Deutschland 2030:Eine Quote für Migranten

Lesezeit: 4 min

Wie wollen wir in Zukunft zusammenleben? Wünsche, Träume und Sorgen zum Miteinander von Einheimischen und Flüchtlingen.

Protokolle von Bernd Kastner und Benedikt Peters

Wohnen, Schule, Kriminalität, Arbeit, Behörden, Ehrenamt und, und, und: In 13 Folgen hat sich die SZ dem Thema der Integration von Flüchtlingen gewidmet. Über allem stand die große Frage: Schaffen wir das?

Zum Abschluss der Serie haben wir uns umgehört. Wie soll ein gutes Zusammenleben in Deutschland aussehen? Hier äußern sich Vertreter aus Religion, Polizei, Schulwesen, Arbeitswelt und Recht. Und ein Syrer, der 2015 nach Deutschland geflohen ist.

Integration 2030? Kein Thema mehr

Benjamin Idriz, 45, Imam, Penzberg:

"2030 wird nicht mehr die Frage gestellt, ob der Islam zu Deutschland gehört. Natürlich diskutieren wir noch über religiöse Themen, über christliche wie muslimische, aber nicht mehr über die grundlegende Frage, welche Religion dazugehört und welche nicht. Meine Vision ist, dass in zehn, 15 Jahren alle Religionen gleich behandelt werden. In allen Religionen, in allen Predigten und Publikationen von Pfarrern und Imamen und anderen Geistlichen steht der Einsatz für den Frieden im Vordergrund. Hass, Xenophobie, Islamfeindschaft, Antisemitismus gehören endlich der Vergangenheit an. Für viele Musliminnen und Muslime, die in Deutschland geboren sind, oder Deutsche, die sich bewusst für den Islam entschieden haben, ist Integration schon jetzt kein echtes Thema mehr, sie sind ja Teil der Gesellschaft. 2030 sprechen wir nicht mehr über Integration, dieser Prozess liegt hinter uns. Auf Augenhöhe reden wir über die wichtigen gesellschaftlichen Themen."

Heimat Deutschland

(Foto: privat)

Fahed Khalili, 29, Jurist aus Syrien, seit 2015 in Deutschland, Community Manager bei "Start with a friend", Berlin:

"Das Zuwanderungsgesetz wird gute Ergebnisse bringen, man muss nur Geduld haben. Die Geflüchteten werden bald besser integriert sein als die Zuwanderer der 60er- oder 90er-Jahre, weil sich die Bundesregierung viel Mühe gibt. 2030 werden populistische Parteien wie die AfD nicht mehr viel Einfluss haben, weil ihre Anhänger merken, dass sie nicht die richtige Agenda haben für unsere Gesellschaft. Diese Parteien leben vor allem vom Hass gegen den Islam und Geflüchtete, nehmen aber nicht die große Bedeutung von Migranten wahr. Es wird keine Angst mehr vor der angeblichen Islamisierung des Abendlandes geben. 2030 werden Migranten ein unverzichtbarer Teil der deutschen Gesellschaft sein. Sie werden Deutschland als Heimat betrachten, sich noch mehr politisch engagieren und unsere Demokratie prägen, sodass Europa und damit auch Deutschland stark bleiben."

Eine Quote für Migranten

(Foto: privat)

Sigrun Krause, 37, Anwältin, Dresden:

"2030 werde ich nicht mehr als Asylanwältin arbeiten müssen, weil wir faire Wege gefunden haben, wie Migration funktioniert. Das ist meine Utopie. Grund- und Menschenrechte sind wieder erstarkt in der öffentlichen Debatte; wir sind uns einig, dass sie für alle Menschen gelten, auch für Flüchtlinge. Ich werde nicht mehr auf die Straße gehen müssen dafür, dass keine Menschen mehr im Mittelmeer ertrinken. 2030 werden wir ein positives europäisches Asylsystem haben, nicht mehr ein negatives wie jetzt, wo es vor allem um Abwehr geht. In Sachsen, wo ich aufgewachsen bin und jetzt wieder lebe, wird der Hass gegen Menschen anderer Herkunft verschwunden sein. Sie sind dann viel sichtbarer als heute, gut eingebunden. Das geschieht auch über Quoten. Ähnlich der Frauenquote wird es eine solche für Bürger mit Migrationshintergrund geben. So wird garantiert, dass sie in allen politischen Gremien oder auch in Elternbeiräten von Schulen und Kitas vertreten sind."

Tobias neben Zahra - die Schule der Zukunft

(Foto: privat)

Dervis Hizarci, 35, ehemaliger Lehrer, Vorsitzender der Bildungsinitiative Kiga:

"Ich träume davon, dass jede Schulklasse in Deutschland zu einer ,Willkommensklasse' im Wortsinn wird. Was das heißt? In der Schule wie überall in der Gesellschaft werden wir Verschiedenheit als Bereicherung begreifen. In den Schulen sitzen heute junge Menschen mit ganz unterschiedlichen Erfahrungen nebeneinander, der herkunftsdeutsche Tobias und Zahra, die vor zwei Jahren aus Syrien geflohen ist. Und Menschen wie meine Kinder, deren Großeltern eingewandert sind. In 13 Jahren, so sieht meine Utopie aus, vermitteln wir Wertschätzung für alle diese Biografien. Bis dahin greifen neue Ansätze in der Lehrerausbildung. Ansätze, die begreifbar machen, dass Deutschland ein Einwanderungsland ist. In meinem 2030 haben sich auch die Lehrpläne verändert, sie berücksichtigen stärker unterschiedliche Perspektiven. Jeder, der hier lebt, wird nicht nur als Empfänger von Bildung, sondern auch als Sender betrachtet.

Neues Vertrauen in den Staat

(Foto: privat)

Marcus da Gloria Martins, 45, Sprecher der Münchner Polizei:

"Einige Bürger stellen derzeit den Staat infrage - unverständlich beim Blick auf unseren Wohlstand und unsere Freiheiten. 2030, das ist meine Utopie, werden sie wieder Vertrauen haben in die Institutionen des Staates, wozu ja auch die Polizei gehört, und in die seriösen Medien. Die Verantwortlichen in Politik und Behörden werden komplexe Vorgänge und Entscheidungen klarer und differenzierter den Bürgern erklären. Die wollen nicht nur politische Slogans hören, sie vertragen Offenheit. Mein großer Wunsch ist, dass sich die Menschen auf Basis sachlicher Informationen ein reelles Bild von gesellschaftlichen Entwicklungen machen. Bis 2030 hat sich die kulturelle Kluft zwischen Einheimischen und Zugewanderten verringert. Wir werden der Gefahr, dass der gesellschaftliche Wandel zu viele Menschen abhängt, dass die Spannungen zunehmen, dank engagierter und sozial kompetenter Polizisten begegnen."

Woher einer kommt, ist "völlig wurscht"

(Foto: Melissa Heiß)

Stephanie Schmid, 49, Chefin der Brauerei Ustersbach bei Augsburg:

"Meine Utopie ist, dass in einigen Jahren jeder Mensch in Deutschland alles erreichen kann. Dass es völlig wurscht ist, wo jemand herkommt. In unserer Brauerei in Ustersbach bei Augsburg hat ein Viertel der Belegschaft einen Migrationshintergrund. In der Flaschenabfüllung oder im Versand zum Beispiel arbeiten Kollegen aus Marokko oder Nigeria. Wenn die morgen nicht mehr kämen, hätten wir ein echtes Problem. Den Menschen, die nach Deutschland kommen, muss man den Einstieg in die Arbeitswelt noch mehr erleichtern. Manche haben Probleme bei der Anerkennung ihrer Abschlüsse, andere kämpfen mit komplizierten Fachbegriffen. Der Brauerbund könnte ein Handbuch für angehende Brauer und Mälzer herausgeben, in dem dann Wörter wie ,Schrotmaischverfahren' und ,Stammwürze' erklärt werden. Ich wünsche mir, dass 2030 die neu zu uns gekommenen Kollegen auf zehn Jahre zurückblicken, in denen sie sich etwas aufbauen konnten."

© SZ vom 05.12.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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