministerien, in der Ständigen Vertretung in Brüssel. Und selbst das Arbeitsprogramm lässt sich finden unter www.auswärtiges-amt.de.

Wie ein gepflegtes Abendessen

Es ist ein beachtliches Papier, 25 Seiten dick, zum ersten Mal verabschiedet für eine "Dreierpräsidentschaft". Diese Konstruktion ist zwar erst in der Verfassung vorgesehen. Aber Deutschland hat sich jetzt bereits mit Slowenien und Portugal abgestimmt, die den Ratsvorsitz anschließend übernehmen werden.

Mit der Ratspräsidentschaft verhält es sich ähnlich wie mit einem gepflegten Abendessen. Die Gastgeber müssen Themen setzen, das Gespräch lenken, Schwätzer bremsen, Redepausen überbrücken und vor allem Streithähne versöhnen. Die Themen, die Bundeskanzlerin Angela Merkel an der Brüsseler Tafel anschneiden will, sind breitgefächert.

Die Energie- und Wirtschaftspolitik wird bis zum Frühjahrsgipfel der Staats- und Regierungschefs im März die Agenda dominieren. Merkel will dann einen Energie-Aktionsplan vorlegen, der die EU-Mitglieder auf gemeinsame Ziele - insbesondere bei der Sicherung der Rohstoffe - festlegt.

Die Bundesregierung wird sich auch um die "Lissabon-Agenda" kümmern. Dahinter versteckt sich die Selbstverpflichtung der Mitglieder, mehr Geld für Bildung und Forschung auszugeben und die Märkte für Arbeit und Dienstleistungen flexibler zu machen. Besonders am Herzen liegt Berlin der Bürokratieabbau.

Unwissende Bürger

Dann die Außenpolitik: Berlin soll mit den Verhandlungen für ein neues Partnerschaftsabkommen mit Russland beginnen und Vorschläge machen für eine neue "Nachbarschaftspolitik" zu Ländern wie der Ukraine und Georgien, die an die EU grenzen, aber für einen Beitritt nicht in Frage kommen.

Der aktuelle Türkei-Streit mag beigelegt sein, aber Deutschland wird ein Handelsabkommen zwischen der EU und dem türkischen Teil Zyperns aushandeln müssen. Darüber hinaus werden der Status der serbischen Provinz Kosovo, Irans Atompolitik sowie die Nahost-Krise Berlin besonders beschäftigen.

Schließlich - und das bewegt die Gemüter am meisten - soll die Bundesregierung die tiefgefrorene Verfassung wiederbeleben und auf dem Juni-Gipfel Vorschläge machen, wie sie doch noch zum wichtigsten Werkzeug Europas gemacht werden kann. Übrigens wissen fast zwei von drei Bundesbürgern noch nichts vom deutschen Ratsvorsitz. Eine hübsche Internet-Seite würde sich vielleicht doch lohnen.

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